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10.02.07 / Mindestlohn ohne Kontrolle / Verstöße gegen das Entsendegesetz werden kaum überwacht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-07 vom 10. Februar 2007

Mindestlohn ohne Kontrolle
Verstöße gegen das Entsendegesetz werden kaum überwacht
von Sverre Gutschmidt

Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) droht einen nationalen Mindestlohn per Gesetz für alle Branchen und gegen den Widerstand des Koalitionspartners CDU einzuführen. Ein solcher Mindestlohn wäre unabhängig von den tariflichen Einigungen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. In der Baubranche gibt es den faktisch schon. Er wird dort allerdings verbindlich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgehandelt und ist dann bundesweit für das Bauhauptgewerbe gültig. So sieht es das Entsendegesetz vor. Bei Verstößen muß der Arbeitgeber zu wenig gezahlten Lohn zurückzahlen. Außerdem drohen ihm Geldstrafen nicht unter 25000 Euro. Bis zu 250000 Arbeitsplätze weniger gäbe es in Deutschland, wenn dieses Entsendegesetz nicht bestünde, schätzen Verbände von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Doch in der Realität behandeln Behörden wie Gewerkschaften das Thema ohne Interesse - Ratlosigkeit herrscht, Zahlen fehlen. Die Praxis scheint keiner zu kennen.

Nun will die Regierungskoalition das Entsendegesetz auf Gebäudereiniger ausdehnen. Ein Vorstoß, der zum Scheitern verurteilt ist, wenn nicht effiziente Kontrollen stattfinden. Der Wille von Behörden, Politik und Gewerkschaften diesen Mindestlohn auch einzufordern, also zu Dumpinglöhnen Beschäftigte zu erhören und konsequente Strafen zu verhängen, ist nämlich begrenzt. Nicht als Straftatbestand, sondern als Ordnungswidrigkeit wird selbst deutlich zu geringe Lohnzahlung geahndet. Die Überwachung des Entsendegesetzes läßt erkennen, wie realitätsfern die derzeitige Debatte ist.

Zuständig dafür ist der Zoll. Dessen Statistiken beziehungsweise die des Bundesfinanzministeriums weisen Ermittlungen oder Verstöße gegen das Entsendegesetz nicht als solche aus. Und das in einem Land, das für fast alles Statistiken erhebt. Bei den Ermittlungsverfahren 2005 fällt alles, was der Zoll zum Entsendegesetz und somit zur Durchsetzung von Mindestlohn unternahm, unter "andere Verstöße". 3863 Ermittlungsverfahren des Zollfahndungsdienstes gab es in jenem Jahr zu diesem weiten Feld. Ein Sammelbegriff für alles, was nicht mit Rauschgift, Außenwirtschaft, unmittelbaren Zollvergehen, Waffen, der Marktordnung oder Verbrauchssteuern zu tun hat. Es ist eine Zahl ohne Aussagewert.

Daß mit der Erweiterung des Entsendegesetzes Kontrollen verschärft würden oder auch nur annähernd das Ausmaß der Verstöße zu beziffern wäre, wird vom Zoll über diese magere Statistik hinaus ausdrücklich verneint. Selbst Schätzwerte dazu, wie oft wegen des Entsendegesetzes der Zoll als zuständige Behörde einschreiten mußte, existieren nicht. So etwas wäre "reine Kaffeesatzleserei", so ein unmittelbar für Grundsatzfragen zum Entsendegesetz zuständiger Mitarbeiter der immerhin zentral organisierten Bundesbehörde. Man müsse bei dem Gesetz zwischen Verstößen durch Ausländer und Inländer unterscheiden.

Im ersten Fall wäre beispielsweise ein polnischer Subunternehmer am Bau wegen schlechter Bezahlung seiner entsandten Mitarbeiter aufgefallen. Im zweiten Fall wäre ein deutscher Bauarbeiter nicht nach tariflichen Mindeststandards und somit zum Dumpinglohn beschäftigt gewesen. Dieser Unterscheidung folgen bei der Behörde, die gegen solche Verstöße einschreiten soll, keine differenzierten Maßnahmen. Kein Mitarbeiter erhebt diese Daten.

Nur wage Vermutungen wie die, daß es in den neuen Bundesländern wohl weniger Verstöße von ausländischen (Sub-)Unternehmen und anteilig womöglich mehr betroffene deutsche Bauarbeiter gebe, äußert der Mann für Grundsatzfragen des Zoll. Die meisten Fälle habe man wahrscheinlich "entlang der Rheinschiene und in München - da wo es halt viele Baustellen gibt". Dieser Mangel an Sachkenntnis läßt wenig für eine Ausweitung des Entsendegesetzes oder gar für einen generellen Mindestlohn hoffen. Ein Gesetz, das eher zufällig zollamtlich durchgesetzt wird, dürfte keine große Wirksamkeit entfalten. Die Verlockung zum Lohndrücken bleibt. Zwar seien Verstöße gegen das Arbeitnehmerentsendegesetz schon heute eines der Hauptprüfgebiete des Zolls, heißt es seitens der entsprechenden Abteilung - allein davon ist wenig zu bemerken. Extra Kontrollen deswegen gibt es nicht, eine anonyme Telefonleitung für Hinweise aus der Bevölkerung besteht zwar seitens des Zolls, sie ist aber nicht für derartige Verstöße gedacht. Weder Höhe und Gesamtzahl der Geldbußen noch die Kontrolldichte, das heißt die Wahrscheinlichkeit für Arbeitgeber erwischt zu werden, sind erfaßt, noch scheint beides die Bundesbehörde zu beschäftigen. Rund 6300 Mitarbeiter hat der Zoll. 85 Prozent dieser Beamten werden, nach zolleigenen Angaben, früher oder später mit Verstößen gegen das Entsendegesetz konfrontiert.

Auch die Gewerkschaft IG Bau betont, Hinweisen von Mitgliedern und Arbeitnehmern konsequent nachzugehen. Wie viele das sind und wie erfolgreich die Maßnahmen sind, kann die Gewerkschaft nicht beziffern. Die Lage sei stabil, durch flächendeckende Aktionen solle Druck ausgeübt werden. Selbst in den wenigen spektakulären Ermittlungsfällen bleiben jedoch

die Sanktionen für Lohndrücker überschaubar. Gewerkschafter sehen das optimistischer: "In einer Branche, wo die schwarzen Schafe statt des Tariflohns einfach mal vier oder fünf Euro pro Stunde zahlen, müssen Unternehmer bei Verstoß gegen den Mindestlohn nun mit Geldstrafen nicht unter 25000 Euro rechnen", sagt Klaus Wiesehügel, IG-Bau-Vorsitzender, mit Verweis auf die Ausweitung des Mindestlohns auf Gebäudereiniger. Daß die "Lohnspirale nach unten", so Wiesehügel, allein mit gewerkschaftlichen Aktionen und seltenen Zufallskontrollen der Behörden gestoppt werden kann, ist unwahrscheinlich. Wo es keine Daten gibt, gibt es auch kein Interesse.


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