19.04.2024

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Suchen und finden
13.01.07 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-07 vom 13. Januar 2007

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde,

ich liebe Geschichten und schreibe gerne selber welche. Aber was sind sie gegen die wahren, die keiner Phantasie entsprungen sind, die das Leben schreibt. Und die schönsten sind die unserer Ostpreußischen Familie. Ich könnte wohl jede Wochenkolumne mit einer solchen Geschichte beginnen, die vom Suchen und Finden, von unerwarteten Begegnungen, von überraschend Entdecktem erzählen, aber dann geriete unsere eigentliche Aufgabe ins Hintertreffen, und das wollen wir ja nicht. Aber heute muß ich doch mit einer wahren Geschichte anfangen, denn sie greift ein Thema auf, das vor allem die älteren Landsleute betrifft und das der eigentliche Grund für unsere Leserin Edelgard Hesse war, das Erlebte aufzuschreiben und an mich zu senden. Die Riesenburgerin hatte an einem Heimattreffen teilgenommen, obgleich sie bei der Flucht noch ein Kleinkind gewesen war. Aber auch nach dem Tod ihrer Mutter Hedwig Bendig, geb. Freitag, vor zwei Jahren war sie weiter auf Spurensuche, und so auch im letzten Sommer in Jeddingen - nichtsahnend, daß ein Fluchterlebnis, das ihre Mutter ein Leben lang beschäftigt hat, hier eine unerwartete Wendung finden sollte.

Jenes Erlebnis fand im Januar 1945 statt, als die Witwe Anna Freitag aus Riesenburg - Frau Hesses Großmutter - mit ihren Töchtern Hedwig und Helene und deren drei kleinen Kindern auf einem Berliner Bahnhof aus einem Flüchtlingszug steigt. Sofort werden sie von den auf dem Bahnsteig wartenden Menschen umringt, die nach ihren Angehörigen suchen oder über deren Schicksal etwas wissen wollen. Auf Hedwig stürmt eine junge Frau zu, der die Verzweiflung im Gesicht steht: "Hast du meine Mutti gesehen?" Es ist Thea, eine Schulfreundin von der Haushaltsschule in Deutsch Eylau, die sich alleine durchgeschlagen hat. Hedwig, von der Flucht noch traumatisiert, schüttelt den Kopf. Am liebsten hätte sie gesagt: "Komm mit uns!" Aber sie meint dann doch: "Schlag dich allein durch. Du findest eher eine Unterkunft als sechs oder sieben Personen." Was sich dann auch als richtig erwies, denn die erhoffte Bleibe in Berlin wurde den Freitags nicht gewährt, und es blieb der Weiterzug ins Ungewisse. Aber auch als sie längst einen Wohnort gefunden hatten, machte sich Hedwig Vorwürfe: "Hätte ich Thea nicht helfen müssen?" Sie konnte die Verzweiflung der Schulfreundin nicht vergessen. "Es war eine Begegnung, die auch mich, damals noch ein Kleinkind, durch die Erzählungen meiner Mutter sehr beschäftigte."

Und dann kam das Treffen im letzten Juni in Jeddingen. Frau Hesse wird von einer älteren Teilnehmerin gefragt, ob sie auch aus Riesenburg sei. "Ich bin die Enkeltochter von Anna Freitag", sagt sie. "Anna Freitag? Meine Mutter betreute sie wie alle Kriegerwitwen!" Frau Hesse sah die Dame an, schätzte sie auf höchstens 70 Jahre! Ehe sie antworten konnte, sagte die Ältere: "Anna Freitag hatte eine Tochter, die Hedwig! Ich habe sie zum letzten Mal in Berlin gesehen, damals 1945!" Frau Hesse konnte nur sagen: "Das war meine Mutter!" Vor ihr stand Thea! Was sie kaum glauben konnte, denn sie mußte gleichaltrig mit ihrer verstorbenen Mutter sein. Es stimmte: Thea Laue, geb. Plottka, ist 91! "Nach über 60 Jahren traf ich nun jene junge Frau, von der mir meine Mutter immer erzählt, um die sie sich Sorgen gemacht hatte. Wenn sie das noch erlebt hätte, ich glaube, ein Stein wäre ihr von der Seele gefallen. Ich, das Kleinkind von damals, war nun froh, stellvertretend für meine Mutter das Ende der Geschichte zu hören, ihr sagen zu können, welche Empfindungen meine Mutter gehabt, wie unsagbar leid ihr alles getan hatte." Es stellte sich heraus, daß Thea ihre Mutter bald gefunden hatte. Sie konnte Frau Hesse viel aus der Jugendzeit ihrer Mutter Hedwig erzählen, vor allem aus der gemeinsamen Schulzeit. Thea Laue, geb. Plottka, hat ihr Leben gemeistert.

Ja, das ist die Geschichte einer unerwarteten Begegnung, die Frau Hesse zum Anlaß nimmt, ein Thema anzusprechen, das ihr gerade in letzter Zeit bewußt geworden ist: die Resignation und den damit verbundenen Entschluß einiger älterer Vertriebener, nicht mehr an Heimattreffen teilzunehmen: "Sie sagen: wenn ich keinen mehr kenne, gehe ich auch nicht hin. Aber gerade die älteren Teilnehmer sind für die jüngere Generation die Gefragtesten, haben sie doch das meiste Wissen über die Geschehnisse. An uns Jüngeren liegt es, dieses Wissen auszuschöpfen, damit es nicht verloren geht, damit möglichst wenig Fragen offen bleiben. Diese Treffen sind gerade für die jüngeren Teilnehmer eine Fundgrube, wenn sie richtig erschlossen wird." Sie selber erhofft sich, daß sich aufgrund dieser Veröffentlichung noch Vertriebene aus Riesenburg und Deutsch Eylau melden, die in dem Flüchtlingszug waren. (Edelgard Hesse, Weinbergstr. 38 in 19089 Criwitz, Telefon 0 38 65 / 22 25 77.)

