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27.01.07 / Auf Ochsentour zum Königsmord / Interview mit Prof. Dr. Oskar Niedermayer zum Zustand der Parteien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-07 vom 27. Januar 2007

Auf Ochsentour zum Königsmord
Interview mit Prof. Dr. Oskar Niedermayer zum Zustand der Parteien

Betrachtet man die CSU und ihre Führungsdebatte sowie die relativ ungeschickt taktierende Parteispitze, aus der sich mögliche Nachfolger des bayerischen Ministerpräsidenten empfahlen, drängt sich die Frage nach dem Zustand der Parteien auf. Statt handelnden Persönlichkeiten waren, glaubte man den Medien, kaum bekannte oder ungeschickte Politiker dabei, ihre eigene Partei zu demontieren. Die Preußische Allgemeine Zeitung befragte den Berliner Politikwissenschaftler und Parteienforscher Professor Dr. Oskar Niedermayer vom "Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft" zum Zustand der Parteien und ihres Nachwuchses.

PAZ: Die CSU scheint niemanden zu haben, der Stoiber ersetzen könnte. Haben die Parteien ein Problem mit ihrem Nachwuchs?

Niedermayer: Seit längerer Zeit geht die Jugend nicht mehr in die Parteien. Nach der Hoch-Zeit der Parteieintritte und des Engagements junger Mitglieder in den 60er und 70er Jahren sowie des allgemeinen Interesses in dieser Epoche nahm der Zustrom ab. Folglich haben noch heute in den Parteien diese Jahrgänge das Sagen - die 68er. Nur die CDU ist da in gewisser Hinsicht eine Ausnahme. Ja, es gibt somit ein Nachwuchsproblem - mittlere und auch ältere Jahrgänge sind überrepräsentiert.

PAZ: Lassen die Parteien keine neuen Mitglieder hochkommen?

Niedermayer: So einfach ist es auch nicht. Bei der Frage, wer hochkommt sieht man nicht, daß die nachfolgenden Politiker weggebissen würden. Es stehen einfach zu wenig zur Verfügung. Bis zu einer gewissen Ebene kann man heute als junger Nachwuchspolitiker durchaus etwas werden in den Parteien. Über dieses Niveau hinaus sieht es natürlich bei den höheren Positionen anders aus. Insgesamt fehlen für wissenschaftliche Aussagen dazu jedoch die Zahlen. Das jüngste empirische Material dazu, wie Parteien ihre Spitzen auswählen, ist 20 Jahre alt.

PAZ: Und was zählt für solche Spitzenposten, beispielsweise den eines Ministerpräsidenten?

Niedermayer: Da sind zusätzliche Qualitäten gefragt: Neben der üblichen Ochsentour, für die vor allem die SPD bekannt ist, herrscht in einer Partei, übrigens auch der CSU, ein ausgeprägtes Proporzdenken. Es gilt also ein kompliziertes Verfahren, nach dem alle möglichen Gruppen in der Partei berücksichtigt werden wollen. Zudem muß ein Kandidat für das Ministerpräsidentenamt medientauglich sein und einen gewissen Bekanntheitsgrad aufweisen.

PAZ: Warum haben die Kronprinzen der CSU, Günther Beckstein, Horst Seehofer und Erwin Huber, so lange fruchtlos taktiert und warum gelang es ihnen bis zu Stoibers selbst angekündigtem Rücktritt nicht, sich wie gerade beschrieben für die Nachfolge zu empfehlen?

Niedermayer: Das Schicksal der möglichen Nachfolger, also der Kronprinzen, hängt sehr vom Naturell des zu Ersetzenden ab. Erfolgreiche Politiker schaffen es eher nicht, Nachfolger noch während ihrer Amtszeit zuzulassen und aufzubauen. Siehe Kurt Biedenkopf in Sachsen oder Erwin Teufel in Baden-Württemberg (beide ehemalige CDU-Ministerpräsidenten, Anm. d. Red.). Auch gelingt es ihnen selten, das Heft früh genug zu übergeben. Grund ist oft der mangelnde Glaube an die Fähigkeiten des oder der anderen.

