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10.03.07 / Ein Kriegsverbrechen / Englischer Philosoph verurteilt die alliierten Luftangriffe auf Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-07 vom 10. März 2007

Ein Kriegsverbrechen
Englischer Philosoph verurteilt die alliierten Luftangriffe auf Deutschland

Anthony C. Grayling ist ein englischer Philosoph, und er stellt eine moralphilosophische Frage ungewöhnlicher Art, nämlich ob die alliierten Flächenbombardements auf Deutschland im Zweiten Weltkrieg und die Angriffe der USA auf Hiroshima und Nagasaki als Kriegsverbrechen zu qualifizieren sind.

Grayling tut dies in Form eines fiktiven Prozesses, indem erst die Tatbestandsaufnahme erfolgt, dann die Plädoyers der Staatsanwälte und Verteidiger folgen und am Ende ein Urteil ergeht.

Die Tatbestandsaufnahme ist ebenfalls für einen Philosophen ungewöhnlich, denn sie ist eine faktische Aufarbeitung der englischen Bombenangriffe auf Deutschland. Es werden paradigmatisch vor allem am Beispiel Hamburg die Vorgehensweise und Wirkungen des Bomber-Commands unter Luftmarschall Arthur Harris aufgelistet. In dem Kapitel "Erfahrung der Bombardierten" kommt die ganze ausweglose, schreckliche Wirklichkeit zum Ausdruck. Er greift dabei oft auf die plastische Schilderung Winfried Georg Sebalds zurück, der ausdrucksstarke Worte gefunden hat für das Grauen eines orkanartigen Feuersturms, der vor allem im "Backofen Hamburg" zur Wirkung kam.

Die Angriffe auf Hamburg wurden "Aktion Gommorrha" genannt unter Rückgriff auf das biblische Geschehen in Sodom und Gomorrha, als Feuer und Schwefel vom Himmel regneten. Die Aktion Gomorrha bestand aus fünf großen und mehreren kleinen Luftangriffen, die in den Nächten vom 24. Juli bis 3. August 1943 stattfanden. Bei den nächtlichen Angriffen warfen Bomber insgesamt 2396 Bomben über Hamburg ab. Die Bomben waren gefüllt mit hochentzündlichen Chemikalien wie Magnesium, Phosphor und Petrolatum. Phosphor konnte nicht mit Wasser gelöscht werden, wo immer es hinspritzte, blieb es kleben und brannte lichterloh. Ein Teil der Sprengbomben war - man ist geneigt zu sagen, sadistischerweise - mit Zeitzündern versehen, die so eingestellt waren, daß sie erst Stunden nach dem Aufprall explodierten, um die zivilen Nothelfer gezielt zu treffen. Viele Leichen waren in der Hitze so stark eingeschrumpft und mumifiziert, daß Erwachsene wie Kleinkinder wirkten. Viele Hamburger verloren vorübergehend regelrecht den Verstand und sammelten die Leichenteile ihrer mumifizierten Verwandten ein, die sie in Koffern mit sich herumschleppten. Was in Hamburg geschah, war jedoch nur Programmouvertüre und wiederholte sich in eskalierender Stärke die nächsten Jahre lang in ganz Deutschland.

Diese Philosophie der unterschiedslosen Ausrottung allen Lebens und aller Kulturgüter nennt Grayling daher auch "Kulturozid" oder "Memorozid", denn es sollte die kulturelle Identität der Deutschen auslöschen, und Grayling beurteilte daher die Maßnahmen des Bomber-Commands unter Arthur Harris auch als antizipierten Morgenthauplan.

Wie Grayling moralisch das mörderische Bomben von Arthur Harris einschätzt, läßt sich am besten mit den Worten George Bernard Shaws ausdrücken. Der meinte, die schlimmsten Taten der Nazis könnten nicht schlimmer sein als das Bersten einer Phosphorbombe über einem Kinderhort in Bremen.

Betroffen macht den Autor auch das totale Schweigen der christlichen Kirchen in England zu den Ereignissen. Einzig George Bell, Lordbischof von Chicester, hielt eine ausgewogene Rede vor dem Oberhaus, in der er anmahnte, die englische Kriegsführung solle den völkerrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel bedenken, es sei völlig ausgeschlossen, eine ganze Stadt auszulöschen, bloß weil gewisse militärische und industrielle Ziele vorhanden seien.

Grayling erteilt allen Argumenten von Arthur Harris zur Rechtfertigung seines Kriegsprogramms eine Absage. Vor allem dem Argument, die Deutschen hätten Vergleichbares getan. In keinem Strafprozeß der Welt sei es eine gelungene Strategie, sich als Mörder entlasten zu wollen mit dem Hinweis, es habe schon immer Morde gegeben und andere hätten noch viel mehr Morde begangen. In dieser Argumentationskette erledigen sich auch die Argumente der USA für ihren Atombomben-Abwurf über Hiroshima und Nagasaki gleich mit.

Somit gelangt Grayling zu dem einleuchtenden Schluß, nach den heutigen Maßstäben des Völkerrechtes sei der englische Bombenkrieg gegen Deutschland als Kriegsverbrechen zu qualifizieren. Sein Diktum lautet daher Flächenbombardements seien weder verhältnismäßig noch zur Erreichung der Kriegsziele notwendig gewesen.

Grayling schließt sein Buch mit den Worten der englischen Pazifistin Vera Brittain, die meinte, die Taten Englands, die einige der schönsten Städte Europas in Schutt und Asche legten, werde der zukünftigen Menschheit als eine Extremform verbrecherischen Irrsinns erscheinen. H. von Dobeneck

Anthony C. Grayling: "Die toten Städte - Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen?", Bertelsmann, München 2007, geb., 410 Seiten, 22,95 Euro, Best.-Nr. 6084


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