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10.02.07 / Auf dem Weg zu den Sternen / Zum "Tag der Kinderhospizarbeit" am 10. Februar: Abschiednehmen in angenehmer Atmosphäre

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-07 vom 10. Februar 2007

Auf dem Weg zu den Sternen
Zum "Tag der Kinderhospizarbeit" am 10. Februar: Abschiednehmen in angenehmer Atmosphäre
von Corinna Weinert

Du, sag' mal, wie ist das eigentlich, ein Engel zu werden?" fragt der kleine Junge Uwe Sanneck mit ernstem Blick, als dieser sich zu ihm ans Bett setzt. Uwe Sanneck ist Seelsorger und Trauerbegleiter im Kinderhospiz "Sternenbrücke"; die Einrichtung betreut Kinder in ihrer letzten Lebensphase. "In der Sternenbrücke können sich Eltern und Kinder mit dem bevorstehenden Tod auseinandersetzen", erklärt Sanneck, "eine ehrliche Antwort ist wichtig", fährt er fort, "falsch wäre es, vom Thema abzulenken."

Vieles möchte der Siebenjährige an diesem Tag wissen, über das Sterben und über das, was danach passiert. Ob er im Himmel denn wohl sein Bein wieder bekommt, das man ihm amputiert hat, überlegt er. Der Krebs hat seinen kleinen Körper ausgezehrt, blaß ist er, müde und kraftlos. Lange wird es nicht mehr dauern, "dann geht er zu den Sternen" - wie man hier im Kinderhospiz sagt - das weiß der kleine Junge.

"Die Kinder spüren, wenn es soweit ist", meint Sanneck, "und sie wollen ernst genommen werden mit ihren Ängsten und Problemen."

"Meist ist es nicht der Tod, vor dem sich die Kindern fürchten, sondern das Sterben", erklärt Ute Nerge, die Initiatorin und Leiterin der "Sternenbrücke". Ob sie alleine sein werden, ob sie Schmerzen haben werden, beschäftigt die Kinder. "In der Phantasie der Kinder ist das Sterben oft noch viel grausamer als in der Wirklichkeit, deshalb ist es gut, über den Tod auch zu sprechen", meint Nerge. "Manchmal schleichen sich die Kinder an das Thema ran", fährt sie fort, "sie sehen etwas im Fernsehen und fragen dann: Sag' mal, sterben Kinder eigentlich auch? Und: Macht der liebe Gott Unterschiede zwischen Menschen und Tieren? Meinst du, ich treffe im Himmel den Hund von unserem Nachbarn wieder?"

"Einige Kinder regeln dann detailliert ihren Besitz", berichtet Sanneck, "und auch über ihre Eltern machen sie sich Gedanken", fügt Nerge hinzu, "sie wollen, daß sich jemand um ihre Eltern kümmert, wenn sie nicht mehr da sind." Aus ihrer langjährigen Erfahrung als Kinderkrankenschwester weiß sie, wie wichtig der Beistand für Eltern und Geschwister ist. In der "Sternenbrücke" erfahren die Familien, dem Leben trotz Trauer zu begegnen, finden Trost, Unterstützung und Zuspruch.

Die Themen Kindheit, Krankheit und Tod passen in unserer Vorstellungswelt nicht recht zusammen, denn Kinder, so sagen wir, haben das Leben ja noch vor sich. Der Tod ist jedoch keine Frage des Alters: In Deutschland sterben jährlich weit über 8000 Kinder an einer Krankheit, die bis heute als unheilbar gilt. Im letzten Jahr ist auf Initiative des Deutschen Kinderhospizvereins der 10. Februar zum bundesweiten "Tag der Kinderhospizarbeit" erklärt worden; so soll auf die Situation lebensverkürzend erkrankter Kinder und deren Familien aufmerksam gemacht werden.

Die "Sternenbrücke" ist ein Ort zum Sterben, gleichzeitig aber auch ein Haus voll Lebensfreude. "Bei uns wird gelacht und geweint", sagt Nerge, "hier wird alles dafür getan, daß der letzte Weg kranker Kinder nicht trist, sondern farbenreich und fröhlich ist." Die Wände sind in leuchtendem Gelb oder Orange gestrichen, in den Fluren und in den Kinderzimmern hängen bunte Bilder, überall im Haus sitzen große Stofftiere in den Ecken. Das Gebäude ist von einer weitläufigen Parkanlage umgeben, in der die Kinder im Rollstuhl spazieren gefahren werden, und es gibt zwei behindertengerechte Spielplätze. Die Bedürfnisse der Kinder stehen im Vordergrund; Türklinken sind nur 85 Zentimeter hoch, damit Kinder im Rollstuhl sie allein öffnen können. Die Fenster sind tief genug, so daß Kinder, die nur noch im Bett liegen, einen freien Blick auf den Garten haben. Das Haus, das sich in Hamburg-Rissen befindet, bietet Platz für zwölf Kinder und ihre Familien - die Großeltern inbegriffen, wenn die Familien das wünschen. Kinder und Eltern haben in der Regel separate Zimmer, für die letzte Lebensphase stehen jedoch Wohnbereiche zur Verfügung, in denen eine Treppe das unten gelegene Kinderzimmer mit dem oben liegenden Elternschlafzimmer verbindet; so können die Kinder im Rufkontakt mit den Eltern bleiben. Seit der Eröffnung der Einrichtung waren 220 Familien zu Gast, 36 Kinder im Alter von sechs Monaten bis 18 Jahren sind hier in dieser Zeit verstorben.

