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07.04.07 / Feier des eigenen Überlebens / Die Sorben in der Oberlausitz begehen Ostern auf ihre eigene Weise

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-07 vom 07. April 2007

Feier des eigenen Überlebens
Die Sorben in der Oberlausitz begehen Ostern auf ihre eigene Weise
von Wolf Oschlies

Maria Michalk, Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Bautzen-Weißwasser, amüsiert sich bis heute über ihre parlamentarische "Jungfernrede" 1990: Die Stenographen stoppten sie, denn sie hatten, wie auch der ganze Bundestag, nicht verstanden, daß Maria Michalk allen in ihrer Muttersprache "Wjesole jutry" wünschte: "Frohe Ostern!"

Michalk ist Sorbin, gehört zu den Slawen in der Lausitz, die oft fälschlich als "Minderheit" apostrophiert werden. "Vom großen Stamm der Slawen sind wir der kleinste Zweig", so ihr Dichter Jurij Brezan (1916-2006): Eine vollgültige, wiewohl kleine Nation, Nachfahren der einzigen Slawen, die sich vor rund 1500 Jahren westlich der Oder als "Insel" im Germanenmeer etablierten.

Etwa 50000 zählen sie noch, davon nur drei Viertel Muttersprachler, ihre Region ist von Braunkohlebaggern, ihre Gemeinschaft von Abwanderung und Arbeitslosigkeit bedroht. Das alles und weitere Sorgen vergessen die Sorben zu Ostern: Dann flattern an Häusern stolz blaurotweiße Sorben-Flaggen und über Straßen und Wege der Lausitz reiten in vier Zügen die wahrhaft weltberühmten sorbischen "Krizerjo" (Osterreiter). Etwa 1700 werden zu diesem Ostern erwartet - von ungezählten Besuchern aus aller Welt, vor allem aus slawischen Nachbarländern, bewundert.

Um genauer zu sein: Osterritte finden nur in der Oberlausitz um Budysin (Bautzen) statt, dem eigentlichen Kerngebiet des sorbischen Ethnikums, aber seit 1540 ununterbrochen - nicht einmal im Kriegsfrühjahr 1945 haben die "Krizerjo" auf ihren Ritt verzichtet (was sogar sowjetische Tiefflieger respektierten). Mitreiten dürfen nur katholische Obersorben ab 14 Jahren. "Novizen" sind durch eine grüne Myrthe gekennzeichnet, "Veteranen" durch eine silberne, alle tragen sie Frack und Zylinder, führen Kirchenfahnen mit sich und singen ein Repertoire an sorbisch-slawischen Kirchenliedern.

Osterritte waren einst heidnischer Brauch, als man zu Pferd magische Schutzringe um Felder zog. Als "Frühjahrsritte" hat die SED sie widerwillig geduldet, aber mit "Gedichten" verhöhnt, in denen sich "Monstranz" auf "Pferdeschwanz" reimte. Das löste heftige Proteste sorbischer Geistlicher aus, die die Osterritte als reiterliche Weitergabe der Botschaft vom auferstandenen Heiland verteidigten. Zudem sind sie wichtigster Teil des sorbischen Osterbrauchtums mit "Ostersingen", "Osterwasser-Holen", "Ostereiermalen" (in Wachs-, Ätz- und Ritztechnik), "Osterfeuer" und mehr.

