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03.03.07 / Krise hinter Schloß und Riegel / Deutschlands Gefängnisse quellen über, und so bleiben Strafttäter auf freiem Fuß

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-07 vom 03. März 2007

Krise hinter Schloß und Riegel
Deutschlands Gefängnisse quellen über, und so bleiben Strafttäter auf freiem Fuß
von Sverre Gutschmidt

Es ist Sonntagmorgen. Im Gefängnis Siegburg herrscht Minimalbesetzung. Die Justizbeamten kontrollieren die Toiletten. Hinter einer der Türen im WC-Trakt finden sie eine Leiche. Ein junger Mann, getötet im Gefängnis, den ganzen Vortag lang zu Tode gequält von seinen drei Mithäftlingen in der Gemeinschaftszelle. Niemand hat etwas davon oder vom Transport der Leiche bemerkt. Diese Tat aus der Jugendstrafvollzugsanstalt Siegburg schockierte im November. Jetzt ist das größte Gefängnis Deutschlands, Berlin Tegel, in der Kritik: Überbelegung, zu wenig Personal. Ein Häftling verstarb in der Tegeler Anstaltskirche - der Vorwurf: Ihm wurden Medikamente vorenthalten. Das Personal verkauft angeblich teilweise den zugeteilten Arzneivorrat, um das eigene Gehalt aufzubessern. Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) berief einen Ausschuß ein, verhängte einen Maulkorb für die Justiz. Auch aus anderen Bundesländern kommen ernüchternde Nachrichten über die Zustände der Haftanstalten.

"Vollzugsbeamten haben es mit den schwierigsten Menschen unserer Gesellschaft zu tun und schaffen es trotzdem, einen sehr hohen Sicherheitsstandard in den Strafvollzugsanstalten zu gewährleisten. Diese Arbeit findet, so lange nichts passiert, abseits der öffentlichen Wahrnehmung statt. Dabei hätte gerade unser Strafvollzug mehr öffentliche Aufmerksamkeit verdient, denn er ist der tägliche Beweis für den Handlungswillen der Justiz", sagt Roger Kusch, Gründer der Partei Heimat Hamburg, der aufgrund langjähriger Erfahrung im Justizdienst sowie als Richter und ehemaliger Justizsenator Hamburgs zu den wenigen Politikern gehört, die auch die andere, die praktische Seite des Strafvollzugs kennen.

Die Verfolgung dieser anspruchvollen Aufgaben der Justizbeamten wird jedoch seit Jahren seitens der Politik durchkreuzt. Gerade finanzschwache Bundesländer wie Berlin sparen an Stellen ein, was sie nur können. Justizvollzug ist Ländersache, und die Zustände sind von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Während Hamburg und Hessen jüngst moderne Anstalten errichteten, verschiebt Berlin den Baubeginn der dringend benötigten Anstalt Großbeeren auf 2010. Im nordrhein-westfälischen Siegburg enthüllte der Mord, daß seit langem viel zuwenig Beamte am Wochenende Dienst tun. Die ausschließliche Zuständigkeit der Länder, vom Bundestag im Sommer letzten Jahres beschlossen, dürfte die Unterschiede noch verschärfen. Während auch die Zahl von Richtern und Staatsanwälten seit Jahren bundesweit abnimmt, nimmt die Zahl der Rechtsanwälte um ein Vielfaches zu - keine guten Zeichen für die Entwicklung des Rechtsstaates.

Der Gefängnisdirektor von Tegel, Klaus Lange-Lehngut, redet angesichts seiner bevorstehenden Pensionierung Klartext: "Wir sind bei einer Belegung von 113 Prozent. Wir hatten vor ein paar Jahren bei wesentlich geringerer Belegung über 1000 Beamte. Jetzt sind es nur noch 835." Derzeit habe Tegel 1743 Gefangene - 170 zu viel, so Lange-Lehngut. Doppelt so viele litten zudem unter der Zweierbelegung der Zellen.

Der Direktor spricht von Sparmaßnahmen, "die seit Jahren auf die Anstalt niederprasseln". Im Knast Berlin Moabit sieht es ähnlich aus: Zwei Gefangene teilen sich Einzelzellen, Toilette unabgeschirmt in der Mitte - verfassungswidrig, so das Berliner Kammergericht.