Ähnliches kann auch für unsere Zeitung und besonders für die Ostpreußische Familie gelten, denn gerade die jüngeren Leserinnen und Leser interessieren sich für alles, was hier dokumentiert wird. Es ist auch gut, wenn sie herumgereicht und dadurch ein großer Interessentenkreis erschlossen wird, aber natürlich müssen wir zuerst an unsere treuen Stammleser denken, die ja unsere Zeitung tragen. Wer sie wöchentlich liest, ist also gut dran, manchen Gelegenheitsleserinnen und -lesern kann so manches Wissenswerte entgehen, vor allem, wenn es um die eigenen Wünsche und Fragen geht, die wir veröffentlicht haben. Ich war sehr überrascht, als ich von einer Dame, deren sehr schwierigen Suchwunsch wir vor gar nicht so langer Zeit erfüllen konnten, einen Weihnachtsgruß erhielt, in dem sie ihr Erstaunen zum Ausdruck gab, daß ich "noch schreibe". Immerhin gab es auch in der Weihnachtspost viel Erfreuliches zu lesen. So bedankte sich Horst Doerfer für die zweimalige Veröffentlichung seiner Suchfrage nach seinem Vater Kurt Doerfer, dessen letzte Nachricht Anfang März 1945 aus dem "Krankenhaus Schröder" aus Heiligenbeil kam. Er erhielt einen Anruf von Herrn Heinz Wandelt, der ihm mitteilte, daß sich dieses "Krankenhaus" in der ehemaligen Haushaltsschule befand und zum Feldlazarett umgebaut wurde. Frau Wandelt, gebürtig aus Heiligenbeil, konnte hierzu präzise Angaben machen. Nun konnte Herr Doerfer ein erneutes Schreiben an die Deutsche Dienststelle (WAST) richten. Vielleicht erinnern sich aber auch ehemalige Heiligenbeiler oder Wehrmachtsangehörige, die im Feldlazarett tätig waren oder als Verwundete dort gelegen haben, wohin das Lazarett beziehungsweise die Verwundeten verlegt wurden oder ob es dazu nicht mehr kam. (Horst Doerfer, Allensteiner Straße 11 in 74 226 Nordheim, Telefon 071 33 / 71 67 )

Unsere Ostpreußische Familie ist wieder gefragt, diesmal von und für Evelin Lehmann aus Ratingen. Ihre Großeltern sprachen immer von "tohuus", und damit meinten sie Nemmersdorf, das die in Berlin geborene Enkelin noch kannte, denn sie war als Kind in jedem Sommer in dem Geburtsort ihrer Mutter Hilda Dölle, geb. Lange. So auch 1944 - und einen Tag, bevor die Russen kamen und das furchtbarste Massaker anrichteten, konnte das Kind mit Mutter und Großmutter fliehen. Nun möchte Frau Lehmann die Geschichte der mütterlichen Linie für Kinder und Enkel aufschreiben, weiß jedoch viel zu wenig über die Familie. Aber sicher können alte Nemmersdorfer helfen, denn ihr Großvater war der Sattler und Brandmeister Fritz Lange. Er war mit Berta, geb. Wiese, verheiratet, die aus Sodinehlen stammen müßte - der Name ist so unleserlich geschrieben, daß ich meine ganzen altpreußischen Ortskenntnisse einsetzen mußte, um herauszubekommen, welcher Ort gemeint sein könnte. Frau Lehmann schreibt, daß sie von diesem Ort nie etwas in unserer Zeitung gelesen habe. Kann stimmen, denn Sodinehlen wurde 1938 in Jägersfreude umbenannt. Ihre Großmutter Berta Wiese war das jüngste von acht Kindern und kam früh in eine Pflegefamilie, weil die Eltern früh verstarben. Frau Lehmann hofft nun, daß sich Nachkommen der Geschwister ihrer Großmutter melden, ebenso möchte sie mehr über die Familie Lange wissen. Großvater Fritz behauptete, daß er Salzburger Abstammung sei. Da ihre Mutter schon 1981 verstarb, besitzt sie kaum konkrete Angaben, deshalb diese Bitte an unsere Ostpreußische Familie. (Evelin Lehmann, Herderstr. 10 in 40 882 Ratingen.)

Das wäre es wieder einmal. Und wie immer: Suchen und Finden in einem Sack. So könnte man sagen, in Abwandlung unseres alten ostpreußischen Sprichwortes, das so treffend unsere Mentalität bezeichnet: Lache on Jriene en eenem Sack! Wobei für Nichtostpreußen zu erklären wäre, daß mit "Jriene" nicht etwa "Grinsen" sondern "Greinen" gemeint ist, ein weinerliches Jammern. "Nu jjrien bloß nich, Marjell!" Wer von uns älteren Leserinnen hat die mütterliche Mahnung nicht noch in den Ohren. Jungens, die waren dann eher gransiig oder booßig! Stimmt's?

Eure Ruth Geede


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