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03.03.07 / Der lange Streit um die Geschichte / Vergangenes in Schulbüchern: Welche Sichtweisen mußten Schüler lernen?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-07 vom 03. März 2007

Der lange Streit um die Geschichte
Vergangenes in Schulbüchern: Welche Sichtweisen mußten Schüler lernen?
von Karlheinz Lau

Der alte Streit ist nicht vergessen: Schulbücher stehen im Fadenkreuz von Wissenschaft und Politik. Als 1976 die Schulbuchempfehlungen in der alten Bundesrepublik veröffentlicht wurden, gab es postwendend härteste Kontroversen zwischen Befürwortern und Gegnern, Experten des Vertriebenenverbandes erarbeiteten Alternativ-Empfehlungen - allerdings ohne polnische Beteiligung zum Beispiel aus Exilkreisen. Auch in der Volksrepublik Polen herrschte damals keine einhellige Zustimmung - soweit die Empfehlungen dort bekannt wurden. Jetzt steht unter diesem Motto die vom Georg-

Eckert-Schulbuchinstitut zusammengestellte Ausstellung zum 35. Jahrestag der Gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuch-Kommission.

Die strittigen Punkte sollten noch einmal in die Erinnerung gebracht werden. Darum ging es in erster Linie: Der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 und das Verbrechen von Katyn wurden in den Empfehlungen nicht genannt; der Begriff "Vertreibung" wurde umschrieben, etwa mit "Bevölkerungsverschiebungen". Die Existenz einer deutschen Volksgruppe in Ostdeutschland wurde durch die polnischen Vertreter negiert, keinen Widerspruch gab es gegen die polnische Position, daß das sogenannte "Potsdamer Abkommen" und der Warschauer Vertrag von 1970 die Endgültigkeit der Grenze an Oder und Lausitzer Neiße festschrieben; man erinnert sich an die berühmte Perlenschnur als Grenzmarkierung in Schulatlanten. Hier warfen die Kritiker der Empfehlungen den deutschen Mitgliedern der Kommission fehlendes Standvermögen und Zurückweichen vor den polnischen Positionen vor.

Der Streit erreichte selbst Landesparlamente in der alten Bundesrepublik, in denen gerungen wurde, die Empfehlungen verbindlich für Lehrpläne und Unterricht zu erklären. Die "Front" verlief zwischen CDU/CSU- und SPD/FDP-regierten Ländern, folgerichtig scheiterte auch eine einheitliche Meinungsbildung in der Kultusministerkonferenz. Diese Auseinandersetzungen können heute in der Rückschau als Teil der Zeitgeschichte angesehen werden, sie hatten aber ohne Zweifel das positive Ergebnis, daß das Thema Polen und deutsch-polnische Beziehungsgeschichte für manchen Zeitgenossen überhaupt erst erkennbar wurde; wir wissen: bis heute noch viel zu wenig.

Am 6. Juli 2002 schrieb der Verfasser im "Ostpreußenblatt" aus Anlaß des 30jährigen Bestehens der Schulbuchkommission: "Der Umgang mit einst stark umstrittenen Themen der deutsch-polnischen Beziehungen hat sich weitgehend normalisiert." Und es sollte hinzugefügt werden. Die Arbeit findet nahezu unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit statt. Zwar wollen gegenwärtig einige polnische Politiker alte Ressentiments wieder wecken; hierzu gab Prof. Wladyslaw Markiewicz, Doyen der polnischen Soziologen, in seiner Festrede zur Eröffnung der Ausstellung eine von vielen Polen geteilte Antwort: "Primitive Dummheit". Er ist immerhin der polnische Gründungsvorsitzende der gemeinsamen Kommission von 1972.

Deutlich muß jetzt festgestellt werden, daß die bisherigen kritischen Punkte in den Empfehlungen ausgeräumt sind, seit Wissenschaftler - auch hier findet der Generationenwechsel statt - ohne politischen Druck auf der Grundlage der aktuellen Forschungsergebnisse ihre Arbeit durchführen können: Das wurde möglich durch die politische Wende in Europa, in Polen und Deutschland. Dies bedeutet, daß die Empfehlungen von 1976 nicht mehr als Argument instrumentalisiert werden können; diese Erkenntnis hat sich allerdings in Deutschland noch immer nicht herumgesprochen.

Die Jubiläumsausstellung ist jedem Interessenten zu empfehlen, weil auf einzelnen Schautafeln alle Etappen der bisherigen Arbeit, Kritisches und Hemmendes deutlich dokumentiert werden. So widmet sich eine Tafel den Alternativ-Empfehlungen, deren Einwände gegen die Empfehlungen schon lange in der Kommission akzeptiert werden; eine andere Tafel nimmt zur Kritik der Auslassungen - zum Beispiel des Hitler-Stalin-Paktes - Stellung: Wäre dieser aufgenommen worden, hätte auf Druck Moskaus die Arbeit beendet werden können. Die deutschen Vertreter standen also vor einer Güterabwägung. Sie hatten sich zur Fortsetzung unter Inkaufnahme von Defiziten entschieden, im Nachhinein richtig. Eine weitere Tafel bietet Informationen über die gleichzeitig tagende Schulbuchkommission DDR-Polen; man kann annehmen, daß Informationsströme auf polnischer Seite flossen. Diese Tatsache war bislang im weiteren Umfeld nur vermutet worden. Politisch korrekt müßte also "unsere" Kommission bis 1989/90 westdeutsche-polnische Schulbuchkommission genannt werden.

Der polnische Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, betonte den Einfluß der Kommission, durch ihren Dialog das deutsch-polnische Verhältnis in schwierigen Zeiten positiv beeinflußt zu haben, die beiderseitigen Sichtweisen über die wechselvolle Beziehungsgeschichte hätten sich angenähert, unterschiedliche Geschichtsbilder würden aber bestehen bleiben - man denke nur an Tannenberg.

Prawda plädierte für ein deutsch-polnisches Geschichtsbuch, wie es bereits ein deutsch-französisches Lehrwerk gibt. Angesichts der augenblicklichen Pulverdämpfe darf man gespannt sein, ob der polnische Präsident oder der Ministerpräsident sich den Vorschlag ihres Botschafters zu eigen machen werden.

Die Ausstellung "Schulbücher im Fadenkreuz von Wissenschaft und Politik" ist vom 1. bis 23. März in der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin (Luisenstraße 18) zu besichtigen sowie vom 29. März bis 6. Mai im Braunschweiger Landesmuseum (Burgplatz).


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