Die Kinderhospizarbeit entstand in England, der Heimat der Hospizbewegung. 1982 eröffnete in Oxford das weltweit erste Kinderhospiz. In Deutschland entstand 1998 auf Initiative des Kinderhospizvereins eine erste Einrichtung, die Kinder im Sterbeprozeß begleitet; mittlerweile gibt es sieben solcher Häuser in Deutschland, die eine stationäre Versorgung gewährleisten.

Die Erkrankungen der Kinder sind sehr unterschiedlich; es sind Stoffwechsel-, Muskel- und Tumorerkrankungen. Viele Kinder verlieren im Laufe der Zeit immer mehr Fähigkeiten, so daß sie letzt-endlich vollständig auf Hilfe anderer angewiesen sind. Häufig werden sie über Jahre hinweg - rund um die Uhr - von den Eltern betreut. "Das ist eine hohe Belastung für den gesamten Familienverband; die Eltern sind dann oftmals physisch und psychisch völlig erschöpft", weiß Sanneck. Das Kinderhospiz bietet in solchen Fällen eine Pflegeentlastung an; die Familien können mehrmals im Jahr - für insgesamt vier Wochen - zu Besuch kommen, um wieder Kraft zu tanken. Ein 20köpfiges Pflegeteam und drei Ärzte sorgen dafür, daß die Kinder eine gute palliative Fachpflege rund um die Uhr erfahren können. Eine individuelle Schmerztherapie ist dabei besonders wichtig. "Die Linderung von Schmerzen hat bei uns einen hohen Stellenwert", erklärt Sanneck, "denn Schmerzen beeinträchtigen das Wohnbefinden der Kinder erheblich." Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer nehmen sich insbesondere der Bedürfnisse und Sorgen der Eltern und Geschwisterkinder an.

Die Kosten für vier Wochen Pflegeentlastung im Kinderhospiz werden zu etwa 70 Prozent von den Kranken- und Pflegekassen bezahlt, allerdings nur für den Aufenthalt der Kinder. Der Aufenthalt der Eltern wird meist über Spenden finanziert. In der allerletzten Lebensphase ist ein zeitlich unbefristeter Aufenthalt in der "Sternenbrücke" möglich. Ute Nerge ist eines besonders wichtig: "Die Familien können unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten kommen, unser Haus ist für alle da, die Hilfe in dieser schweren Zeit brauchen."

Unterstützung wird vor allem benötigt, wenn die Zeit des Abschiednehmens gekommen ist. Um sich mit der Situation vertraut zu machen, können die Familien jederzeit in den Abschiedsraum gehen. Das ist ein großer, heller Raum, der mit seinen bodentiefen Fenstern zum Garten hin liegt. Hier werden die Kinder nach ihrem Tod aufgebahrt. Über dem blauen Bett mit dem Regenbogen und den gelben Sternen ist ein blondgelock-ter Engel an die Wand gemalt, rechts und links von ihm sind Kerzenhalter befestigt, und an der Decke glitzern mehr als 200 kleine Lämpchen. "Das symbolisiert den Sternenhimmel", erklärt Sanneck, "denn unsere Kinder sind Sternenkinder, wir hoffen, daß sie auf einem der Sterne ein neues Zuhause finden."

Für die Zeit nach dem Verlust werden die Eltern und Geschwister durch das Kinderhospiz in ihrer Trauer weiter begleitet. Monatlich findet eine Andacht für Eltern, Geschwister und Mitarbeiterinnen der "Sternenbrücke" statt, und alle sechs Wochen können sich die Eltern der verstorbenen Kinder im Trauercafé treffen. Im "Raum der Stille", der allen Besuchern der "Sternenbrücke" offen steht, werden Fotos der verstorbenen Kinder aufgehängt, in einem Erinnerungsbuch sind Name und Daten der Kinder festgehalten. "Jeweils am Geburts- und Todestag der Kinder schlagen wir die entsprechende Seite auf", erzählt Sanneck.

Eltern, die eines ihrer Kinder in der "Sternenbrücke" verlieren, erleben das Kinderhospiz somit weit über den Moment hinaus als einen Ort intensiver Erinnerungen. Die "Sternenbrücke" widmet diesen Erinnerungen durch einen kleinen Garten einen besonderen Platz. Der Garten ist in Herzform angelegt, an dem spiralförmigen Weg stehen Laternen mit dem Namen der verstorbenen Kinder; die Familien können - wann immer sie mögen - dorthin kommen und eine Kerze anzünden. Einmal im Jahr sind alle Familien eingeladen, der verstorbenen Kinder gemeinsam zu gedenken, "denn Erinnerungen", meint Sanneck, "sind kleine Sterne, die tröstend in das Dunkel der Trauer leuchten".

Begleitung in den Tod: Das Abschiedszimmer im Hamburger Kinderhospiz "Sternenbrücke" Foto: Sternenbrücke


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