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13.01.07 / "Und dann und wann ein weißer Elefant" / Durs Grünbein interpretierte eine berühmt gewordene Verszeile von Rainer Maria Rilke

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-07 vom 13. Januar 2007

"Und dann und wann ein weißer Elefant"
Durs Grünbein interpretierte eine berühmt gewordene Verszeile von Rainer Maria Rilke
von Rosemarie Fiedler-Winter

Seit langem rätsele ich, woher der Widerwille gegen Rilke rührt, dies Gemisch aus blasierter Brutalität und einer merkwürdig sexistischen Gehässigkeit, das regelmäßig aufschäumt, sobald sein Name fällt." Mit dieser bemerkenswert mutigen Formulierung, die ihn in Gegensatz zu hochrangigen Namen wie Benn oder Brecht stellt, führt Durs Grünbein die Leser zu seiner Interpretation von Rilkes Gedicht "Das Karussell".

Das wurde berühmt, ja sogar volkstümlich, durch die wiederholte Zeile "Und dann und wann ein weißer Elefant". Es läßt den historischen Luftzug aus dem Jardin du Luxembourg spüren, wo "der aparte Prager Poet", wie ihn Grünbein auch nennt, zu den weltberühmt gewordenen Zeilen angeregt wurde, die sich später in seinen "Neuen Gedichten I" wiederfinden.

Im Marburger Literaturarchiv hatte man den Dresdner mit dem markanten Namen Grünbein, der, wie er selber sagt, "kein artistischer Einfall ist", um eine Interpretation gerade dieser Verszeilen gebeten, und der Mann von der Elbe hat einen Text hingelegt, der unter der Heerschar der Rilke-Interpretationen seinesgleichen sucht.

"Dann kommt ein Gedicht heraus wie das Karussell", schreibt Grünbein, "das den Eindruck erweckt, als sei es im Schlaf geschrieben, als Direktübertragung von einer Spielwalze aus Kindertagen, einem Leierkasten im Hinterhof." Und er riskiert es, von der atmosphärischen Nähe zu Picasso zu sprechen und dessen "lyrischer Malerei", "als er Seiltänzer und Jongleure in zarte Linien einfror". Dabei hatte es dem Dichter aus Sachsen, der, farbneutral, fast überall vertreten ist, wo echt Literarisches die Szene beherrscht, Rilkes weißer Elefant schon lange angetan. Denn in einem Bühnen-Dialog "zweier Männer in Betrachtung des Müll" läßt er schon zu Beginn unseres Jahrtausends den einen sagen: "Mir reicht schon dieser Spielzeugelefant. Für meinen Enkel. Beste Nachkriegsware. Einer wie Rilke hätte seine Freude dran gehabt."

Grünbein hebt in seiner Interpretation hervor, daß es dem Dichter des Karussell nach dessen eigener Aussage um "Skulpturen aus Worten" ging, und daß "sein Markenzeichen eine größtmögliche Ökonomie der Ausdrucksmittel sei". Das Gedicht vom Karussell gibt ihm Recht. Aber was ist überhaupt ein Gedicht? Dazu hat Grünbein in einer Rede, die er im April vor sechs Jahren in Salzburg gehalten hat, die klassisch philosophischen Worte gefunden: "Betrachtet man Zeit und Raum als geschlossenes System, ist das Gedicht der Kassiber, der wie durch ein Wunder aus der universellen Zwangsanstalt herausgeschmuggelt wurde."

Das Wunder, dem Geheimnis verwandt, scheint aber selbst "bei klarsten Linien" ganz wesentlich dazu beizutragen, daß Dichtung überhaupt "ankommt". Dafür sind Grünbeins eigene Texte, denen neben anderen Preisen auch der Peter-Huchel- und der Büchner-Preis verliehen wurden, Beweis genug. Iso Camartin meinte bei der Huchel-Preisverleihung: "Die sprachartistischen Volten des Durs Grünbein durchschaut einer gelegentlich leichter, wenn er versucht, sie in einer anderen Sprache auszuhorchen", sprich sie zu übersetzen.

Der aufmerksame Leser entdeckt jedoch vielleicht sogar im Banalen, das Grünbein so gern mit überhöhter Betrachtung konfrontiert, das geheimnisvoll Unausgesprochene wie es auch Rilke auf sein Karussell "aufgeschnallt" hat. Finden sich doch in Durs Grünbeins oft zitiertem Dresden- Buch "Porzellan", das ein einziges Gedicht ist, die Zeilen: "Überhaupt. Erinnerung. Das kommt aus Hirnregionen und kehrt zurück dahin. Und Herkunft, Heimat sind ein Häuflein Sand in einer Wanderdüne aus Neuronen."

 

Rainer Maria Rilke wurde als Sohn eines Militärbeamten und Beamten bei der Eisenbahn am 4. Dezember 1875 in Prag geboren. Er besuchte von 1886 bis 1891 die Militärschule St. Pölten und danach die Militär-Oberrealschule in Mährisch-Weißkirchen. Der sensible Knabe wich der Offizierslaufbahn aus, bereitete sich privat auf das Abitur vor und studierte Kunst- und Literaturgeschichte in Prag, München und Berlin. 1897 begegnete er Lou Andreas-Salomé, mit der er 1899 / 1900 nach Rußland reiste. Das Land, die Menschen, vor allem die "russische Seele" beeindruckten ihn sehr. Begegnung mit Tolstoi. 1900 ließ er sich in der Malerkolonie Worpswede nieder und heiratete die Bildhauerin Clara Westhoff, von der er sich 1902 wieder trennte. 1905 wurde er für acht Monate der Privatsekretär von Rodin in Paris. Er unternahm Reisen nach Nordafrika, Ägypten, Spanien. 1911 / 12 lebte er auf Schloß Duino an der Adria bei der Fürstin Marie v. Thurn u. Taxis. Während des Ersten Weltkriegs wohnte er in München. Kurze Zeit war er beim österreichischen Landsturm eingezogen, wurde aber aus Gesundheitsgründen wieder entlassen. Nach Kriegsende lebte Rilke in der Schweiz: 1920 in Berg am Irschel, ab 1921 auf Schloß Muzot im Kanton Wallis, das ihm sein Mäzen Werner Reinhart zur Verfügung gestellt hatte. Rainer Maria Rilke starb vor 80 Jahren, am 29. Dezember 1926 im Sanatorium Val-Mont bei Montreux an Leukämie. Eb


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