24.04.2024

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14.04.07 / Suchdienst im Fadenkreuz / Die NS-Opferdatenbank Bad Arolsen gerät unnötig unter Beschuß

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-07 vom 14. April 2007

Suchdienst im Fadenkreuz
Die NS-Opferdatenbank Bad Arolsen gerät unnötig unter Beschuß
von Sverre Gutschmidt

Wahlen spielen in der Politik eine große Rolle - besonders dann, wenn spektakuläre Forderungen gestellt, oftmals auch an andere Staaten gerichtet werden. Das kommt mitunter an beim Wähler. In den USA und Frankreich ist gerade Wahlkampf. Es geht neben vielem anderen auch um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Das größte Archiv mit 30 Millionen Dokumenten von rund 17 Millionen betroffenen Opfern des NS-Regimes liegt unglücklicherweise in Deutschland, in Bad Arolsen. Unglücklich

ist das, weil der Zugang zu den bisher nicht digital erfaßten Daten nur unmittelbar Betroffenen vor Ort möglich war - ungünstig für US-Bürger. Ein internationaler Ausschuß wacht über das Prozedere der Einsicht dieses "Internationalen Suchdienstes". Die Deutschen bezahlen Personal und laufende Kosten. Nun sollen alle Daten elektronisch erfaßt und den Mitgliedsstaaten der Organisation übergeben werden.

Doch überall, wo mehrere Staaten sich einigen müssen, geht es langsam zu. Zu langsam für viele - Forscher wie Historiker, die sich bisher ausgeschlossen fühlten, Politiker und Funktionäre, die Anfragen von Millionen Überlebenden in aller Welt gern schnell und in ihrem Land beantwortet sehen wollen. - Verständliche Anliegen, nur: Wenn bisher Datenschutz und überkommene internationale Regularien im Umgang mit dem einzigartigen Archiv und den jährlich 150000 Anfragen aus aller Welt für Ärger sorgten, war der Sündenbock schnell gefunden. Es waren stets die Deutschen.

Doch die sind nur ein kleiner Teil des internationalen Gremiums, das über die Daten wacht. Belgien, Frankreich, Griechenland, Israel, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Polen, Großbritannien und die USA bestimmen gemeinsam, was in Bad Arolsen zu welchen Bedingungen geschieht. Einige dieser Staaten verzögern, daß die Daten schnell in anderen Gedenkstätten weltweit zugänglich gemacht werden. Die USA, Israel, Polen, die Niederlande und auch Deutschland haben als Mitglieder des Gremiums der elektronischen Erfassung bereits zugestimmt. Es fehlen noch Italien, Belgien und Frankreich. Der Grund sind Wahlen in diesen Ländern.

Daß die Amerikaner in Form des Außenpolitischen Ausschusses des Repräsentantenhauses (US-Parlament) auf schnelle "Öffnung" des Archivs drängen, geht somit diesmal nicht an die deutsche Adresse. "Wir stehen mit den Amerikanern und Israelis, den einzigen beiden Staaten die bisher konkrete Ziel-Institutionen für die Daten genannt haben, in ständigem Kontakt - die großen Unstimmigkeiten vom vergangenen Frühjahr sind beigelegt", sagt Udo Jost, Pressesprecher des Internationalen Suchdienstes gegenüber der PAZ. Der jetzt im März beschlossene Zeitplan werde eingehalten. Sobald alle Staaten den neuen Bestimmungen nebst Digitalisierung zugestimmt haben, dürfen die Betroffenen die Dokumente über sich und ihre Familien auch digital im Ausland einsehen.

Genau da liegt das Problem. Die Erfassung der Daten läuft zwar schon auf Hochtouren, allein solange noch nicht alle elf Staaten des Gremiums zugestimmt haben, müssen die Betroffenen in Israel und Amerika warten, selbst dann, wenn die Deutschen schon alles überspielt haben. Dieser Prozeß ist wiederum aufwendige Handarbeit. "In diesem Jahr wird noch keine Recherche im Ausland möglich sein", so Jost. "Wir haben nicht zu wenig Personal, wir halten uns an den vereinbarten Zeitplan - die Amerikaner wollen wohl denen, die noch nicht unterzeichnet haben, Dampf machen."

