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17.03.07 / "Vollkommener Repräsentant der Nation" / Vor 175 Jahren starb Johann Wolfgang von Goethe in Weimar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-07 vom 17. März 2007

"Vollkommener Repräsentant der Nation"
Vor 175 Jahren starb Johann Wolfgang von Goethe in Weimar
von Silke Osman

Generationen von Schülern haben - oft im Schweiße ihres Angesichts - seine Werke lesen und interpretieren müssen. Meist erkannte man erst im Alter den Wert des Gelernten, und so wird sich so mancher gerade in diesen Tagen dem Werk des Mannes wieder einmal mit Freude widmen, der vor 175 Jahren in Weimar seine Augen für immer schloß: Johann Wolfgang von Goethe, der bekannteste und meistgelesene deutsche Dichter. Sein umfangreiches Werk, aber auch sein langes ereignisreiches Leben führen den Literaturfreund zu immer neuen Entdeckungen.

Über kaum einen Dichter gibt es eine solche Fülle an Abhandlungen, Biographien, Würdigungen und Interpretationen wie über Goethe. Paul Fechter schreibt in seiner "Geschichte der deutschen Literatur": "Goethe verschwand hinter dem Goethebild und den Goethebildern."

Wo aber liegt die Bedeutung Goethes, des Schöpfers eines "Faust", eines "Egmont", eines "Götz von Berlichingen", des Dichters von "Torquato Tasso", der "Iphigenie", von "Hermann und Dorothea" ...? - Allein diese Aufzählung läßt Staunen.

Fechter findet eine Antwort: "Goethe ist so reich, er ist mit seinem Gesamtbesitz an geistigen und seelischen Kräften so sehr der vollkommene Repräsentant der deutschen Nation, daß die Jahrhunderte ihm wenig werden anhaben können ... Er offenbarte die typische Jünglingsbegabung ebenso wie die Produktivität des reifen Mannesalters, um als Greis den Reichtum seiner Anlage vielleicht am unheimlichsten zu entfalten ... Er war warm und kalt, hingebend und abweisend, Gefühl und Geist: Er war der größte Dichter nicht nur seines Jahrhunderts und ging immer wieder die Wege des Forschers ..."

Erich Trunz, der Goethe-Experte des 20. Jahrhunderts und Herausgeber der Hamburger Ausgabe seiner Werke, schreibt: "Ähnlich wie es für Kant nicht die Welt als Welt gibt, sondern nur in Bezug auf den fragenden Menschen, und ähnlich wie in Beethovens Musik die Ordnung der Töne eine Ordnung der Seele ist, so gibt Goethe im Bilde der Welt ein Symbol des eigenen Innern und erschließt die Fülle des Seins nur durch das erschütterte liebende Ich. Er hat auf diese Weise die Dichtung zum Organ der Weltdeutung gemacht in einer Art, wie es vor ihm noch keiner getan hat. Die Dichtung ist hier ein Mittel, die Welt in ihrer Wesenheit zu verstehen. Versteht man die Welt auf solche Weise, so erscheint sie als Abglanz. Der Abglanz aber weist immer auf ein Licht, das Licht im Unendlichen hin."

Ist Goethe für uns Heutige tatsächlich noch aktuell? Ein Zitat aus den Gesprächen mit seinem Sekretär Eckermann läßt aufhorchen: "Die Deutschen sind wunderliche Leute! Sie machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer als billig. Ei, so habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrükken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch berühren zu lassen, euch erheben zu lassen, ja euch belehren zu lassen, zu etwas Großem entflammen und ermutigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wäre alles eitel, wenn es nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee wäre! ... Es war im ganzen nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem zu streben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, wie eine rege Einbildungskraft es mir darbot; und ich hatte als Poet weiter nichts zu tun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch zu runden und auszubilden und durch eine lebendige Darstellung so zum Vorschein zu bringen, daß andere dieselbigen Eindrücke erhielten, wenn sie mein Dargestelltes hörten oder lasen." - So mancher, der sich heute "Poet" nennt, könnte hieraus noch lernen, nicht wahr?

Es ist viel von berufenen Federn über Goethes Leben und Wirken geschrieben worden, so sei an dieser Stelle darauf verzichtet. Eine folgenreiche Begegnung der deutschen Geistesgeschichte aber soll nicht unerwähnt bleiben: das Zusammentreffen zwischen Goethe und Johann Gottfried Herder in Straßburg 1770, wo der eine studierte, der andere sich zur Kur eines Augenleidens aufhielt.

