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03.03.07 / Kunst - nur begrenzt haltbar / Der Japaner Shintaro Okamoto fertigt aus Eis zauberhafte Skulpturen an, die mit der Zeit ihre Form verändern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-07 vom 03. März 2007

Kunst - nur begrenzt haltbar
Der Japaner Shintaro Okamoto fertigt aus Eis zauberhafte Skulpturen an, die mit der Zeit ihre Form verändern
von Anja Boromandi

Nüchtern betrachtet, ist Eis nicht mehr als gefrorenes Wasser, gerade mal gut genug, um damit einen Cocktail zu kühlen. Nicht für Shintaro Okamoto. Der Japaner hat aus seiner Leidenschaft zum kühlen Naß einen Beruf gemacht. In einem Studio in Queens, New York, zaubert er mit seinem kreativen Team aus gewöhnlichen Eisblöcken wahre Kunstwerke, allerdings mit begrenztem Haltbarkeitsdatum.

Shintaro Okamotos Beziehung zu Eis klingt schon fast philosophisch, und seine Augen beginnen zu glänzen, sobald er darüber spricht. "Die Eisskulpturkunst ist ein ständiges Geben und Nehmen. Beim Prozeß des Erschaffens wird die Figur lebendig und beim Schmelzen stirbt sie langsam wieder." Ein bildstarker und anschaulicher Vergleich, aus dem der Laie schlußfolgern könnte, diese Arbeit gehe ruhig und beschaulich vor sich. Doch weit gefehlt.

Es ist laut, naß und ungemütlich in Okamotos Studio am Rande von Queens. Motorsägen kreischen, und auf dem Boden haben sich bereits große Wasserpfützen gebildet. Drei Künstler aus seinem Team sind gerade dabei, aus Eisblöcken die Konturen von schwangeren Frauen zu schneiden. Nach der Grobarbeit mit der Säge, die rund 70 bis 80 Prozent der Arbeit ausmacht, folgen die Feinheiten mit Meißel, Bohrer oder Bügeleisen. Alle Werkzeuge sind erlaubt, Hauptsache, die Gestalt nimmt Form an und bekommt keine Risse, dann war all die Mühe umsonst. Im Kühlhaus nebenan stehen bereits schon ein Dutzend Schwangere aus Eis - inklusive sichtbarem Plastikbaby im Bauch. Wenn der Auftrag erledigt ist, werden insgesamt 26 "werdende Mütter" ausgeliefert werden. Wofür die durchsichtigen Damen bestimmt sind, will oder darf Shintaro Okamoto nicht sagen. "Nur soviel", verrät er, "sie sind für ein geheimes Filmprojekt."

Vor rund vier Jahren hatte der gebürtige Japaner zusammen mit seinem Vater Takeo die Idee, Eis-skulpturen für Events und Hochzeiten zu schaffen. Nicht rein zufällig, denn die künstlerische Ader hat er geerbt. "Ich bin in Anchorage, Alaska, aufgewachsen und habe schon als Kind meinem Vater dabei zugesehen, wie er Eisskulpturen herstellt. Denn er beschäftigt sich seit 25 Jahren mit dem Thema und hat früher auch oft an Wettbewerben teilgenommen, 1996 gewann er zum Beispiel bei den Olympischen Spielen in Nagano die Silbermedaille. Ich bin damit sozusagen familiär vorbelastet."

Die New Yorker haben auch das Talent des 32jährigen Sohnes schon längst erkannt. Egal, ob Modenschauen, Filmpremieren oder Hochzeiten, immer öfter bestellen die Veranstalter seine einzigartigen Objekte aus Eis. Und daß Eisskulptur nicht gleich Eisskulptur ist, darauf legt Shintaro Okamoto besonderen Wert. "Zuerst einmal ist die Qualität der Eisblöcke wichtig. Sie dürfen keine Luftblasen haben, die Herstellung von klarem Eis erfolgt in speziellen Maschinen, dauert rund drei bis vier Tage. Was uns aber im wesentlichen von unserer Konkurrenz unterscheidet: Wir fertigen die Figuren weder anhand von vorgefertigten Formen oder mit Hilfe von Computern an, bei uns ist alles Handarbeit."

Und die hat eben ihren Preis. Eine kleine Skulptur kostet ab 600 Dollar, bei lebensgroßen Figuren muß man schon 3000 bis 4000 Dollar hinblättern. Schließlich handelt es sich um ein einzigartiges Kunstwerk, ein Unikat mit allerdings nur begrenzter Haltbarkeit. "Im Schnitt halten die Eis-skulpturen sechs bis acht Stunden, dann verschwinden die Konturen und Details, da wir das Kunstwerk nicht extra kühlen." Doch die kurze Lebensdauer seiner Eiskunst macht Okamoto nicht traurig, im Gegenteil. "Unsere Figuren sind etwas Einmaliges, so wie das Event oder die Hochzeit, auf der man sie bewundern kann. Der erste Eindruck zählt. Die Figur ist für den Moment da, der so unvergeßlich wie der Tag selbst sein soll. Wenn sie schmilzt, dann wird sie nicht häßlich, sondern sie verändert sich einfach und ist in jeder Phase schön. Am Ende sieht sie vielleicht wie eine Giacometti-Figur aus und das macht sie genauso interessant."

Die Ideen für die Eiskunstwerke präsentiert Shintaro Okamoto nicht am Computer, sondern auf handgezeichneten Skizzen. Die Wünsche der Kunden sind oft ausgefallen, doch nichts scheint unmöglich, solange die Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden und der zahlende Kunde das nötige Kleingeld hat. "Wir hatten vor einiger Zeit ein Hochzeitspaar, die absolute Kinofreaks sind. Die wollten 50 Filmplakate aus Eis haben, das Hauptmotiv war aus dem Klassiker ,Vom Winde verweht' und zeigte statt der Gesichter von Clark Gable und Vivien Leigh die Gesichter von Braut und Bräutigam. Und auf einem anderen Event haben wir den Raum

mit Kronleuchtern aus Eis geschmückt und überall Kerzen aufgestellt. Das war ebenfalls ein unvergeßliches Ereignis."

Einige New Yorker können sich an Okamotos Eiskunst gar nicht satt sehen. Zum Beispiel das japanische Restaurant Megu in Downtown Manhattan, das sich seit zwei Jahren jeden Abend aufs neue eine 200 Kilogramm schwere Buddha-Statue aus Eis ins Haus liefern läßt. Bei den Gästen kommt das gut an. "Viele laufen drum herum und fragen oft nach, ob die Figur wirklich aus Eis ist, manche wollen das einfach nicht glauben", erklärt eine Angestellte. "Wir sind immer wieder begeistert, was Shintaro aus Eis zaubern kann."

Foto: Knochenarbeit: Eine Eisskulptur entsteht. Foto: Boromandi


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