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31.03.07 / Verständnis für Rußland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-07 vom 31. März 2007

Gedanken zur Zeit:
Verständnis für Rußland
von Wilhelm v. Gottberg

Der amerikanische Wunsch, Raketen und Radaranlagen in Nordpolen / Masuren und Tschechien zu installieren, wird in Fachkreisen schon seit längerem diskutiert. Nach offizieller US-Verlautbarung soll die beabsichtigte Maßnahme rein defensiven Charakter haben und die USA sowie den gesamten Westen vor überraschenden Angriffen der sogenannten "Schurkenstaaten" mit Interkontinentalraketen schützen. Deshalb sprechen die Befürworter des Projektes ausschließlich von einem "US-Raketenabwehrsystem". Unstrittig ist jedoch, daß ein sogenannter "Raketenschutzschild" auch offensiv genutzt werden kann, gegebenenfalls sogar für einen Präventivschlag.

Zweifellos ist die angedachte Maßnahme, wenn sie zustande käme, eine militärische Aufrüstung und eine Mißachtung der gebotenen partnerschaftlichen Solidarität innerhalb des Nato-Bündnisses. Die derzeitige US-Administration beabsichtigt den "Raketenschutzschild" nicht im Rahmen des Nato-Bündnisses, sondern als bilaterales Vertragswerk mit den Vertragspartnern Polen und Tschechien einzurichten, obwohl beide ostmitteleuropäische Staaten Nato-Mitglieder sind. Käme es zum Konfliktfall, wäre die kollektive Führung des Nato-Bündnisses ohne Einfluß.

Die noch im Stadium der Planung befindliche Maßnahme droht Europa sicherheitspolitisch zu spalten. Deshalb hat die Bundeskanzlerin als derzeitige EU-Ratspräsidentin vorgeschlagen, das US-Raketensystem als Projekt der Nato in die amerikanisch-europäische Bündnispolitik zu integrieren. Polen hat signalisiert, über diesen Vorschlag nachzudenken.

Erst seit der Rede Putins auf der Münchener Sicherheitskonferenz am 10. Februar dieses Jahres wird das Raketenprojekt international umfassend erörtert. Der russische Präsident hat in München darauf hingewiesen, daß die Installation von Raketen und Radarschirmen vor der Haustür seines Landes eine Bedrohung Rußlands darstelle und Gegenmaßnahmen erforderlich mache. Damit würde ein Wettrüsten in Gang gesetzt, das in einen neuen Kalten Krieg einmünden könne. Nicht Aufrüstung, sondern Abrüstung, so Putin, sei das Gebot der Stunde.

Der Kremlchef hat darauf hingewiesen, daß eine reale Gefährdung der USA und der Europäischen Union durch Schurkenstaaten nicht existiere. Weder Nordkorea noch der Iran verfügen über interkontinentale Langstreckenraketen mit einer Reichweite von über 4000 Kilometer.

Nach Auffassung maßgeblicher Experten werden diese Länder auch mittelfristig nicht in der Lage sein, derartige Projektile herzustellen. Wenn also die offizielle Begründung für die Aufstellung des sogenannten "Raketenabwehrsystems" nicht stichhaltig ist, muß es andere Gründe geben, dennoch die geschilderte Aufrüstungsmaßnahme zu realisieren. Gründe, die man aus übergeordneten Aspekten nicht nennen will oder kann.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor Rußland zunächst seinen Status als zweite Weltmacht neben den USA. Unter Putin strebt das Land erneut zur Ebenbürtigkeit mit den USA.

Für Rußland ist das von existentieller Bedeutung, da niemand den weiteren Aufstieg Chinas zur Vormacht im gesamten asiatischen Raum aufhalten wird. Rußlands rohstoffreiche sibirische Weiten werden in das Blickfeld Chinas kommen, wenn sie es nicht schon sind.

Militärtechnisch hängt Rußland den USA mindestens ein Jahrzehnt hinterher. Zum Weltmachtstatus gehört aber nicht nur militärische Spitzentechnik, wie der gescheiterte Angriffskrieg der USA gegen den Irak belegt, sondern auch der Besitz oder die Verfügungsgewalt über Rohstoffressourcen. Rußland mit seinen riesigen Gas- und Ölvorkommen, mit seinem Reichtum an Buntmetallen hat auf dem ökonomischen Sektor Weltmachtstatus. Da die USA im eigenen Land mit Vergleichbarem nicht aufwarten können, versuchen sie, sich weltweit rohstoffreiche Einflußzonen zu sichern, mit denen ihr nicht wegzuleugnender Ressourcennachteil kompensiert werden kann.

Die Raketenbatterien in Polen dienen auch der Beschneidung des russischen Einflußgebietes an der russischen Südgrenze. In der Ukraine und in Georgien konnten mit amerikanischer Unterstützung rußlandkritische Regierungen zur Macht gelangen. Über die Gaslieferungen in diese Länder und den Gaspreis versucht Rußland, der Entwicklung entgegen zu wirken. Amerika hat bereits in der erdölreichen Region am Kaspischen Meer in Aserbaidschan Fuß gefaßt. Die Raketenbatterien in Masuren, möglicherweise auch bald in Rumänien oder der Türkei, können unausgesprochen signalisieren, daß die Weltmacht USA gegebenenfalls auch militärisch Schutz gewähren kann.

In Bulgarien und Rumänien, so hat Putin in seiner Rede in München ausgeführt, entstehen sogenannte leichte amerikanische Vorposten-Basen mit jeweils 5000 Soldaten. Das bedeute, daß die Nato ihre Stoßkräfte immer näher an die russische Staatsgrenze heranbringe. 1990 habe die Nato der Sowjetunion die Zusage gegeben, Nato-Streitkräfte nicht über die Ostgrenze Deutschlands hinaus zu stationieren.

Aus russischer Sicht hat es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine ständige Verschlechterung der russischen Sicherheitslage gegeben. Heute sind die baltischen Staaten im Nato-Bündnis, was den Russen nicht behagt, aber ihre Sicherheit nicht bedroht. Wenn nun allerdings bereits in entsprechenden Zirkeln eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens diskutiert wird, muß das Rußland beunruhigen. Der Westen ist gefordert, die sicherheitspolitische Debatte mit Rußland verstärkt und intensiv zu führen.

Die imperiale Strategie der USA hat es geschafft, das Nato-Bündnis ins Zwielicht zu bringen. Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis, was durch den Nato-Vertrag eindeutig ausgewiesen wird. Heute kämpfen auf Druck der USA Nato-Soldaten in Afghanistan. Wen oder was verteidigen sie dort? Die Menschenrechte? Es gibt zahlreiche Beispiele in den letzten Jahren, daß Menschenrechte für Amerika nicht zählen, wenn es um die Durchsetzung der eigenen Hegemonialinteressen geht.

Afghanistan hat keinen Nachbarstaat angegriffen. Der Krieg in diesem Land gilt der Verteidigung der geostrategischen US-Interessen. Amerika alleine wird sich am Hindukusch nicht behaupten können. Das haben schon die Engländer im 19. Jahrhundert und die allmächtige Sowjetunion im 20. Jahrhundert versucht und sind daran gescheitert. Der Krieg in Afghanistan mit dem Ziel, sich dort zu behaupten, aber auch das Raketenprojekt in Ostmitteleuropa sollen dazu beitragen, den Status der USA als alleinige Weltmacht zu festigen. Dient dieses Ziel auch den europäischen Interessen?

Foto: Keine Dialogbereitschaft: George Bush verhandelt an Putin vorbei mit Polen und Tschechien.


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