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10.03.07 / Durch Fluchen im Gleichgewicht / Schimpfwörter und Verwünschungen sind fester Bestandteil jeder Sprache

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-07 vom 10. März 2007

Durch Fluchen im Gleichgewicht
Schimpfwörter und Verwünschungen sind fester Bestandteil jeder Sprache
von Corinna Weinert

Eltern tun es, Lehrer auch und Politiker erst recht: Sie kämpfen für eine Welt ohne Kraftausdrücke und fluchen doch selbst - mal gedämpft, mal in lautstarken Ausbrüchen. Schimpfwörter sind verpönt, als ordinär und unflätig werden Menschen abgestempelt, die ihre Wut in lautstarkem Wortschwall kundtun. Dabei hat Fluchen auch sein Gutes, wie Forscher herausfanden.

Schimpfwörter und Verwünschungen sind fester Bestandteil jeder Sprache. Fünf Prozent unseres Wortschatzes, aus dem wir alltäglich während der Arbeit schöpfen, sind ihnen vorbehalten, in der Freizeit sind es sogar zehn Prozent, hat der Psychologieprofessor Timothy Jay ermittelt.

Malediktologie nennt man den Zweig der Psychologie, der sich mit dem Fluchen beschäftigt; hier ergründen Forscher die dunklen Sphären unserer Kommunikation. Schimpfwörter und Verwünschungen werden erst seit 30 Jahren von der Wissenschaft untersucht. Pioniere dieser Fachrichtung sind Timothy Jay vom Massachusetts College of Liberal Arts und sein deutschstämmiger Kollege, der Philologe und Schimpfwortforscher Reinhold Aman aus Kalifornien.

Fluchen hilft, das seelische und körperliche Gleichgewicht wieder herzustellen. "Menschen lassen damit ihren emotionalen Dampf ab", erläutert Aman, der sogar eine Fluch-Fachzeitschrift, die "Maledicta", herausgibt. "Die Möglichkeit, seinem Unmut durch Fluchen Luft zu machen, verhindert gewalttätige Auseinandersetzungen, wie sie im Tierreich üblich sind", meint Jay, "leider wird der Wert dieser Art von Aggressionsbewältigung noch oft unterschätzt." Fluchen ist dabei das letzte Glied in einer dreiteiligen Verhaltenskette, wie Aman erklärt: "Man ist frustriert oder verärgert, gerät deswegen in einen Erregungszustand und versucht, sich durch Fluchen abzureagieren."

Das Geschlecht spielt beim Fluchen nur eine untergeordnete Rolle, wenn Männer auch etwas häufiger als Frauen zu Kraftausdrücken neigen. Eine größere Bedeutung, so ermittelten die Forscher, hat hingegen die berufliche oder gesellschaftliche Position: je höher der Rang, desto mehr verbale Ausschweifungen.

Für Aman ist der Fluch- und Schimpfwortschatz die sicherste Methode, um tiefe Einblicke in die Werte einer Gesellschaft zu bekommen. Weltweit gebe es, so meint der Schimpfwortforscher, drei universelle Fluchgruppen: "Gotteslästerer" stammen vorwiegend aus katholischen Kulturen. Ihr schlimmstes Vergehen ist die Beleidigung der Religion. Die "Familienschänder" sind in Afrika, Asien und Ozeanien weit verbreitet. Ihr größtes Tabu ist die Ehrenkränkung von Familienmitgliedern, insbesondere der Mutter. Die "Prüden" schließlich sind hauptsächlich in puritanischen Kulturen wie den USA anzutreffen. Ihr Fluchen beinhaltet am häufigsten Bezeichnungen für Geschlechtsteile und Körperausscheidungen. Im Deutschen sind laut Statistik über 80 Prozent der Schimpfworte noch jugendfrei, nur bei 13 Prozent müssen die Kleinen sich die Ohren zuhalten.

Während Fluchen den Schimpfenden erleichtert, weckt eine solche Entladung beim Zuhörer eher unangenehme Empfindungen. Mit Gänsehaut, beschleunigtem Pulsschlag und flacherer Atmung reagierten Testpersonen, denen Obszönitäten klar und deutlich vorgelesen wurden.

Die Grundlagen für unseren Kraftwortschatz eignen wir uns bereits an, kaum daß wir sprechen können. "Kleine Kinder merken sich die verpönten Begriffe lange bevor sie ihren eigentlichen Sinn begreifen", erklärt der Linguist John McWhorter.

"Man kann den Lernprozeß als klassische Konditionierung bezeichnen", meint Jay. "Die Kinder lernen durch die entsetzte Reaktion ihrer Eltern schnell, daß ihnen Schimpfwörter eine Waffe in die kleinen Münder legen, mit der sie sich absolute Aufmerksamkeit erkämpfen."

Aber auch im Erwachsenenalter merken wir uns tabuisiertes Vokabular wesentlich besser als neutrale Alltagsbegriffe, wie der Psychologe Donald MacKay mit seinen Untersuchungen nachwies.

Tabuvokabeln finden in unserem Gehirn eine andere Heimat als neutrale Wörter: Scans mit Kernspintomographen und Positronen-Emissions-Tomographen zeigten, daß Schimpfwörter im limbischen System, dem etwa walnußgroßen animalischen Zentrum in unserem Gehirn landen. Hier lagern unsere Emotionen und eben auch das Reservoir an Kraftausdrücken. Die verbale Vernunft sitzt im präfrontalen Cortex, dem neuronalen Zensor, der das Tier im Gehirn überwacht.

Neurologen nehmen an, daß Schimpftiraden dann aus Menschen hervorbrechen, wenn die höheren Regionen im Gehirn den Emotionsstau im limbischen System nicht mehr zurückhalten können.

Das Bedürfnis zu fluchen ist so tief in unserem Gehirn verankert, daß dies die sprachliche Fähigkeit ist, die am längsten erhalten bleibt. In Studien mit Alzheimerpatienten und Demenzkranken hat man die verblüffende Entdeckung gemacht, daß Menschen auch dann noch mit Kraftausdrücken um sich werfen, wenn sie schon lange die Namen von Verwandten vergessen haben und ihr Vokabular massiv eingeschränkt ist. Offenbar handelt es sich dabei um das Ergebnis eines lebenslangen Lernprozesses.

Wenn auch von vielen nicht gerne gehört: Fluchen ist Balsam für die Seele, es befreit und bringt die Emotionen wieder ins Gleichgewicht. Und nicht nur das - es ist obendrein der Gesundheit dienlich, denn bei Wutausbrüchen werden die Magensäfte aktiviert. Läßt man der Wut nicht freien Lauf, riskiert man Magengeschwüre.

Einen Rat vom Fluch-Papst Aman sollte man sich allerdings zu Herzen nehmen: "Trägt der Gegner eine Waffe, kann Fluchen ungesund werden. Dann ist es ausnahmsweise besser, sich auf die Zunge zu beißen."


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