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13.01.07 / Was ist eigentlich ein Experte?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-07 vom 13. Januar 2007

Kommentar:
Was ist eigentlich ein Experte?
von Richard G. Kerschhofer

Über Ex-Könige weiß man zwei Dinge sicher, nämlich daß sie früher Könige waren und daß sie heute keine mehr sind. Über Ex-Kommunisten weiß man immerhin, was sie vor der Wende waren. Und über Ex-Nazis weiß man, daß es sie gar nicht geben kann, denn mit dem "richtigen" Parteibuch gab's keine Vergangenheit und ohne dieses gibt's kein "Ex-". Was aber weiß man über Experten? Hier gilt es zunächst, einen weitverbreiteten Irrtum aufzuklären: Beeidete Sachverständige sind nämlich keine Experten - und umgekehrt. Denn Sachverständige haben eine Ausbildung zu durchlaufen, müssen Prüfungen ablegen und haften für allfällige Mängel ihrer Gutachten. Daher müssen sie in den meisten Ländern sogar eine Haftpflichtversicherung vorweisen. Einem Experten ist Ausbildung zwar nicht untersagt, doch er haftet für nichts und er ist oft auch nicht Gutachter, sondern Bösachter, der Projekte eher zu verhindern als zu verwirklichen hat. Zwar darf er auch befürworten, doch ist solche Befürwortung meist nur erwünscht, um Alternativen zu verunmöglichen. Und was nicht gebaut wird, kann schließlich keinem auf den Kopf fallen.

Lesen und Schreiben muß ein Experte jedenfalls können. Auch ganze Sätze sollte er zustandebringen - oder zumindest so lange Sätze, daß das Publikum am Ende schon den Anfang vergessen hat. Und er ist gut beraten, mit Fremdwörtern um sich zu werfen und Autoren zu zitieren, die hierzulande keiner kennt. Doch da heute bereits ziemlich viele Leute solche Techniken beherrschen, ist damit noch nicht erklärt, wie einer wirklich zum Experten wird. Nun, das Entscheidende ist ein seltsames gruppendynamisches Phänomen, das in allen größeren Organisationen und Betrieben beobachtet werden kann - staatlichen wie privaten - und natürlich auch im öffentlichen Leben. Es ist jenes fatale Zusammenspiel von Hörigkeit und Bequemlichkeit, das ein "Entstehen" von Experten überhaupt erst ermöglicht. Und das spielt sich etwa folgendermaßen ab:

Da paßt es einem Mächtigen in den Kram, eine jüngere und ehrgeizige Person oder einen Parteifreund oder einen Sportkameraden zum "Mann für ..." zu erklären. Das stärkt die Hausmacht, schafft Loyalitäten, zumindest in den Jahren des Erfolges, und der Rest der Mannschaft wagt keinen Widerspruch. Erstens überhaupt und zweitens, weil man ja auch keine Glühbirne mehr selber auswechselt, sobald es einen Hauselektriker gibt. Und siehe da: Falls der solcherart aus dem Hut Gezogene sich nicht sofort als extreme Niete entpuppt, wird er in kürzester Zeit "der Experte für ..." sein. Dank seiner Nominierung erhält er ja automatisch alle einschlägigen Informationen und erwirbt also sehr bald einen tatsächlichen Wissensvorsprung, mit dem er seinen Experten-Status jederzeit rechtfertigen könnte, falls irgendwer Zweifel anmelden wollte. Und ob "interne" oder "externe" Experten, das Muster ist stets das gleiche.

Externe Experten - für die Öffentlichkeit die "eigentlichen" Experten - haben in der Regel ein Nest, ein sogenanntes "Institut", welches auch "Zentrum" oder sonstwie heißen kann. Gattungsname dafür ist heute der Ausdruck "Think Tank". Solche Institute haben nichts mit Universitäts-Instituten gemein. Außer vielleicht, daß sie staatlich besoldeten Akademikern erlauben, nebenher das große Geld zu machen. Risikolos, denn man braucht ja nur allgemein genug zu bleiben - Interpretationen sind schließlich Sache der Auftraggeber. Kurzum, ein Experte ist ein Experte, weil er einem Institut angehört, und ein Institut ist ein Institut, weil ihm Experten angehören.

Auf einigen Spezialgebieten geht es auch ohne "Institut": Denn wer sich als Antifaschist deklariert, ist damit automatisch ein Faschismus-Experte, und wer auch immer im Namen von Greenpeace, WWF, Global 2000 etc. den Mund aufmacht, gilt als Experte für jedes Fachgebiet eigener Wahl, solange er nur Wirtschaft und Technik attackiert.

Über der Masse gewöhnlicher Experten stehen einzelne auserwählte Super-Experten, die Bindestrich-Päpste: Sie brauchen kein Konklave und keinen weißen Rauch, sondern laufen frei herum und produzieren heißen Dampf. Denken wir etwa an einen "Literatur-Papst", der offenbar an einem einzigen Tag so viele Bücher lesen kann wie normale Sterbliche in ihrem ganzen Leben. Er kennt alles und jeden, sogar die geheimsten Vorder- und Hintergedanken von Leuten, die noch nicht einmal ahnen, daß sie irgendwann ein Buch schreiben werden. Oder wäre etwa alles nur Organisation? Beschäftigt er vielleicht Heerscharen von Zuträgern? Könnte er ja gelernt haben - damals beim Geheimdienst der polnischen KP.

Wollen wir aber weiter nur dasitzen und warten, bis endlich irgendeinem Kind das erlösende Wort entschlüpft? Nein, wir müssen aufstehen und selber rufen: Die sind ja nackt - nackt alle miteinander! Nackt diese Möchtegern-Kaiser, nackt diese Scharlatane und nackt all diese Handlanger einer globalen Verdummungsmaschinerie.

Wir brauchen keine aufgeblasenen Staatsmänner, die bei Schönwetter Lorbeeren ernten und bei Schlechtwetter außer Obligo sind. Wir brauchen keine altorientalische Priesterkaste als Mittler zwischen Himmel und Erde. Wir brauchen keine Weiß-, Grün- oder Sonst-Was-Bücher, deren einziger Zweck darin besteht, die Leute vom Lesen und Denken abzuhalten. Wir brauchen vielmehr die Wiedererweckung des gesunden Menschenverstandes. Oder meinetwegen des Hausverstandes, falls "gesund" zu sehr ans "gesunde Volksempfinden" erinnern sollte. Wir müssen die Dinge wieder beim wahren Namen nennen. Wir müssen wieder lernen, direkte Fragen zu stellen. Wir müssen uns wieder trauen, selbständig nach Antworten zu suchen. Wir müssen überhaupt wieder viel mehr Eigenverantwortung übernehmen.

Vor allem aber müssen wir endlich echte Verantwortung bei jenen einfordern, die sich so gern hinter anderen verschanzen: Die "culpa in eligendo", die Schuld an der Wahl falscher Ratgeber und Mitarbeiter, trifft sie nämlich in jedem Fall.


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