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03.03.07 / Einfach außen vor gelassen / Pietisten beklagen einseitiges Zukunftspapier der "Evangelischen Kirche Deutschland"

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-07 vom 03. März 2007

Einfach außen vor gelassen
Pietisten beklagen einseitiges Zukunftspapier der "Evangelischen Kirche Deutschland"

Gegen einen Rückzug der Evangelikalen in gesellschaftliche Nischen und für eine engere Zusammenarbeit mit Landeskirchen hat sich der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbands (Vereinigung Landeskirchlicher Gemeinschaften), Pfarrer Christoph Morgner (Kassel), ausgesprochen. Christen müßten geschlossener auftreten, wenn sie ihre ethischen Positionen zu Gehör bringen wollen, sagte Morgner bei der Mitgliederversammlung der pietistischen Dachorganisation in Wildberg (Nordschwarzwald). Die Diskussionen um Embryonenschutz, Sterbehilfe und Ladenöffnungszeiten am Sonntag hätten gezeigt, daß nur Aussagen der beiden Großkirchen wahrgenommen würden. Auch könne man dem zunehmenden religiösen Gegenwind durch Islam und Esoterik nur gemeinsam standhalten. Zu "Gnadau" gehören 93 regionale Gemeinschaftsverbände, Diakonissen-Mutterhäuser, theologische Ausbildungsstätten, Missionen, Jugendverbände und freie Werke. Sie repräsentieren rund 30000 Pietisten.

Morgner bedauerte, daß das Zukunftspapier "Kirche der Freiheit" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) kaum auf Erfahrungen der Gemeinschaftsverbände eingehe. So schlage die EKD vor, das Netz der nach Wohngebieten geordneten Kirchengemeinden in den nächsten Jahrzehnten durch Personalgemeinden zu ergänzen, denen auch Mitglieder aus anderen Gebieten angehören können. Laut Morgner gibt es solche Gemeinden bereits, beispielsweise seit 130 Jahren im Rahmen der Berliner Stadtmission. Sie böten ein geistliches Zuhause mit Gottesdiensten, Taufen, Trauungen und Beerdigungen. Kritik übte Morgner daran, daß Prediger der Gemeinschaftsverbände weder im EKD-Zukunftspapier noch im Ordinationspapier der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands als Berufsgruppe vorkämen. Trotz einer umfangreichen theologischen Ausbildung würden sie mit Lektoren und Prädikanten gleichgesetzt, die nur nach einer besonderen kirchlichen Eignungsprüfung Amtshandlungen durchführen dürfen. "Unsere Predigerschaft ist keine kirchlich zu vernachlässigende Größe, sondern eine im Zuge des sich weiter ausdünnenden Netzes kirchlicher Flächenversorgung immer gewichtiger werdende Gruppe", so Morgner.

Er beklagte eine Tendenz zum "Winkel-Evangelikalismus". Die evangelikale Welt splittere sich auf, Christliche "Ich-AGs" nähmen zu. Gründe seien ein individualistischer Umgang mit der Bibel und ein verkürztes Kirchenverständnis. Anders als Katholiken hätten Protestanten kein Problem, die Kirche zu wechseln oder eine eigene zu gründen. Das erkläre die Existenz von weltweit mehr als 3000 verschiedenen evangelischen Glaubensrichtungen, von denen die meisten nur wenige Jahre bestünden.

Morgner beobachtet, daß pietistische Gemeinschaften nicht mehr so evangelistisch ausgerichtet seien wie früher. Manche Kirchengemeinden und Freikirchen seien aktiver. Viele Gemeinschaften beschränkten sich darauf, alle drei Jahre an ProChrist teilzunehmen. Dabei sei diese Aktion mit Videoübertragungen nur ein Notbehelf. Eine Live-Evangelisation, bei der sich Redner auf die örtliche Situation einstellen, sei nicht zu ersetzen. idea

 

Die Gnadauer

Der Gnadauer Gemeinschaftsverband ist ein freies missionarisches Werk, das innerhalb der evangelischen Landeskirchen und darüber hinaus seinen Dienst tut. Die örtlichen Gemeinschaften (Landeskirchliche Gemeinschaften, Stadtmissionen) sind in regionalen Verbänden zusammengeschlossen. Unter dem Dach "Gnadaus" (www.gnadauer.de) sind regionale Verbände und Werke und die zur Gemeinschaftsbewegung gehörenden Ausbildungsstätten, Missionen und diakonischen Werke und Einrichtungen zusammengeschlossen.

Die Wurzeln der Gemeinschaftsbewegung liegen vor allem in der Reformation, deren zentrale, inhaltliche Anliegen aufgenommen wurden. Daneben wurde der Gedanke des allgemeinen Priestertums der Gläubigen aufgegriffen, wobei die "dritte Form des Gottesdienstes", nach Martin Luther, Einleitung zur Deutschen Messe (1525), besonders zu betonen ist. Auch der Barockpietismus, zu dem besonders in Württemberg unmittelbare geschichtliche Verbindungen bestehen, prägte, weil dort Gemeinschaften aus dieser Zeit existieren, die die Epoche des Rationalismus überdauert haben und direkt in die Gemeinschaftsbewegung eingemündet sind. Stärker noch zeigen sich die Verwurzelungen im Inhaltlichen: So wurden in der Gemeinschaftsbewegung die sogenannte "collegia pietatis" als kleine Gruppen, die sich außerhalb des Gemeindesgottesdienstes zu Bibellektüre und Gebet treffen, heimisch. Auch gibt es anglo-amerikanische Einflüsse (Methodismus, Heiligungsbewegung).

Im Jahre 1888 fand die erste sogenannte Pfingstkonferenz der Gemeinschaftsbewegung in Gnadau statt (daher der Name), einem Ort mit einer Herrnhuter Siedlung in der Nähe von Magdeburg.

Foto: Nur auf sich bezogen? Dem EKD-Vorsitzenden (2. v. l.) wird vorgeworfen, aufgrund fehlender Offenheit Abspaltungstendenzen vieler Evangelikalen zu verstärken. Foto: ddp


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