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27.01.07 / Erziehung zum Haß im Namen des Türkentums / Der Mord am armenischen Journalisten Hrant Dink und die Schwachstellen im türkischen Selbstverständnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-07 vom 27. Januar 2007

Erziehung zum Haß im Namen des Türkentums
Der Mord am armenischen Journalisten Hrant Dink und die Schwachstellen im türkischen Selbstverständnis
von Mariano Albrecht

Der Mord an dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul löst einmal mehr die Diskussion über den Umgang der Türken mit ihrer Geschichte und ihren Minderheiten aus. Ein nationalistischer Extremist hat gestanden, einen 17jährigen angetrieben zu haben, Dink zu erschießen. Kaum hatte Ministerpräsident Erdogan die Tat als "Mord an der Türkei" bezeichnet, ließ auch der Aufschrei der Menschen auf der Straße nicht auf sich warten. In Trauer- und Protestkundgebungen skandierten Tausende: "Wir sind alle Hrant Dink, wir sind alle Armenier". Ferngesteuerte Massen oder aufrichtige Trauer?

Massenproteste und spontane Unmutsbekundungen haben in der Türkei Tradition und werden von politischen Parteien und Ideologen aller Couleurs mit großem Erfolg inszeniert. Im Jahre 2001 kam es zu mobartigen Aufmärschen beleidigter Türken, als die französische Nationalversammlung eine Resolution verabschiedete, die die Leugnung des Volkermords an den Armeniern zwischen 1915 und 1917 unter Strafe stellen sollte. Als PKK-Führer Öcalan auf seiner Flucht Syrien und Italien streifte, folgten prompte "Kriegserklärungen" durch aufgepeitschte Türken.

Jahrzehntelang zählten die Griechen zu den Lieblingsfeinden der Türkei. Doch den ersehnten EU-Beitritt vor Augen bewegt sich die angeblich reformwillige, islamische Erdogan-Regierung zumindest oberflächlich in Richtung Völkerverständigung. Ein ermordeter armenischer Journalist ist das letzte, was ins sorgsam gepflegte Image von der "neuen Türkei" paßt. Doch der Haß auf die Armenier sitzt tief. Schon 1894 zogen armenische Bauern den Zorn der osmanischen Obrigkeit auf sich, als sie sich weigerten, ihre Steuern zu zahlen. Die türkische Armee brachte damals Tausende Armenier um. 1909 wurden während eines Aufstandes gegen die regierende "Jungtürken"-Partei in der Gegend um Adana 20000 bis 30000 Armenier als angebliche Unterstützer der Regierung ermordet. 1915 wurden die Armenier dann für das Scheitern der türkischen Offensive gegen Rußland verantwortlich gemacht. Der damalige Innenminister Talaat schickte die in der Türkei lebenden Armenier auf den sogenannten "Todesmarsch", dabei ging es nicht um Umsiedlung, Talaat hatte den Befehl gegeben, "alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich auszurotten". Das alles wirkt bis in die Gegenwart.

Der 17jährige Mörder von Hrant Dink erscheint hier wie das gefährliche Opfer der seit der Republikgründung durch Mustafa Kemal Atatürk konsequent durchgezogenen Gleichschaltung von Bildungssystem, Politik und Medien durch sogenannte "kemalistische Hardliner". Diesen, den Lehren des Republikgründers blind nacheifernden Verkündigern des Türkentums ist die zuweilen tragisch anmutende Schizophrenie in den Köpfen vieler Türken zu verdanken. Zwar wird einerseits die Trennung von Staat und Religion gepredigt, doch der Islam bildet dennoch eine entscheidende Säule der Gesellschaft. Darüber hinaus strebt die Türkei zwar seit ihrer Gründung nach Westen, verharrt im Innern aber gleichzeitig in einer schon bizarr anmutenden Verherrlichung des Türkentums.

Der Blick über den Tellerrand steht in keinem Lehrplan. In diesem Spannungsverhältnis ist der 17jährige Mörder aufgewachsen, der ein egomanisch-nationalistisches Bildungswesen durchlaufen hatte. Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist im offiziellen türkischen Leben nicht vorgesehen - das macht junge Menschen anfällig.

Wagen sich dennoch Intellektuelle, Journalisten oder Künstler in der Türkei an brisante Themen heran, werden sie durch Medienkampagnen und ein gnadenloses Rechtssystem kriminalisiert und verunglimpft. Auch Hrant Dink wurde mehrmals wegen "Beleidigung des Türkentums" verurteilt.


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