PAZ: Aber warum sind die Kronprinzen der CSU so blaß und offenbar nicht gewillt den letzten Schritt zur Nachfolge zu gehen?

Niedermayer: In der Tat wirken sie genauso grau wie Stoiber. Die innerparteiliche Kultur läßt aber andere, weniger in die Tretmühle der Partei Einbezogene kaum zu. Junge Nachfolgehoffnungen sind der Bevölkerung auch einfach nicht bekannt. Wie halbherzig die Palastrevolte gegen Stoiber ausfiel, liegt daher an der Angst der Prinzen, die Posten, die sie schon haben, zu verlieren. Außerdem stürzen sich die Medien nicht gerade auf die Anhänger Stoibers. Der Königsmord ist gescheitert, weil viele ihn auch jetzt aus Überzeugung unterstützen und nicht aus Angst, die Partei werde sonst bei den nächsten Wahlen abgestraft.

PAZ: Kehren wir noch mal zum Nachwuchs zurück - warum sind vergleichsweise junge Politiker so selten, beziehungsweise unbekannt?

Niedermayer: Nun, eine ganze Generation fehlt jetzt praktisch. Gegen Ende der 80er Jahre kamen deutlich weniger Neumitglieder als zu Anfang des Jahrzehnts, auch bei der SPD. Zudem warben die Grünen speziell der SPD viele Jugendliche ab. Inzwischen sind jedoch auch bei den Grünen die Anhänger mit der Partei gealtert. Gerade deshalb ist es, wie vorhin angedeutet, relativ leicht, in einer Partei Ämter zu bekommen. Ämterkumulation liegt nämlich oft daran, daß sich niemand zur Verfügung stellt. Junge Leute können heute auch zu Attac gehen - die Parteien haben ihr einstiges Monopol auf politische Beteiligung verloren. Die Jugend will sich temporär, nicht dauerhaft engagieren, bei Projekten mitmachen, die sie betreffen, und dann auch wieder aufhören. Vielen Jugendlichen fehlt der Spaß bei stundenlangen Sitzungen und im Kampf gegen Windmühlen, wie dies Parteiarbeit nun mal braucht. Ein anderes Konzept politischer Beteiligung muß also her.

PAZ: Und was heißt das für die CSU?

Niedermayer: Sie könnte mehr für den Nachwuchs tun. Aber nicht nur die Parteien sind schuld. Die versuchen seit Jahren krampfhaft, Nachwuchs heranzuziehen. Sie sehen, daß ihnen die gesellschaftliche Verankerung wegzubrechen droht. Die SPD hat unter Vorsitz von Kurt Beck deswegen eine Kommission eingesetzt, versucht zu ergründen, wie Mitglieder zu gewinnen sind. Die CDU hat ähnliches vor. Gut erinnern kann ich mich auch noch an den Versuch Berliner Studenten, vor ein paar Jahren die FDP durch massenweise Eintritte zu übernehmen. Als viele dieser Studenten merkten, daß sie bis zu den nächsten Entscheidungen in der Partei von monatelanger, ausufernder Arbeit erwartet wurden, sind sie wieder ausgetreten. Die anderen sind immer noch dabei.

Generell bieten also kleinere Parteien Seiteneinsteigern mehr. Bei großen kommt es auf die Ochsentour an, ist die Durchlässigkeit nach außen geringer. Insofern drohen Parteien zur "ingroup", zur geschlossenen Gesellschaft zu werden. Doch man sollte, wie das Beispiel Berliner FDP zeigt, nicht immer nur auf die Parteien schimpfen.

Das Gespräch führte Sverre Gutschmidt

Foto: Die bayerischen "Kronprinzen": Der bayerische Wirtschaftsminister Huber (oben, v.l.), der Verbraucherschutzminister Seehofer, der Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag Hermann und der bayerische Innenminister Beckstein Foto: ddp


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