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03.03.07 / Der neue Blick auf Preußen / Australisch-britischer Historiker in Berlin: "Die Faszination hat mich nicht mehr losgelassen"

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-07 vom 03. März 2007

Der neue Blick auf Preußen
Australisch-britischer Historiker in Berlin: "Die Faszination hat mich nicht mehr losgelassen"
von Markus Schleusener

Im Jahre 1985 überquert Christopher Clark erstmals mit seiner Freundin die Berliner Sektorengrenze. Als er im Ostteil auf dem Bahnhof Friedrichstraße ankommt, meint er zu erkennen, was ihm während seines Aufenthaltes in West-Berlin immer wie ein Staat aus der weit entfernten Vergangenheit vorkam: Preußen. "Diese Ausflüge über die deutsch-deutsche Grenze waren für mich eine unerschöpfliche Inspiration."

Unter den Linden sieht Clark Preußens Gebäude, die NVA-Paraden, die "versteinerten Gesichter" der Grenzpolizisten.

Das Preußenbild in der angloamerikanischen Welt wurde und wird von deutschen Dissidenten des 19. Jahrhunderts geprägt. Es fällt daher ziemlich miserabel aus. Erfrischend ist es daher, wenn sich ein angelsächsischer Geschichtsprofessor in die Sache vertieft und feststellt: Preußen war besser als sein Ruf. Clarks Sichtweise hat sich gedreht.

Die Faszination hat den Historiker vor 20 Jahren veranlaßt, sich näher mit dem Thema zu befassen. Inzwischen lehrt er in Cambridge Geschichte und hat nun ein Buch über "Preußen - Aufstieg und Niedergang 1600-1947" vorgelegt (Originaltitel: "The Rise and Fall of Prussia 1600-1947").

Wie konnte dieser Staat einen so fulminanten Aufstieg nehmen - gerade nach dem 30jährigen Krieg? Wie kam es zu der großen Diskrepanz zwischen den spärlichen Mitteln und der großen militärischen Stärke? Warum ging das auch nach 1918 teilweise noch, nach 1945 aber nicht mehr?

Das sind die Fragen rund um Preußen, mit denen sich Clark (Jahrgang 1960) seit seinen "Berliner Jahren" beschäftigt hat. "Die Faszination hat mich nicht mehr losgelassen", sagt er. Er hatte noch eine andere Motivation, aber die bleibt im Buch unausgesprochen. Sie ist auch eher tagespolitischer statt historischer Natur: Clark findet, daß im gegenwärtigen "neoliberalen Diskurs" der Staat als Institution zu schlecht wegkommt. Deswegen die Studie über den preußischen Staat, der gemeinhin als besonders effizient gilt.

Preußen war ein Staat mit einer für damals bombastischen Alphabetisierungsrate. Auch das war eine Voraussetzung für seine militärischen Erfolge, hat Clark herausgefunden.

Preußen also als Vehikel in einer tagespolitischen Debatte? "Was ich da versucht habe, war, das Positive am Staatsgedanken hervorzuheben." Wenn Clark dann aber auch noch Marx und Engels zitiert, ihre Staatstheorie lobt, ist der Beweis erbracht, daß Historiker gut beraten sind, von der Beurteilung des Tagesgeschehens die Hände zu lassen.

In seinem Buch stellt Clark die radikale These auf: "Deutschland war nicht die Erfüllung Preußens, sondern sein Verderben." 1871 habe Preußen aufgehört zu existieren, sagt Clark und steht damit im Gegensatz zu jenen Kollegen, die sich eine Kontinuität von Friedrich dem Großen bis zu Hitler zurechtgezimmert haben.

Preußen sei ein Staat, der auf Tradition verzichtet habe - und auch nicht viel hinterlassen habe, behauptet Clark. 1701 habe sich Friedrich I. bewußt selbst zum König gekrönt. Er sei ein selfmade king gewesen, charakterisiert Clark in Anlehnung an den amerikanischen selfmade man. Später sei Preußen in Deutschland aufgegangen. Der "Betriebsunfall" von 1933 habe nicht mehr viel Preußenspezifisches gehabt, so Clark.

Selbst die Zunft der deutschen Soziologen ist inzwischen soweit, ihren Frieden mit Preußen zu machen. Vor 20 Jahren wetterte Hans-Ulrich Wehler noch gegen die "Preußen-Mode" der späten 70er Jahre. "Preußen vergiftet uns", schrieb Wehler sogar noch 1992 in der "Frankfurter Allgemeinen".

Lange her, der Berliner Sozialgeschichtsforscher Jürgen Kocka (65) ist voll des Lobes für das 781-Seiten-Werk von Clark: "Kunstvoll" sei die "vorzüglich lesbare Geschichte Preußens", urteilt der Laudator bei der Buchvorstellung im Haus der Bertelsmannstiftung vergangene Woche.

"Preußen", sagt Kocka, "hat längst aufgehört, das Zentrum von Kontroversen zu sein." Clark sei an das Thema unvoreingenommen herangegangen - "keine Leidenschaft der Abrechnung, kein Eifer der Pädagogik".

Die "Befürchtungen von 1990" hätten sich nicht bewahrheitet, stellt Kocka fest. Zwar waren diese "Befürchtungen" auch damals schon Hirngespinste, aber es ist trotzdem überraschend, daß ein linker Sozialgeschichtswissenschaftler dies nun auch offen einräumt.


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