Das haben sich die Sorben nie nehmen lassen - nicht von preußischen oder sächsischen Königen (die sie mal schlechter, mal weniger schlecht, aber nie gut behandelten), nicht von nationalsozialistischen Führern (die sie als "Wendisch sprechende Deutsche" vereinnahmen wollten und 1937 alles Sorbische verboten), am allerwenigsten von SED-Generalsekretären. Angeblich waren die Sorben deren "Hätschelkinder", aber sie spürten, daß die Umarmungen von Ulbricht und Honecker Würgegriffe waren, um "die ganze Sorben-Geschichte langsam auslaufen zu lassen" (wie die "Linie" war). In den frühen 1950er Jahren hatte Jurij Brezan ein Gedicht über sein "Vaterland DDR" geschrieben, 1964 dichtete er es zum "Anti-Gedicht" um: "Ich sah die drei Buchstaben D und D und R sich zudrehen zum Strick / zur Schlinge für uns." Das war keine poetische Metapher, vielmehr bittere Realitätsbeschreibung: 1964 hatte die SED, nach ungezählten Drangsalen gegen das Sorbentum, die "7. Durchführungsbestimmung zur Schulreform" verfügt, die den Sorben faktisch den Sorbischunterricht strich - ein Schlag, von dem sich ihre Kultur und Sprache nie mehr völlig erholten. Daß die Stasi in dem Ort Ottendorf-Okrilla einen ehemaligen Steinbruch als Internierungslager für renitente Sorben ausbaute, wußte kaum jemand, aber dort wären viele von ihnen inhaftiert worden, allen voran der Schriftsteller Jurij Koch mit seinem "Feldzug" gegen die "Devastierung" der Lausitz, dazu die mit regimefeindlicher List begabten Geistlichen Rudij Kilank und Jan Malink und viele mehr. Auch der über Jahrzehnte SED-hörige Sorbenverband "Domovina" (Heimat), am 10. Mai 1945 als erste politische Vereinigung in Nachkriegs-Deutschland wiedergegründet, ging lange vor 1989 auf Konfrontationskurs zur SED.

Die Wende kam für die Sorben wirklich "Fünf vor Zwölf", und ohne ihre Kirche hätten sie wohl kaum überlebt. Nur bei den Sorben fanden kommunistische FDJ und "Jugendweihe" geringe Akzeptanz, nur bei ihnen hatten Ostern und Pfingsten auch dann noch zwei Feiertage, als sich die restliche DDR mit einem begnügen mußte. Die Kirche stand für das "sorbische magische Viereck", gefügt aus sorbischer Sprache, Lausitzer Brauchtum, slawischer Identität und sorbisch-katholischer Religiosität, das sich als solide Trutzburg gegen SED und ihre "sorbisch Abgelohnten" (so Jurij Brezan über die wenigen Kollaborateure) erwies.

Zu Ostern wurde das eigene Überleben gefeiert - in der Regie des "sorbischen Goethe" Handrij Zejler (1804-1872): Auf mähnigen Pferden unter blaurotweißen Bändern hinein in den Morgenglanz, der uns alle fröhlich macht! Und wenn die LPG keine Pferde herausrückte, borgte man sich welche bei Dresdener Gestüten - ganz "fromme", wie mancher Sorbe sich augenzwinkernd erinnert.

Dem Osterritt gehen mehrtägiges Pferdeschmücken und eine morgendliche Messe voraus, bis man sich am Ostersonntag auf die vier klassischen Routen macht - gestaffelt nach Stundenplan, damit die Zuschauer Zeit zum Ortswechsel haben. Kirchen und Friedhöfe auf dem Zugweg werden singend und betend umritten, und die Novizen (die in den letzten Jahren immer mehr werden) können abendliche Feiern meist nur im Stehen mitmachen. Aber am Dienstag nach Ostern sitzen alle "Krizerjo" im Kloster "Marijina Hwezda" (Marienstern) und singen die alten sorbischen Osterlieder, die ein Fest für Ohr und Gemüt sind.

Und danach? Bleiben Sorben nur folkloristische Attraktion? Nein! Das wiedervereinigte Deutschland hat ihnen erstmalig, nach Jahrhunderten von Dominanz und Assimilation (die die sorbische Soziologin Trudla Malinkowa dokumentierte), eine faire Koexistenz geboten: Die 1993 geschaffene Stiftung für das sorbische Volk finanziert, was die kleinste Slawennation zum kulturellen Überleben braucht - Schulen, Medien, Verlage, Theater, Ensembles, Museen, Sorabistik als Schulfach in Sachsen etc. Aber ist das eigentliche Problem bewältigt? Wer als Deutscher die Lausitz verläßt, um anderswo Arbeit zu finden, wird immer Deutscher sein - ein Sorbe kann nur in der Lausitz Sorbe bleiben! Gute Wirtschaftskonjunktur sollte hier Besserung bewirken. Bleibender erscheint, daß Deutschland beherzigt, was Jurij Brezan 1987 in seiner Autobiographie wünschte: Wenn die Deutschen in ihrer Vielheit lernten, mit uns wenigen Sorben von gleich zu gleich zu leben - was für ein Bild von Deutschland sähe die Welt!

Foto: Sorbische Osterreiter-Prozession: Gemäß traditionellem katholischen Brauch verkünden die Männer mit Frack und Zylinder singend die Auferstehung Christi.


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