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14.04.07 / Zur außerparlamentarischen Opposition gezwungen / Neues Parteiengesetz treibt die Menschen in Rußland auf die Straßen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-07 vom 14. April 2007

Zur außerparlamentarischen Opposition gezwungen
Neues Parteiengesetz treibt die Menschen in Rußland auf die Straßen
von M. Rosenthal-Kappi

Der Plan Wladimir Putins, mit harter Hand Rußland zu einer wiedererstarkten, in aller Welt hoch angesehenen Großmacht zu machen, könnte wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Es ist möglich, daß noch vor der Präsidentschaftswahl im März 2008 eine russische "außerparlamentarische Opposition" die Kremlpolitik gründlich erschüttern wird.

Erste Warnzeichen sind unübersehbar: Nationalbolschewisten marschierten in Irkustk auf, in St. Petersburg blockierten mehrere hundert Protestierende den Newskij Prospekt und die Zufahrt zur Duma, in Nischnij Nowgorod wurden 102 Personen festgenommen, die sich gerade zu einem Protestmarsch versammelten. Immer häufiger schließen Passanten sich einer vorbeiziehenden Protestgruppe an. Bislang sind es noch kleine Gruppierungen, die zum "Marsch der Nicht-Einverstandenen" aufrufen. Ihnen schließen sich aber auch Vertreter verbotener Organisationen mit kämpferisch klingenden Namen an, wie der nationalbolschewistischen Partei und der "Vereinigten Bürgerfront".

Der Staat gibt Oppositionellen im Land genügend Anlaß aufzubegehren. In sieben Jahren hat Putin, der sich selbst gern als lupenreiner Demokrat bezeichnet, die Entwicklung der erst aufkeimenden, jungen Demokratie, in der - nach Korruption und Mißwirtschaft der Jelzin-Ära - eine freiere Gesellschaft sich erst zu entwickeln begann, deutlich zurückgeschraubt. In der Absicht, alle Kräfte für den Ausbau der Staatsmacht zu bündeln, wurden Privatunternehmen zu staatseigenen Großkonzernen umfunktioniert, mit dem Aufkauf fast aller Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Zeitungsverlage die Pressefreiheit weitestgehend unterwandert.

Um die Macht der Regierungspartei "Einiges Rußland" zu festigen, wurde Ende des vergangenen Jahres ein neues Parteiengesetz erlassen, das es zum einen kleineren Parteien unmöglich macht, sich zur Wahl zu stellen, und zum anderen die Bildung neuer Parteien erschwert. Nach dem - für die jüngst durchgeführten Regionalwahlen schon gültigen - Parteiengesetz wird eine Partei nur dann auf die Wahlliste gesetzt, wenn sie über mindestens 50000 Mitglieder, verteilt auf 45 Regionen, verfügt. So konnten von 38 Parteien nur 17 die Zulassung erreichen. Für viele kleinere Parteien bedeutet dieses Gesetz das "Aus" - unter anderem auch für die "Republikanische Partei Rußlands" und die "Sozialdemokraten", der Partei Gorbatschows. Darüber hinaus wurde die Fünf-Prozent-Hürde auf sieben Prozent erhöht.

Demokratie hat hier kaum noch eine Chance. So überrascht es nicht, daß bei den Regionalwahlen die Regierungspartei "Einiges Rußland" stärkste Partei wurde. Neben der Partei Sergej Mironows "Gerechtes Rußland" hatte nur die Kommunistische Partei, die fast überall zweitstärkste Partei wurde, eine Chance. Die einzigen Gegenkandidaten zu den Kandidaten von "Einiges Rußland" sind - wie Mironow - treue Verbündete des Präsidenten, es handelt sich also lediglich um eine Scheinwahl mit "Pseudo-Gegnern". 13 kleinere Parteien haben auf die Gesetzesänderung bereits reagiert und sich zum "national-patriotischen Bündnis" zusammengeschlossen.

Welche Absicht sich hinter der Änderung des Parteiengesetzes verbirgt, liegt auf der Hand: Oppositionelle und demokratische Minderheiten sollen von der Wahl und einem möglichen Einzug ins Parlament ausgeschlossen werden.

Mit dem Wegfall des Kästchens "Gegen alle" auf dem Wahlzettel ist nach Ansicht russischer Politologen ein wichtiges Ventil für Wähler, die keiner der aufgestellten Kandidaten ihre Stimme geben wollen oder die ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen möchten, weggefallen. Wladimir Wassiljew vom "Laboratorium für politische Psychologie" kritisiert, daß die Partei "Einiges Rußland" keine politische Kraft, sondern ein Instrument sei, was die Wähler auch spürten. Die meisten kreuzten gewohnheitsmäßig die Regierungspartei an. Von deren Wahlpropaganda werden sie schließlich überall und ständig - durch Fernsehen, Radio, Werbung und Zeitungen - überflutet.

Diese Entwicklung hin zur gelenkten Staatsmacht sieht auch Politologe Aksjonow mit Besorgnis. Er befürchtet, daß die Unterdrückung der parlamentarischen Opposition zu massenweisen Protestaktionen auf der Straße führen wird, sprich zu einer "Außerparlamentarischen Opposition" (APO).

Die heutigen Parteien an der Macht werden vom russischen Volk als linksorientiert empfunden. Es fehlt an rechten oder mitte-rechts stehenden Parteien. Für den Fall, daß dieses Ungleichgewicht nicht korrigiert wird, sagt Politpsychologe Wassiljew eine Zersplitterung der Regierungspartei in einzelne Gruppen spätestens nach der Präsidentschaftswahl voraus. Schon heute fehle es der Partei an geeigneten Kandidaten, denn es sei schwer, Leute zu rekrutieren, die sich einerseits als Erfüllungsgehilfen erweisen, andererseits genügend Charisma mitbringen, um Wähler anzuziehen.

Schon heute erweist sich das neue Parteiengesetz als Farce in den kaum besiedelten, entfernten Weiten Rußlands. Dort gibt es in der Regel nur einen Kandidaten von "Einiges Rußland", der sich selbst wählen muß, wenn sein Nachbar nicht zur Wahl erscheint. Eine solche Stimmabgabe wurde in einem Dorf des Rayons Zelinnij im Kirgansker Gebiet als rechtens anerkannt.

Mit einem Aufstand der Massen ist in Rußland zur Zeit wohl kaum zu rechnen, da Umfragen zufolge die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit Demokratie wenig anzufangen weiß und der Partei ihres Präsidenten vertraut. Es könnte dennoch brenzlig werden für die russische Regierung, dann nämlich, wenn es einem charismatischen Führer einer APO gelingt, die Massen mit populistischen Losungen zu mobilisieren. Den Nährboden hierfür liefert das neue Parteiengesetz.


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