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24.02.07 / Sadistisches Fernseh-Spiel / TV-Sendung spielt Konzentrationslager

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-07 vom 24. Februar 2007

Sadistisches Fernseh-Spiel
TV-Sendung spielt Konzentrationslager

Wohl nahezu jeder hat mittlerweile ein bis zwei Folgen der berühmt-berüchtigten Container-Show "Big Brother" über sich ergehen lassen. Nicht unbedingt, weil es ihm gefallen hätte, sondern einfach, um mitreden zu können, wenn mal wieder eine heiße Diskussion über das "ach so unmögliche Verhalten" der Bewohner eben dieses Containers entbrennt, in dem die dort "eingesperrten" Menschen bei ihren täglichen Verrichtungen gefilmt und zum Teil live übers Fernsehen übertragen werden.

Der Clou an der Sache ist, daß die Zuschauer über Stimmabgabe sogar die Möglichkeit haben, interaktiv am Geschehen beteiligt zu sein, indem sie die eher unbeliebten Gesichter aus der Show herauswählen.

Auf einer ähnlichen Grundlage hat auch Amélie Nothomb ihren schockierenden Roman "Reality-Show" aufgebaut. Man könnte auch sagen "Reality-TV, auf die Spitze getrieben".

Eine Fernseh-Show namens "Konzentration", ein kameraüberwachtes Lager, in dem die Inhaftierten hart arbeiten müssen und von den "Kapos" körperlich gezüchtigt werden, sorgt in Amélie Nothombs Utopie der Zukunft für exorbitante Einschaltquoten.

Die Zuschauer, angefangen beim kleinsten Arbeiter bis hin zu den hohen Tieren der Politik, sind empört und gleichzeitig gefangen von der Perversion des zur Schau gestellten Leides der Gefangenen.

"Doch die Quoten stiegen unaufhörlich. Ein Kommentar beschäftigte sich mit diesem abartigen Phänomen: ,Es ist widerwärtig: Je mehr sie sich empören, desto mehr sehen sie zu!' Das Paradoxon wurde von sämtlichen Medien aufgegriffen und ausgewalzt. Das Publikum der Sendung erreichte eine nie gekannte Größenordnung ... In den Abendnachrichten ging ein Sprecher auf den morgendlichen Kommentar ein: ,Je mehr wir über ,Konzentration' sprechen, je mehr wir die Grausamkeit der Sendung geißeln, desto besser läuft sie. Schweigen wäre eine Lösung.' ... Der Aufruf zum Schweigen erzielte in den Medien ein sagenhaftes Echo ... Die Zuschauerzahlen von ,Konzentration' sprengten alle Rekorde."

"Reality-Show" ist ein mitreißender Roman, der seinen Höhepunkt darin findet, daß nicht mehr die "Kapos" Tag für Tag die schwächsten Gefangenen aussortieren, sondern die Zuschauer per Teletext die Todeskandidaten für den kommenden Tag wählen dürfen.

"Es war eine Direktübertragung, und das Publikum wußte es: In einer Ecke des Bildschirms war das Wort ,live' eingeblendet ... ,Entsetzlich', sagten die Politiker vor den Fernsehgeräten und schüttelten verzweifelt den Kopf. ,Wir hätten das verhindern müssen' ... ,Da muß sie jetzt durch, sag ich dir', sagten die Leute in den Bars, die mit starrem Blick zum Bildschirm an der Theke hingen. ,Scheiße ist das. Daß die Politiker solche Sauereien zulassen!'"

Packend, schockierend, und wenn wir die voranschreitende Veränderung im Fernsehprogramm, die wachsende Lust am Voyeurismus des Publikums und der Medien bedenken, vielleicht gar nicht so abwegig. A. Ney

Amélie Nothomb: "Reality-Show", Diogenes, Zürich 2007, geb.unden 170 Seiten, 18,90 Euro, Best.-Nr. 6075


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