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06.01.07 / Der Versuchung erlegen / Historiker informiert umfassend, aber zu allgemein über die Judenvernichtung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-07 vom 06. Januar 2007

Der Versuchung erlegen
Historiker informiert umfassend, aber zu allgemein über die Judenvernichtung

Der Autor, 1932 in Prag geboren, Professor für Geschichte in Israel und in den USA, bringt mit diesem Werk seine tiefschürfende Untersuchung über "Das Dritte Reich und die Juden" zum Abschluß, das er mit "Die Jahre der Verfolgung 1933-1939" 1998 begonnen hatte. Das durchwegs positive Echo ist in hohem Maße verdient.

Das Buch ist chronologisch gegliedert ("I. Terror. Herbst 1939 - Sommer 1941", "II. Massenmord. Sommer 1941 - Sommer 1942", "III. Shoah. Sommer 1942 - Frühjahr 1945"). Die einzelnen Teile befassen sich äußerst akribisch mit der Judenverfolgung in allen Staaten, die unter dem Einfluß des Dritten Reiches standen, und vor allem im Dritten Reich selbst. Friedländer beschreibt auch die Fakten und Kräfte, die Hitlers Judenpolitik begünstigten.

Dazu zählten die weltweite Krise des Liberalismus und die Reaktionen auf den mörderischen Kommunismus, für den nicht nur in Deutschland das Judentum mitverantwortlich gemacht wurde. "Eugenik", verbunden mit Betrachtungen über lebensunwertes Leben, war keineswegs ein von Hitler losgetretenes Thema. Auch die den Proporz weit übersteigende Präsenz von Juden in führenden Verwaltungspositionen wird mit eindrucksvollen Zahlen belegt.

Die innere Zerrissenheit der Juden tat ein Übriges. Sie befanden sich in allen politischen Lagern. "Nicht weniger eklatant als ihre Machtlosigkeit war die Unfähigkeit der meisten europäischen Juden, die Ernsthaftigkeit ihrer Bedrohungen einzuschätzen." Die harte Ablehnung der "Ostjuden" war unter den deutschen Juden weit verbreitet.

"... abhängig waren die mörderischen Maßnahmen von der Bereitschaft der Opfer, Befehle zu befolgen in der Hoffnung, sie abzumildern oder Zeit zu gewinnen ..." Ferner: "Der Judenrat war das wirksamste Werkzeug der deutschen Kontrolle über die jüdische Bevölkerung." Der Autor verschweigt nicht die Kritik an den Judenräten aus den eigenen Reihen, die nicht einmal vor Leo Baeck, dem Oberhaupt der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Halt machte, "der als Held gefeiert wird", dem man aber eines Tages "den Heiligenschein herunterriß".

Dem überschwenglichen Lob eines Reich-Ranicki ("eine makellos sachliche und gründliche Arbeit") kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Autor wird weder der Mehrheit der Deutschen noch der Christen gerecht. Fast durchgängig ist von "den" Deutschen die Rede, zum Beispiel: "Die Deutschen, ihre Kollaborateure und ihre Hilfstruppen waren die Anstifter und Hauptakteure ...", ohne daß Friedländer auch nur den Versuch unternimmt zu sagen, wer alles mit den Pauschalurteilen gemeint sein soll: Auch die deutschen Juden? Sicherlich nein. Auch die deutschen Gegner des Regimes? Auch das Gros der Ängstlichen, der Jugendlichen, der absolut Unpolitischen?

Als seinen Hauptzeugen benennt er Victor Klemperer. Doch gerade der stellt dem Gros der Deutschen an vielen Stellen ein bemerkenswert gutes Zeugnis aus. Das kann Friedländer nicht übersehen haben. Warum verschweigt er es?

Nicht minder anstößig sind seine Ausführungen die Kirchen betreffend: "Entscheidend für die Dauerhaftigkeit und Allgegenwart antijüdischer Überzeugungen und Einstellungen war in Deutschland ... die Rolle, welche die christlichen Kirchen spielten. In Deutschland waren etwa 95 Prozent der Volksgenossen in den 1930er und 40er Jahren immer noch Kirchgänger."

Diese Annahme ist schlicht falsch, wie jeder, der damals in Deutschland lebte, aus eigener Erfahrung weiß. Die kirchenamtliche Statistik "Katholiken und Gottesdienstteilnehmer" nennt für das Jahr 1930 42,5 Prozent, für 1940 40,7 Prozent. Auf Seiten der evangelischen Christen waren es noch deutlich weniger, so daß die Zahlen Friedländers auf ein Drittel gekürzt werden müssen und seine Argumentation in sich zusammenbricht.

Auch erweckt er den Anschein, als ob die katholische Kirche eine weithin unangefochtene, einflußreiche Position innegehabt hätte. Dabei ist es der schon erwähnte Klemperer, der ihn immer wieder auf die gegenteilige Wirklichkeit aufmerksam gemacht hat mit Zitaten wie: "Die Judenhetze und Pogromstimmung wächst Tag für Tag ... Es wächst auch der Kampf gegen Katholiken, ‚Staatsfeinde' reaktionärer und kommunistischer Richtung." "Die Judenhetze ist so maßlos geworden, weit schlimmer als beim ersten Boykott ... Fast ebenso wilde Hetze gegen ‚politischen' Katholizismus, der sich mit der Kommune verbinde." "Die Wenden [Teil der Bevölkerung Sachsens] sind alle gut katholisch, und also ist eine tröstliche Gemeinsamkeit der politischen Verzweiflung gegeben." "In den Zeitungen spielt heute schon wieder der Kampf gegen die katholische Kirche die größere Rolle." So könnte man mit dem Zitieren fortfahren.

Bei Jochen Klepper, den Friedländer ebenfalls als seinen Zeugen lobt, lesen wir: "Ungeheure Angriffe auf beide Kirchen in den prononcierten Parteiblättern - Angriffe, die es verstehen lassen, daß die Kirchen, ohnmächtig im Politischen, keinen öffentlichen Schritt für die Judenchristen unternehmen." Warum bleibt das alles unerwähnt?

Als Fazit bleibt daher: Das große Werk ist hochinformativ, zugleich aber auch in wichtigen Punkten irreführend. Der Autor konnte der Versuchung nicht widerstehen, den offenbar vorhandenen antideutschen und antichristlichen Empfindungen unsachliche Konzessionen zu machen. Konrad Löw

Saul Friedländer: "Die Jahre der Vernichtung - Das Dritte Reich und die Juden 1939-1945", C. H. Beck, München 2006, geb., 869 Seiten, 34,90 Euro, Best.-Nr. 6004


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