Herder, ein Mann mit nicht gerade frohem Gemüt, von Spott und Bitterkeit gepeinigt, begegnete dem gerade 21jährigen Goethe. Zwei Welten trafen aufeinander, die auf wundersame Weise miteinander verschmolzen. Goethe schrieb über diese erste Begegnung: "Die ganze Zeit dieser Kur besuchte ich Herder morgens und abends; ich blieb auch wohl ganze Tage bei ihm und gewöhnte mich in kurzem um so mehr an seine Schelten und Tadeln, als ich seine schönen und großen Eigenschaften, seine ausgebreiteten Kenntnisse, seine tiefen Einsichten täglich mehr schätzen lernte. Die Einwirkung dieses gutmütigen Polterers war groß und bedeutend ... von Herder ... konnte man niemals eine Billigung erwarten, man mochte sich anstellen, wie man wollte ... Da seine Gespräche jederzeit bedeutend waren, er mochte fragen, antworten oder sich sonst auf seine Weise mitteilen, so mußte er mich zu neuen Ansichten täglich, ja stündlich befördern ...

Nun werde ich auf einmal durch Herder mit allem neuen Streben und mit allen Richtungen bekannt, welche dasselbe zu nehmen schien. Er selbst hatte sich schon genugsam berühmt gemacht und durch seine ,Fragmente', die ,Kritischen Wälder' und anderes unmittelbar an die Seite der vorzüglichsten Männer gesetzt, welche seit längerer Zeit die Augen des Vaterlandes auf sich zogen. Was in solch einem Geiste für eine Bewegung, was in einer solchen Natur für eine Gärung müsse gewesen sein, läßt sich weder fassen noch darstellen. Groß aber war gewiß das eingehüllte Streben, wie man leicht eingestehen wird, wenn man bedenkt, wie viele Jahre nachher und was er alles gewirkt und geleistet hat ..."

Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den beiden so unterschiedlichen Charakteren, eine Freundschaft mit allen Höhen und Tiefen. So sandte Goethe dem Volksliedsammler Herder im September 1771 zwölf Lieder aus dem Elsaß und 1772 die erste Fassung seines "Götz" zur Beurteilung: "Auch unternehm ich keine Veränderung, bis ich Ihre Stimme höre."

Herder schließlich äußerte sich gegenüber Caroline Flachsland, seiner späteren Frau, über den "Götz": "Es ist ungemein viel deutsche Stärke, Tiefe und Wahrheit drin, obgleich hin und wieder es auch nur gedacht ist" und riet Goethe zur Überarbeitung.

In den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts kam es zu einem regen Hin und Her zwischen den Freunden, aber auch zu einigen Neckereien und Mißverständnissen, so daß Goethe im Januar 1775 anregte: "Laß uns ein neu Leben beginnen miteinander. Denn im Grunde habe ich doch bisher für dich fortgelebt, und du für mich."

Wie unterschiedlich diese beiden Männer schließlich doch waren, zeigen ihre Erlebnisse und deren Verarbeitung auf den Reisen nach Italien. Goethe war von 1786 bis 1788 im "Land, wo die Zitronen blüh'n" und arbeitete dort an der "Iphigenie auf Tauris", dem "Egmont", dem "Faust" und dem "Tasso". Herder reiste zwei Monate nach Goethes Rückkehr nach "Arkadien", war allerdings wenig begeistert. Im Dezember 1788 schrieb er an den Freund: "Mit Dir wars in Allem anders, weil Du ein artifex bist, und mich freuets, daß Du Deinem Beruf treu bleibst und dort dein Werk fortsetzest. Wenn ich aus Italien komme, will ich mir von Dir erzählen lassen, was Du gesehen hast und ich hätte sehend sehen sollen und meinen Mund dazu nicht auftun ... Ich fürchte, ich fürchte, Du taugst nicht mehr für Deutschland; ich aber bin nach Rom gereist, um ein echter Deutscher zu werden ..."

Ein Höhepunkt dieser Männerfreundschaft waren zweifellos die Bemühungen Goethes, Herder als Generalsuperintendent nach Weimar zu vermitteln. Die Zeit in Weimar wurde für Herder eine der spannungsreichsten. In Weimar vollendete er seine "Stimmen der Völker in Liedern", dort schrieb er sein letztes größeres Werk, das Versepos des "Cid".

In Weimar aber kam es auch zum endgültigen Bruch zwischen den Freunden. Äußerer Anlaß war Goethes klassisches Drama "Die natürliche Tochter", das 1803 in Weimar aufgeführt und vom Publikum zurückhaltend aufgenommen wurde. Herder war zwar begeistert von der Leistung seines Freundes, konnte sich aber dennoch ein Bonmot nicht verkneifen, als er zu Goethe sagte: "Deine natürlich Tochter ist mir lieber als dein natürlicher Sohn!"

