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31.03.07 / Vor 50 Jahren endete die Freiwilligkeit / Eine Jugendweihe-Beteiligung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-07 vom 31. März 2007

Vor 50 Jahren endete die Freiwilligkeit
Eine Jugendweihe-Beteiligung von nur 25 Prozent am Palmsonntag 1957 ließ Walter Ulbrich andere Saiten aufziehen

Zu den DDR-Traditionen, die den Untergang des SED-Staates überlebt haben, zählt bis heute die Jugendweihe, ein von der Staatspartei 1955 für die Absolventen des 8. Schuljahres eingeführter Konfrontationsritus zur Konfirmation beziehungsweise zur Erstkommunion und Firmung. Nicht umsonst wurde in der Regel die Jugendweihe auf den Palmsonntag gelegt, also den klassischen Konfirmationstermin. Schon in den Anfangsjahren wurden in den Vorbereitungsstunden für die Jugendweihe die Teilnehmer entsprechend der materialistisch-atheistischen Weltanschauung belehrt. Von entsprechendem Geiste war auch das Buchpräsent für die Jugendweihlinge, "Weltall, Erde, Mensch". So kann es nicht verwundern, daß die Kirchen dringend abrieten, was dazu führte, daß bis zur Jugendweihe 1957 weniger als 25 Prozent des jeweiligen Jahrgangs an der Zeremonie teilnahmen.

Über diesen Mißerfolg war SED-Generalsekretär Walter Ulbricht sehr erbost. Bei einer Jugendweihe in Dessau am Palmsonntag 1957 gab er sich nach außen hin gemäßigt. Er behauptete, bei einer Jugendweihe leiste die Jugend "ein Bekenntnis nicht zu einer Weltanschauung, sondern zu unserem Staat der Arbeiter und Bauern, zu Frieden und Humanismus". Aber der atheistische Pferdefuß wurde sichtbar, als Ulbricht betonte, die Jugend solle "lieber wissen als glauben". Wer erinnerte sich dabei nicht an das Gegensatzpaar von Wissenschaft und Aberglauben, mit dem die SED-Propaganda in diesen Jahren ständig arbeitete?

Hinter den Kulissen entlud sich Ulbrichts Zorn auf Paul Wandel, der als Sekretär für Kultur und Erziehung im Zentralkomitee der SED für die Jugendweihe zuständig war. Wandel hatte in jenem Jahr das bisherige Buchpräsent "Weltall, Erde, Mensch" durch einen Band mit dem Titel "Unser Deutschland" ersetzt und wollte den Kirchen taktisch ein wenig entgegenkommen. Ulbricht war jedoch zu der Überzeugung gelangt, daß derartiges nichts tauge und zog entsprechenden Konsequenten. Wandel wurde abgelöst und erhielt noch im selben Jahr eine strenge Rüge wegen ungenügender Härte bei der Durchsetzung der kulturpolitischen Linie der SED.

Die SED ließ die Maske fallen. Das atheistisch geprägte alte Buchgeschenk wurde wieder eingeführt. Die Werbung für die Jugendweihe erfolgte nun unter Einsatz staatlichen Drucks und empfindlicher Maßnahmen gegen "Uneinsichtige". Im SED-Zentralorgan "Neus Deutschland" stand zu lesen, daß "unsere Jungen und Mädchen durch Jugendstunden und Jugendweihe Wissen gegen Aberglauben eintauschen". Für Genossen sollte es nun eine selbstverständliche Pflicht sein, ihre eigenen Kinder an der Jugendweihe teilnehmen zu lassen. Sie wurden an ihre Vorbildfunktion bei der "sozialistischen Erziehung der Jugend" gemahnt. In Schulen und Betrieben setzte ein "sozialistischer Wettbewerb" zur Steigerung der Teilnehmerzahlen ein mit einer raffinierten Kombination von Lockungen und Drohungen.

Der Druck trug Früchte. 1959 nahmen bereits 80 Prozent des entsprechenden Jahrgangs teil, bis zum Untergang der DDR stieg dieser Wert noch bis auf 95 Prozent. Im Klima einer allgemeinen Entkirchlichung übertrugen viele Eltern und Großeltern die Familienbräuche, die früher mit der Konfirmation beziehungsweise Erstkommunion und Firmung verbunden waren, auf den neuen Ritus.

Wenn nach der Wende die Jugendweihe in Mitteldeutschland nicht verschwand, sondern sich die Teilnehmerzahl bei etwa 50 Prozent eines Jahrgangs einpendelten, so hängt dieses mit dem Bedürfnis zusammen, den Lebenseinschnitt durch eine schöne Feier, ein wenig Sinngebung und vor allem durch Geschenke bewußt zu machen. Bei aller Wandlung der Form bleibt für die alten Kader allerdings auch bei der heutigen Jugendweihe an machen Orten immer noch die Möglichkeit verdeckter Einwirkung. M. Müller


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