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31.03.07 / Das Glück dieser Erde ... / Es wurden damals nicht nur Tierkäufe verhandelt - Pferdemarkt in Wehlau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-07 vom 31. März 2007

Das Glück dieser Erde ...
Es wurden damals nicht nur Tierkäufe verhandelt - Pferdemarkt in Wehlau
von Ruth Maria Wagner

Prüfend schaute der grauhaarige Bauer der braunen Stute ins Gebiß, ging einmal um sie herum und musterte sie von allen Seiten, ehe er sich an den Geschäftspartner wandte: 

"Ziemlich gut sieht die Kobbel ja aus. Was soll sie denn kosten?"

"Na, ich hab mir so gedacht ..."

"Ach, du grieses Katzchen - nei! Das ist zu teuer."

"Also, weil du es bist, ich mach dir ein Angebot ..."

"Fuffzig weniger!"

"Und Magrietsch!"

"Einverstanden!"

Ein Handschlag besiegelte das Geschäft. Er war nicht weniger wert als der in anderen Wirtschaftskreisen übliche Kaufvertrag, und der "Magrietsch", der landesübliche Zutrunk auf Kosten des Käufers, machte den Handel gewissermaßen rechtsgültig. So war das auf dem Wehlauer Pferdemarkt, dem größten in Europa, zu dem sogar Pferde aus Kanada gebracht wurden, weil die Preise hier günstiger waren als anderswo - und auch die heiratsfähigen Töchter, weil auch ihre Chancen hier größer waren als anderswo.

Seinen Ursprung hatte der Wehlauer Pferdemarkt in der Ordenszeit. Als 1336 am Jakobustag im Juli die Wehlauer Kirche ihrer Bestimmung übergeben wurde, fand anläßlich der Kirchweih ein großer Jahrmarkt statt, zu dem die Bauern von nah und fern kamen, um ihre Produkte anzubieten. Und zu diesen Produkten gehörten auch damals schon Pferde.

Seinen besonderen Charakter als Pferdemarkt hatte der Jakobusmarkt nach alten Urkunden spätestens 1667 gewonnen, doch bereits Herzog Albrecht schenkte der Stadt 1561 ein Landstück vor dem Alletor, das bald den Namen Roßmarkt führte. 1857 betonte ein zeitgenössischer Chronist: "Wie der Königsberger Pferdemarkt die teuren und die Luxuspferde liefert, so der Wehlauer die zur Wirtschaft erforderlichen. Der Wehlauer Markt wird daher meist von der mittleren Klasse besucht ..."

Zum Pferdemarkt von 1896 wurde eine Anzahl kanadischer Pferde nach Wehlau gebracht und einmal sogar die Rekordzahl von 22000 Pferden erreicht, die in Wehlau zum Verkauf standen. 12000 Pferde waren bei den Märkten vor 1914 keine Seltenheit; aber selbst 1937 noch wurde die gleiche Zahl registriert.

Pferdemarkt - im Zeitalter der Motorisierung kann man sich kaum noch vorstellen, wie das damals war. Schon wochenlang vorher setzten in Wehlau die Vorbereitungen ein, denn die Stadt wollte sich natürlich von ihrer besten Seite zeigen. Anfang Juli begann der große Zustrom von außerhalb, vor dem Ersten Weltkrieg auch über die Grenzen hinweg, aus Rußland, Litauen und Polen. Diese Pferde erkannte man leicht daran, daß sie hintereinander gebunden waren, immer an den Schweif des Vorderpferdes. Für jedes Pferd, das die Grenze überschritt, mußte der Verkäufer beim Zoll ein goldenes 20-Mark-Stück hinterlegen, und dem Pferd wurde dafür eine Plombe in die Mähne gedrückt.

Auch aus der Provinz setzte der Zustrom ein, nach und nach füllten sich alle Ausspannmöglichkeiten bis zum letzten Platz. Meist kam der Besitzer mit seiner Frau und der ältesten noch unverheirateten Tochter, weil sich in Wehlau erfahrungsgemäß gute Heirats-chancen boten. Die anderen Töchter mußten daheim bleiben, denn der Wagen durfte nicht zu schwer beladen sein, weil sich das wieder auf den Zustand der Pferde auswirkte und einen Verkauf erschweren konnte.

Begann dann der acht Tage währende Markt, so waren die 200 Hektar Fläche umfassenden Schanzenwiesen, auf denen er stattfand, voller Menschen und Pferde. Geschäftiges Leben und Treiben herrschte; am Rande und bis weit in die Straßen der Stadt hinein hatten Schausteller, Gastwirte und Händler ihre Buden und Zelte aufgestellt, und ohne besondere Reglementierung regelte sich alles wie von selbst: Jeweils für 40 bis 50 Pferde taten sich die Besitzer zusammen und schufen sich eine provisorische Vorführbahn, in der die Tiere in allen Gangarten vorgeführt und begutachtet werden konnten. Nicht immer ging der Handel schnell vor sich, oft wurde stundenlang um ein Pferd gerungen, denn ostpreußische Bauern sind nun einmal bedachtsam und gründlich in ihren Überlegungen und in nüchterner Wahrung des eigenen Vorteils. Nicht nur Reit- und Kutschpferde Trakehner Abstammung waren gefragt, sondern vor allem auch Arbeitspferde. Besonderes Interesse fanden vielfach die zähen kleinen Kunter, Bauernpferde ohne Stammbaum, die sich ausgezeichnet als Zugpferde in Bergwerken bewährten.

Ein großer Teil der Pferde blieb natürlich in der Provinz, die seit altersher ein Pferdeland war, viele wurden aber auch ins Reich und manchmal bis zu 25 Prozent ins Ausland verkauft. In der großen Zeit des Wehlauer Marktes kam es vor, daß täglich bis zu 100 Waggons mit Pferden für den Abtransport nach Westen abgefertigt wurden nach der allen alten Soldaten bekannten Regel "40 Mann oder acht Pferde" für einen Wagen.

Nach 1914 ging der Wehlauer Markt stark zurück und wurde auf drei Tage beschränkt, weil nun das weite russische Hinterland fehlte, aber mit einem Durchschnittsauftrieb von wenigstens 5000 Tieren war er immer noch der größte Pferdemarkt Europas. Eine Besonderheit bildete in einer Ecke der Schanzenwiesen der sogenannte Zigeunermarkt. Dort waren aus allen Himmelsrichtungen Zigeuner mit ihren Wohnwagen zusammengeströmt. Meist blieben sie unter sich, denn für ihre struppigen, kleinen Pferde interessierte sich kaum jemand, aber wer wollte, konnte sich von einer dunkelhäutigen Schönen aus der Hand wahrsagen lassen oder wenigstens die oft malerischen Bilder betrachten, die sich dem Beschauer boten. Dieser Zigeunermarkt hielt sich übrigens bis in die Mitte der 30er Jahre hinein.

Für die Stadt Wehlau und ihre Wirtschaft bedeutete der Pferdemarkt stets eine erkleckliche Zusatzeinnahme, denn viele Landwirte nutzten die Gelegenheit, um beim Marktbesuch ihren Bedarf für einen längeren Zeitraum einzukaufen, und auch in den Lokalen blieb manche Mark hängen.

Der Zweite Weltkrieg bedeutete schließlich das Ende des einst weithin berühmten Marktes.


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