Als namhafte Institutionen haben sich diese vor allem amerikanischen Kritiker nämlich schon das Washingtoner US-Holocaust Memorial Museum sowie die israelische Gedenkstätte Yad Vashem ausgesucht. Andere Institutionen zur Einsichtnahme stehen noch nicht fest. Die Franzosen haben beispielsweise noch keine benannt - wohin sollten die Deutschen also liefern?

Auch das Problem mit den deutschen Vorstellungen von Datenschutz ist ausdiskutiert. Im Mai wird sich das internationale Gremium in Amsterdam auf endgültige Zutrittsregeln einigen, sie gelten dann für alle, so Jost.

Und die Frage, warum die Erfassung überhaupt erst jetzt erfolgt, ist ebenfalls von dem Gremium zu beantworten - die Mitarbeiter in Bad Arolsen waren in den vergangenen Jahren schon mit der Entschädigung der Zwangsarbeiter vollauf beschäftigt. Auch dafür ist das Archiv die wichtigste, oft einzige Quelle.

Ein weiterer Grund, warum neuerdings häufiger Vorwürfe erhoben wurden: Die Opfer werden weniger. Hatten sie früher faktisch noch allein das Sagen im internationalen Ausschuß, ist dieser in jüngerer Vergangenheit zunehmend mit "Experten" besetzt worden. Das Gefühl, direkt Einfluß zu haben, mag darunter gelitten haben. Mit der Verbreitung der elektronischen Daten soll das bald ausgeglichen sein. Es muß zugleich weiter garantiert bleiben, daß das sensible Material nicht in unbefugte Hände gerät. Die Digitalisierung ist somit Teil eines Kompromisses, denn auch Forscher bekommen nun allgemein leichteren Zugang.

Immerhin enthalten die Aufzeichnungen auch drastische Dokumente von Folter, medizinischen Versuchen und Daten zu individuellen Schicksalen in Konzentrationslagern. Sensible Informationen, die niemand mehr einfach ins Internet stellen will, auch die Amerikaner nicht. In Bad Arolsen wird der Suchdienst auch nach der Digitalisierung fortbestehen. Und in dringenden Fällen beispielsweise bei Krankheit gibt es auch künftig einen vorgezogenen Termin, sagt Udo Jost.

Foto: Streit ums Archiv: Zahlreiche Leidenswege sind hier dokumentiert.

 

Zeitzeugen

Helmut Kohl - Sein durch mehrere Instanzen gegangener Rechtsstreit mit der Bundesrepublik Deutschland um die Herausgabe von Stasi-Unterlagen über ihn ist ein klassischer Fall des Widerstreits zwischen Datenschutz und Informationsfreiheit.

Kaspar Hauser - Es gibt Indizien, daß er entweder ein badischer Erbprinz war, der nach seiner Geburt mit einem sterbenden Kind vertauscht worden ist, um den Weg frei zu machen für die Nachfahren der zweiten Ehefrau Großherzog Karl Friedrichs, oder aber aus einer intimen Zusammenkunft der Ehefrau von Karl Friedrichs Enkel Karl mit Napoleon hervorgegangen ist. Für eine Verwicklung des Hauses Baden spricht, daß es nur ausgesuchten Wissenschaftlern Einblick in seine Hausarchive gewährt.

J. Edgar Hoover - Der 1895 in Washington geborene US-Amerikaner trat 1921 in das heutige Federal Bureau of Investigation (FBI) ein und brachte es dort bis 1924 zu dessen Direktor. In dieser Eigenschaft legte er eine Datensammlung mit zum Teil kompromittierenden inoffiziellen Aufzeichnungen über Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens an. Der wahre Umfang dieser für seinen politischen Einfluß maßgeblichen Aufzeichnungen ist unbekannt, da seine Sekretärin in den Tagen nach seinem Tod 1972 sämtliche Dateien vernichtete.

Pius IV. - Giovanni Angelo Medici kam 1499 in Mailand zur Welt und stand von 1559 bis zu seinem Tod 1565 als Papst an der Spitze der katholischen Kirche. Während seines Pontifikats wurde das legendäre Vatikanische Geheimarchiv aus der Bibliothek des Vatikans als eigene Organisationseinheit herausgelöst.

Marianne Birthler - Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin trat 2000 die Nachfolge Joachim Gaucks als Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik an. 2006 wurde sie vom Deutschen Bundestag mit einer eindeutigen Mehrheit von 486 Stimmen bei 60 Gegenstimmen und 17 Enthaltungen in diesem Amt bestätigt. Marianne Birthler ist geschieden und Mutter dreier Töchter.


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