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10.03.07 / Prügel für Kleinanleger / Schering: Senat leugnet eigene Fehler und sucht Sündenböcke für Arbeitsplatz-Desaster

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-07 vom 10. März 2007

Prügel für Kleinanleger
Schering: Senat leugnet eigene Fehler und sucht Sündenböcke für Arbeitsplatz-Desaster
von Patrick O'Brian

Alles, was wir wissen, haben wir aus der Presse erfahren müssen", beschwert sich Detlef Schmidt. Der 51jährige arbeitet als Computerfachmann bei Schering. Vielleicht nicht mehr lange. Schmidt und seinen Kollegen wird übel mitgespielt von ihren Chefs.

In Berlin-Wedding brennt die Luft. Letzte Woche versammelten sich die Schering-Mitarbeiter zu einer Demonstration vor dem Firmensitz. Die Beschäftigten sind sauer. 1200 von ihnen werden vermutlich ihre Stelle verlieren. Es mag zynisch in den Ohren der Betroffenen klingen, aber es ist war: Der Abbau war vorhersehbar.

Das weiß auch Michael Müller, Berlins SPD-Chef. Wenn er in seiner Landesgeschäftsstelle aus dem Fenster schaut, dann sieht er (neben viel Elend) eine unübersehbar große Firmenzentrale, die von "Bayer-Schering-Pharma", wie Schering jetzt heißt. Der einst stolze Standort soll gerupft werden, wenn es nach dem Willen der Bayer-Chefs geht. "Personalanpassung" heißt das im Managerdeutsch. Schering ist ein Stück deutsche Wirtschaftsgeschichte - und neuerdings ein Lehrstück über verlogene Politikersprüche im Zeitalter von Firmenfusion und Personalabbau.

Es ist ein knappes Jahr her, da wurde das Chemie-Traditionsunternehmen übernommen, das jeder Berliner kennt. Bayer aus Leverkusen kaufte damals für 1,7 Milliarden Euro Schering - eine Transaktion, wie sie im Wirtschaftsleben zwar nicht alle Tage stattfindet. Trotzdem sind solche Firmenzusammenschlüsse eigentlich unspektakulär.

Für Berlin war es dennoch ein Einschnitt. Mit Schering (Umsatz damals 5,3 Milliarden Euro) verschwand der letzte Konzern mit Sitz in Berlin von der Liste der 30 größten Unternehmen des deutschen Aktienindex Dax, kurz "Dax-30" genannt. Die Inhaber und das Management von Schering hat das nicht gekümmert. Der Preis war einfach zu hoch, um Nein zu sagen.

Der Schering-Vorstand begrüßte daher die Fusion, obwohl sie mehr den Charakter einer "feindlichen Übernahme" hatte. Und die Bayer-Oberen feierten wegen der großen Chancen, die in der Übernahme lägen. Und das, obwohl Analysten damals wenig Vorteile in einer Zusammenarbeit erkennen konnten. Die Landesbank Rheinland-Pfalz zum Beispiel kam wenige Tage vor der Bekanntgabe des Übernahmeangebots zu dem Schluß: "Schering - kein Fall für Bayer".

Die Berliner sollten sich damit trösten, daß sie ja den Sitz der Bayer-Schering-Pharma (nun einer großen Bayer-Tochtergesellschaft) erhalten sollten. Freundlich reagierten deswegen der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und sein Wirtschaftssenator. Senator Harald Wolf (Linkspartei) teilte im März 2006 mit, daß er "die Option, daß mit Bayer und Schering zwei namhafte deutsche Pharmahersteller einvernehmlich ihre Kräfte in Berlin bündeln" begrüße. Der Senat, so Wolf weiter, werde "das Verfahren" positiv begleiten.

Und sein Chef Klaus Wowereit kündigte lapidar an: "Der Senat wird in naher Zukunft mit dem Vorstand der Bayer AG die Zukunft des Unternehmens und die Frage der Arbeitsplatzsicherheit diskutieren."

Diese Gespräche, wenn sie überhaupt stattfanden, haben augenscheinlich nichts genützt. Bayer wird sich von 1500 Mitarbeitern deutschlandweit trennen, vier von fünf Betroffenen sollen Berliner sein. Der Betriebsrat hat dem Vorstand deswegen erzürnt eine Frist gesetzt, die nächste Woche Dienstag ausläuft. Bis dahin soll die Firmenleitung endlich sagen, was genau mit den Mitarbeitern geschehen soll, ob es einen Sozialplan gibt. So viel ist schon durchgesickert: Schon ab kommendem Jahr stehen betriebsbedingte Kündigungen an.

Wie immer helfen Gewerkschaftsdemos und markige Sprüche von Betriebsräten nicht wirklich weiter. Es war von Anfang an klar, daß diese Fusion auch dazu dienen würde, einen Teil des Personals loszuwerden. So ist es immer. Die Schering-Mitarbeiter hätten die Uhr danach stellen können.

Gleichzeitig steigt der Aktienkurs und füttert damit die reflexartig einsetzende Neiddiskussion und Kapitalismuskritik. Der Senat ist in einer Zwickmühle. Zum einen kann er Bayer nicht dazu zwingen, auf die Personalentlassung zu verzichten. Zum anderen hat er die Fusion ja sogar "positiv begleitet". Wie reagieren die Regierenden also?

Die Linkspartei/PDS geht auf Tauchstation, während die SPD eine gute alte Doppelstrategie hervorzaubert. Schon Gerhard Schröder und Franz Müntefering haben sich in den letzten Jahren ihrer Regierungszeit perfekt ergänzt. Schröder machte den "Genossen der Bosse", während sich "Münte" über die "Heuschrecken" ereiferte und den Arbeiterkämpfer mimte.

Genauso machen sie es jetzt auch in der Hauptstadt: Wowereit tritt zurückhaltend bei den Schering-Beschäftigten auf, während sein Parteichef Michael Müller die rote Keule hervorholt: "Das ist krank, dieses System. Da muß sich jeder mal fragen, was er als Aktionär tut, um Arbeitsplätze in dieser Stadt zu erhalten." Na also: Die Kleinanleger sind an allem schuld, der Senat wußte von nichts.

Foto: Fusion "positiv begleitet": Klaus Wowereit vor der Bayer-Schering-Zentrale in Berlin.


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