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17.02.07 / Wo Menschenleben nichts wert sind / Chinas Arbeitslager: Laogai-Häftlinge als billige Sklaven und Organspender auf Abruf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-07 vom 17. Februar 2007

Wo Menschenleben nichts wert sind
Chinas Arbeitslager: Laogai-Häftlinge als billige Sklaven und Organspender auf Abruf
von Albrecht Rothacher

Die Zahl der Laogai, der Zwangsarbeitslager in China, ihrer Insassen und ihrer Todesopfer seit der Revolution sind Staatsgeheimnis. Wer in China als ehemaliger Insasse von seiner Haft spricht, riskiert, dort alsbald wieder zu verschwinden. Nach zuverlässigen Schätzungen von Harry Wu, einem Ex-Häftling und Leiter der "Internationalen Laogai Stiftung", hatte das von sowjetischen Gulag Experten entwickelte Laogai-System seit 1949 40 bis 50 Millionen Insassen, von denen die Hälfte zu Tode kam. Heute sitzen etwa sieben Millionen Menschen in 1300 Zwangsarbeitslagern ein. Davon sind zehn Prozent politische und religiöse Häftlinge. In den den Gefängnissen angeschlossenen Arbeitskolonien muß zwölf bis 16 Stunden täglich unbezahlte Schwerarbeit geleistet werden: in Steinbrüchen, beim Kanal-, Straßen- und Eisenbahnbau, im Bergbau, in der Urbarmachung von Ödland und in der Landwirtschaft.

Es gibt aber auch eine moderne Variante: die Sklavenarbeit für den Export. So werden von den Gefängnisfirmen so ziemlich alle Produkte für den Weltmarkt gefertigt, von Elektronikteilen, Christbaumschmuck und Perücken bis zu Gummistiefeln, Saatgut und Teebeuteln. Eine Netzseite der verfolgten Sekte Falun Gong dokumentiert, wie im Frauenarbeitslager Xin'an in Peking von der als "Mickey Toys Co" getarnten Gefängnisfabrik niedliche Spielzeughasen und Puppenstuben als Auftragsarbeiten für westliche Diskontläden hergestellt werden. Eine internationale Boykottbewegung gewinnt deshalb an Boden. 2005 verlangte das US-amerikanische Repräsentantenhaus nahezu einstimmig ein Importverbot von Laogai-Produkten. Im letzten Sommer forderte dies auch die Menschenrechtsbeauftragte der CDU, Erika Steinbach, und im Herbst des Vorjahres auch das Europäische Parlament. Doch tun sich die Außenministerien schwer, das heikle Thema gegenüber den mimosenhaften chinesischen Kommunistenführern vorzutragen. Manchmal hat die Verwaltung auch schlicht keine Ahnung. Als im August 2006 die Hamburger GAL vom Senat wissen wollte, ob die aus China bestellte billige Dienstbekleidung für Justizbeamte in Sträflingsarbeit gefertigt wurde - aus einem Knast in den nächsten sozusagen -, mußte die Verwaltung eingestehen, das könne sie nicht wissen. Sie vertraue dem Lieferanten. Schließlich stehe "Made in China" auf den Etiketten, und nicht: "Im Laogai hergestellt".

Die Herkunft der Lagerinsassen folgt dem Repressionskurs der KPCh. 1949 füllten sich die neuen Lager mit kriegsgefangenen Soldaten der Kuomintang und den verhafteten Funktionären der KMT. In den 50er Jahren kamen sogenannte Großbauern, Kapitalisten und Reaktionäre an die Reihe. Nach 1957 die intellektuellen "Rechtsabweichler", die sich von der falschen Liberalität der Phase "Laßt 100 Blumen blühen" zur Kritik am KP-Regime hatten verführen lassen. Nach dem Scheitern des "Großen Sprungs nach vorn" wurden die üblichen Sündenböcke eingesperrt. Während der Kulturrevolution (1966-1976) wurden neben den noch lebenden Angehörigen des alten Bürgertums, Minderheitenangehörige, auch alte KP-Kader, und zum Schluß selbst Rotgardisten inhaftiert. Nach dem Tode Maos (1976) blieb das Laogai-System in China weiter im Betrieb. Auch unter Deng Xiaoping und seinen Nachfolgern wurde China nie entstalinisiert. Mit der Niederschlagung der Demokratiebewegung wanderten die studentischen Aktivisten sowie Organisatoren unabhängiger Gewerkschaften und ethnischer Minderheiten (Tibeter, Uighuren) in die Laogai. 1998 wurden die Initiatoren der einen Sommer lang geduldeten Demokratischen Partei verhaftet und ab 1999 alle Falun-Gong-Anhänger, derer man habhaft werden konnte. Heute werden Internet-Aktivisten, die Zuarbeiter ausländischer Journalisten (wegen "Geheimnisverrats") sowie Umwelt- und Sozialaktivisten, die gegen örtliche Machtmißbräuche, Enteignungen, Arbeitsunfälle und Zwangsabtreibungen angehen, in Lagerhaft gesteckt. Hintergrund ist Präsident und Parteichef Hu Jintaos aktueller Machtkampf gegen die "liberaleren" Parteicliquen aus Peking und Schanghai. Auch diskutiert die Partei die Gefährlichkeit jener "subversiven Elemente", die seinerzeit in der Ukraine, in Serbien, Georgien und Kirgisien ihre Gesinnungsgenossen stürzen halfen. Während der Olympischen Spiele von 2008 soll niemand sich in Illusionen wiegen, die Herrschaft der Partei unter dem Schutze der Weltaufmerksamkeit in Frage stellen zu können, so das Kalkül des Parteichefs.