Als Herder am 18. Dezember 1803 in Weimar starb, lagen vor Goethe noch knapp drei Jahrzehnte voller Schaffenskraft. Er vollendete die endgültige Fassung des "Faust", schrieb seine Autobiographie "Dichtung und Wahrheit", die Gedichtsammlung "West-östlicher Divan", den Roman "Die Wahlverwandtschaften" und entwickelte seine Farbenlehre. Doch es wurde auch einsam um den großen alten Mann der deutschen Literatur. Seine Freunde waren lange tot, Schiller starb 1805, seine Frau Christiane 1816, sein Sohn August 1830. Am

22. März 1832 schloß er in dem kleinen bescheidenen Raum neben seinem Arbeitszimmer, in einem Lehnstuhl sitzend, gegen halb zwölf Uhr mittags für immer seine Augen.

Foto: Kulturleben im Weimar des 18. Jahrhunderts: Friedrich Schiller (sitzend) unterhält ein aufmerksames Publikum, unter dem sich auch Johann Wolfgang von Goethe und Johann Gottfried Herder sowie Wilhelm von Humboldt und Großherzog Karl August (stehend von links) befinden (nach einem Gemälde von Wilhelm Lindenschmit).

 

Bunte Vielfalt: Ein unerschöpfliches Werk eines unermüdlich wirkenden Dichters

Zentrale Veranstaltung zum Gedenken an den 175. Todestag von Johann Wolfgang von Goethe wird eine Kranzniederlegung in der Fürstengruft zu Weimar sein, in welcher der Dichter seine letzte Ruhestätte fand (22. März, 9 Uhr). Am Wochenende zuvor (17. und 18. März) findet ein Kolloquium im Festsaal des Goethe Nationalmuseums Weimar statt. Thema: "Goethe heute - Zur Aktualität seines Werkes".

Auch Bücherfreunde werden auf ihre Kosten kommen. So bietet dtv eine Auswahl an Goethe-Werken an, die für jeden Geschmack das Passende parat hat. Von der Hamburger Ausgabe (14 Bände), herausgegeben von Erich Trunz, über Einzelausgaben und Texte in der "Bibliothek der Erstausgaben" bis hin zu Geschenkbänden, Nachschlagewerken und Biographien ist alles lieferbar.

Vier besondere Höhepunkte aber seien hier vorgestellt: Goethe & Schiller - Die Balladen (zusammengestellt und herausgegeben von Joseph Kiermeier-Debre, dtv 13512, 266 Seiten, brosch., 7,50 Euro). Von Goethes "Pygmalion" bis zu Schillers "Der Fischer" sind sämtliche Balladen der beiden Großen zu finden, dazu Entwürfe und Fragmente, die selbst Eingeweihten eine Freude sein werden.

Die Gedichtsammlung West-östlicher Divan, angeregt durch Gedichte des persischen Lyrikers Hafis und erstmals erschienen 1819 in Stuttgart, hat ebenfalls Kiermeier-Debre herausgegeben (dtv 13513, 272 Seiten, brosch., 5 Euro). In seinem "anmutigsten Alterswerk" (Kiermeier-Debre) spielt Goethe virtuos mit den Stilformen zweier Kulturen und regte vor allem Musiker wie Schubert, Schumann, Mendelssohn-Bartholdy oder Wolf an, sich dieser Kunst anzunehmen und die Gedichte zu vertonen.

Der Schriftsteller Johann Prossliner hat eine Fülle von Lebensweisheiten Goethes gesammelt und unter dem Titel Das Beste möcht' ich euch vertrauen vereint (dtv 13514, 160 Seiten, brosch., 6 Euro). "Fühlen, Denken, Dichten, Handeln, das ging bei Goethe ineinander über. Darauf beruht seine Weisheit, und sie ist das Beste, was er uns anvertrauen wollte", so Prossliner. Ein Buch, zu dem man ganz gewiß immer wieder einmal greifen wird. Ebenso zu einem, wenn auch ganz anders gearteten Band aus der Reihe dtv premium. Der namhafte Bariton und Schriftsteller Dietrich Fischer-Dieskau stellt Goethe als Intendant vor (dtv 24581, 464 Seiten, sw Abb., Klappbroschur, 16,50 Euro). Der aktive Theatermann Goethe ist bisher in dieser Form nicht geschildert worden. Fischer-Dieskau zeichnet seinen nicht immer hindernisfreien Weg nach und läßt so die Theaterleidenschaften im klassischen Weimar wieder lebendig werden. Spannend und informativ zugleich. os


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