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06.01.07 / Zwischen zwei Extremen / Weniger Studienanfänger und mehr Studierende? Nur scheinbar ein Widerspruch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-07 vom 06. Januar 2007

Zwischen zwei Extremen
Weniger Studienanfänger und mehr Studierende? Nur scheinbar ein Widerspruch
von George Turner

Auf der einen Seite wurde zwischen dem Bund und den Ländern der Hochschulpakt geschmiedet, um den errechneten Zustrom von Studierwilligen Anfang des nächsten Jahrzehnts zu bewältigen. Gründe für die erwartete Zunahme der Gesamtzahl der Studierenden von derzeitig zwei Millionen auf 2,7 Millionen sind die geburtenstarken Jahrgänge und - wegen der Verkürzung der Schulzeit - zwei Abiturientengruppen. Auf der anderen Seite wird schon zum dritten Mal nacheinander ein Rückgang der Studienanfänger registriert. Das müßte doch zu geringeren Gesamtzahlen führen. Ein Widerspruch sind der aktuelle Stand und die Prognose über die zukünftige Entwicklung dennoch nicht.

Allerdings besteht die Gefahr, daß falsche Schlüsse gezogen werden. Das gilt vor allem für die "Finanzseite". So wäre es vordergründig, etwa in der Art zu argumentieren, daß der Zuwachs gar nicht so dramatisch sein werde; man sehe ja, die Studierneigung lasse nach. Ebenso einseitig wäre es, wenn in den rückläufigen Anfängerzahlen eine Katastrophe gesehen würde.

Als Ursachen für weniger Anfänger werden zunehmende Zulassungsbeschränkungen und die Einführung von Studiengebühren ausgemacht.

Für diejenigen, die den Anteil der Studierenden erhöhen wollen, ist dies ein Warnsignal. In dem Zusammenhang wird immer wieder das Ausland bemüht. In der Tat gibt es Länder mit einem viel höheren Anteil von Studierenden an der gleichaltrigen Bevölkerung als in Deutschland. Deshalb sei es erforderlich, den Anteil der Akademiker zu erhöhen und für das Studium zu werben. Dabei wird allerdings regelmäßig außer Acht gelassen, daß hierzulande bestimmte Berufe gar kein Studium voraussetzen, für die anderenorts eine Hochschulausbildung erforderlich ist. Deshalb sollte die nachlassende Neigung, ein Studium zu beginnen, nicht wieder als Fanal herhalten müssen.

Die festgestellte Tendenz muß allerdings unter zwei anderen Aspekten gesehen werden. Zum einen wird die mangelnde Studierfähigkeit einer nicht eben geringen Zahl von Studierenden festgestellt und über hohe Abbrecherquoten geklagt. Wenn also Kandidaten kein Studium aufnehmen, weil sie zu Recht fürchten, den Anforderungen nicht zu genügen, werden einem deshalb nicht die Tränen kommen. Zum anderen ist unstrittig, daß alle vorhandenen Begabungen genutzt werden müssen. Das ist einmal im Interesse der Betroffenen angezeigt, weil es um deren Lebenschancen geht, aber auch im Interesse der Gesellschaft, die darauf angewiesen ist, vorhandenes Potential nicht verkümmern zu lassen. Die Debatten um die Anwerbung qualifizierter Mitarbeiter aus dem Ausland mangels eigener Nachwuchskräfte illustriert das Dilemma. Unstrittig fehlen unter anderem in den Ingenieurwissenschaften und in anderen naturwissenschaftlich ausgerichteten Berufsfeldern geeignete Bewerber. Es wäre also fatal, wenn sich der Rückgang der Zulassungszahlen weiter negativ auf solche Disziplinen auswirkte. Deshalb muß alles getan werden, damit Studiengebühren nicht dazu führen, studierwillige und befähigte Bewerber abzuschrecken. Insoweit scheint die oft beschworene Aussage, Gebühren müßten "sozialverträglich" sein, noch nicht eingelöst zu sein. Dank der Föderalismusreform sind die Länder in der Pflicht. Nicht allen scheint das bewußt zu sein.

Aber auch der zu erwartende Anstieg der Studierendenzahlen darf nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten. Es ist gut, daß Bund und Länder einen Hochschulpakt geschlossen haben, wonach zusätzliche Studienplätze finanziert werden. Stimmen die Berechnungen, wird das Geld nicht ausreichen. Deshalb muß man andere Lösungen erwägen, die weniger aufwendig sind. Das wäre zum Beispiel eine Weiterbeschäftigung von Hochschulangehörigen über die Pensionsgrenze hinaus. Auch wenn die Gesamtzahl der Studierenden im nächsten Jahrzehnt tatsächlich erheblich ansteigt, wird dies doch nur eine Zeit lang so sein. Wegen der danach einsetzenden geburtenschwachen Jahrgänge wird es ab etwa 2020 zu einem deutlich spürbaren Rückgang kommen. Es muß also ein Jahrzehnt lang ein Studierendenstrom überbrückt, nicht ein Studentenberg untertunnelt werden. Das nämlich hat man vor rund 30 Jahren versucht, indem man meinte, den Hochschulen eine Überlast auf Zeit zumuten zu können. Das Ergebnis waren zum Teil völlig überfüllte Studiengänge mit verlängerten Studienzeiten. Die Überbrückung könnte so aussehen, daß zur Pensionierung anstehende Hochschulangehörige eine bestimmte Anzahl von Jahren weiterbeschäftigt werden. Voraussetzung wäre einmal ein Bedarf, zum anderen die Bereitschaft der Betroffenen und die Zustimmung der zuständigen Hochschulgremien, so wie das bei einer Neubesetzung der Fall ist. Es könnte also niemand gezwungen werden, länger zu arbeiten; es könnte aber auch niemand gegen den Willen der für Forschung und Lehre Verantwortlichen eine Position besetzt halten. Diese Konstruktion wäre ein Gegenstück zum sogenannten Fiebiger-Plan, genannt nach seinem Initiator, dem früheren Präsidenten der Universität Erlangen-Nürnberg. Das war ein Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch vorübergehende Einstellung zusätzlicher Professoren, um ansteigende Studierendenzahlen zu bewältigen und zur Beseitigung der verzerrten Altersstruktur. Im Ergebnis bedeutete dies, daß auf Zeit Parallelprofessuren bestanden. Exakt dies kann man auch für die Zukunft vorsehen. Nur werden dann keine neuen Stellen eingerichtet. Vielmehr werden die durch Pensionierung frei werdenden neu besetzt und bisherige Stelleninhaber auf Zeit weiter beschäftigt.

Und da das Kind einen Namen braucht: Wie wäre es, soweit Hochschullehrer betroffen sind - als Gegenstück zur Juniorprofessur - mit der Seniorprofessur?

Foto: Demo gegen Studiengebühren: Noch im Mai und Juni drohten Studenten vieler Bundesländer bei Einführung von Gebühren mit Krawall, doch statt Gewalt gab es mit Gebühreneinführung einfach weniger Studienanfänger.


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