Versuche zur Reform oder gar der Abschaffung der Laogai hat Hu schon vor Jahresfrist unterbunden. Denn für viele chinesische Juristen sind die stalinistische Brutalität der Zwangsarbeit, die Möglichkeit jedes Milizkommandanten, Bezirksrichters und Ortsparteisekretärs, ohne Verfahren jeden mißliebigen Mitbürger wegen angeblicher Arbeitsscheu bis zu drei Jahre ins Arbeitslager zu schicken - politische Anführer erhalten nach Geheimprozessen 15 bis 20 Jahre - und die mangelnde Produktivität der Zwangsarbeit schon lange ein Dorn im Auge. Doch setzten sich dank Hu einmal mehr die Interessen des Sicherheitsapparates durch. Zu Maos Lebzeiten wurden ähnlich wie im sowjetischen Gulag die Sklavenarbeiter des Laogai (wörtlich: "Besserung durch Arbeit", eine ebenso zynische Variante des "Arbeit macht frei") bei Großprojekten verheizt.

Der kommunistische Straf- und Zwangsarbeitsvollzug geht auch in China von dem Prinzip aus, daß die Gefangenen durch ihre Arbeit für ihren eigenen Unterhalt, die Gehälter und Prämien ihrer Wärter sowie die Betriebskosten der Lager aufkommen müssen. Die Unterdrückung des eigenen Bürgers soll den Staat nichts kosten.

Die Gefängnisbetriebe sind allerdings genauso ineffizient, korrupt und schlecht geführt wie die anderen Staatsbetriebe in China. Ihr Maschinenpark ist veraltet, die Produkte von schlechter Qualität, und die Standorte oft ungünstig gewählt: weit ab von den Rohstoffen und den Absatzmärkten. Die Wärter foltern Häftlinge, die ihre Arbeitsnorm nicht erfüllen, indem sie sie an Wandhaken aufhängen, mit Elektrostöcken quälen und von Kapos verprügeln lassen, oder sie sperren sie in von Ungeziefer wimmelnden Einzelzellen ein. Gelegentlich verbessert die Gefängnisleitung ihr Einkommen, indem sie geeignete Gefangene zur Organentnahme erschießen läßt. Dies wird in einem Bericht des Europäischen Parlaments vom Mai 2006 als gängige Praxis erwähnt. In den überfüllten Anstalten müssen sich zwei Häftlinge oft eine Pritsche teilen. Hepatitis und Tuberkulose grassieren. Doch wird medizinische Betreuung meist verweigert.

Moralische Entrüstung über die massenhaften Menschenrechtsverletzungen mit der größten Zahl an Hinrichtungen und dem größten Netz an Zwangsarbeitslagern der Welt ist sicher wohlfeil. Der Importbann gegen Laogai-Produkte wäre nach Artikel 20 des GATT legal, der die Diskriminierung von Waren aus Gefängnis- und Zwangsarbeit erlaubt. Erwartungsgemäß verhalten sich die chinesischen Behörden in dieser heiklen Frage wenig kooperativ. Dem US-Zoll wird seit 1998 der Zugang zu Laogai-Fabriken verweigert. Die Europäer machen nicht einmal den Versuch. Dabei sollte der westlichen Verhandlungsführer gewärtig sein, daß China mit einem Handelsüberschuß von 80 Milliarden Euro gegenüber der EU die Märkte des Westens mehr braucht als umgekehrt. Da empfiehlt sich die Beweislastumkehr: Der chinesische Exporteur sollte beweisen können, daß sein Produkt zur Gänze nicht von Sträflingsarbeit hergestellt wurde.

Foto: Versucht aufzurütteln: Der im amerikanischen Exil lebende Harry Wu war 19 Jahre in einem Laogai.


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