Verbrechensbekämpfung seitens der Polizei droht so an den Zuständen im Gefängnis zu scheitern. In Berlin wird angesichts nicht festgesetzter Intensivtäter jüngst gar der Vorwurf laut, Richter hätten im Wissen um die Überbelegung im Knast Schwerkriminelle laufenlassen. Für diesen schweren Vorwurf spricht, daß in Berlin zwar statistisch immer brutalere Taten, besonders von ausländischen Jugendlichen, verzeichnet werden, gleichzeitig aber die richterlichen Haftbefehle abnehmen. Letzteres beklagt der Bund deutscher Kriminalbeamter. Die Zahl der Haftbefehle mit Verschonung - die Täter dürfen unter Auflagen nach Hause - stieg in Berlin letztes Jahr um elf Prozent.

Ein Blick in die Statistik zeigt noch andere Schwächen: Während die Haftstrafen durchschnittlich zunehmen, hält die Zahl der Haftplätze nicht mit. Der Trend zur Sicherheitsverwahrung verstärkt die Überbelegung. Von der gesetzlich geforderten Resozialisierung haben sich viele Gefängnisse im Alltag längst verabschiedet. Und nun fordert Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) auch im Jugendstrafrecht nachträgliche Sicherheitsverwahrung einzuführen. Dem Vollzug vieler Bundesländer könnte das den Rest geben.

Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) wurden 1999 bis 2004 über alle Tätigkeitsbereiche bundesweit 7000 Beamte im Vollzugsdienst eingespart. Das betrifft den Streifenbeamten auf der Straße genauso wie den Justizvollzugsbeamten - Angestellte im Justizdienst noch nicht mitgerechnet. Bis 2010 werden laut GdP nach bisherigen Planungen nochmals insgesamt 7000 Stellen gestrichen. Vorreiter in Sachen "Ausverkauf der Sicherheit" (GdP) seien Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt.

Allein die Entlassungsvorbereitungen für eine geregelte vorzeitige Entlassung nehmen wenigstens in Berlin schon jetzt zuviel Zeit für die Beamten in Anspruch - Folge: kontrolliert vorzeitig entlassen (nach zwei Dritteln der Haft) wird in Berlin kaum noch. Dabei sieht das Gesetz solche Maßnahmen auch zum Schutz der Bevölkerung ausdrücklich vor. Statt dessen verlassen die Täter unvorbereitet und ohne begleitete Probe die Anstalt - eine "Rücknahmechance" bei gefährlichen Tätern ist damit vertan.

 

Zeitzeugen

Alfred Dreyfus - Unter dem (falschen) Vorwurf, für Deutschland zu spionieren, wurde der französische Hauptmann im Generalstab Dreyfus (1859-1935) Ende 1894 zu lebenslanger Haft auf der Teufelsinsel (Französisch Guayana) verurteilt. Wegen entlastender Beweise und auf öffentlichen Druck wurde der Elsässer jüdischer Herkunft 1899 begnadigt und 1906 rehabilitiert. Vor allem die katholische Kirche kam wegen angeblich antisemitisch gefärbter Anwürfe gegen Dreyfus unter Druck. So wurde sie aus dem Schulwesen verbannt.

Rudolf Heß - Der "Stellvetreter des Führers" soll 1987 in der Spandauer Festung 93jährig Selbstmord begangen haben. Sowohl die Hintergründe seines Fluges nach Großbritannien 1941 wie seine Todesumstände geben indes bis heute Rätsel auf. Eine von der Familie veranlaßte Obduktion bestärkte den Verdacht, daß Fremdeinwirkung im Spiel war.

Friedrich der Große - Der berühmteste Häftling der preußischen Geschichte war Kronprinz Friedrich (1712-1786), der spätere König Friedrich II. Nach mißlungener Flucht wurde der junge Prinz 1730 in die Festung Küstrin gesperrt. Dort muß´te er der Legende nach die Enthauptung seines engen Freundes und Fluchtgefährten Hans Hermann v. Katte miterleben.

Graf von Monte Christo - Mit dem "Grafen von Monte Christo" schuf der französische Autor

Alexandre Dumas der Ältere (1802-1870) den wohl bekanntesten Häftling der Weltliteratur. In dem 1844 bis 1846 erschienenen Roman schildert er die Geschichte eines durch Intrigen jahrelang Inhaftierten, der, wieder in Freiheit, kalt und intelligent Rache übt an seinen Verderbern.

Margarethe Buber-Neumann - Die 1901 in Potsdam geborene spätere Publizistin emigrierte als Frau des KPD-Führers Heinz Neumann nach der NS-Machtübernahme in die UdSSR, wo sie 1938 zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. 1940 lieferten die Sowjets die Kommunistin an die Gestapo aus, es folgten fünf Jahre Haft im KZ Ravensbrück. In mehreren Büchern setzte sich B.-N. mit den Parallelen von rotem und braunem Totalitarismus auseinander. Sie starb drei Tage vor dem Mauerfall am 6. November 1989.


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