19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
14.04.07 / Verstoß gegen ungeschriebene Gesetze / Ups, ein Pups oder Peinlichkeiten, denen man kaum entgehen kann

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-07 vom 14. April 2007

Verstoß gegen ungeschriebene Gesetze
Ups, ein Pups oder Peinlichkeiten, denen man kaum entgehen kann
von Corinna Weinert

Peinlichkeiten lauern überall: Da bekleckert man sich beispielsweise beim Essen im Restaurant das Hemd, steckt am Schreibtisch mal kurz den Finger in die Nase und wird prompt ertappt, oder es entfahren einem im Theater unfeine Körpergeräusche. Scham erfüllt, versuchen wir uns aus der Situation herauszuwinden, werden wir doch - gezügelt durch Knigge - von klein auf trainiert, derartiges Verhalten tunlichst zu vermeiden. Der Grund für unser Schamgefühl: Bei uns gilt es einfach als unschicklich, in der Öffentlichkeit in der Nase zu bohren, zu pupsen oder zu rülpsen.

Scham gehört zu den mächtigen Gefühlen, die unser Verhalten steuern. Scham reguliert - teilweise durch sozialen Anpassungsdruck - unser Zusammenleben. Was aber löst das Peinlichkeitsgefühl aus? Geht es eher um Äußeres, um Eigenschaften, um Verhalten? Welche Normen, welche Werturteile spielen eine Rolle?

Natürlich hat die Fähigkeit - oder Unfähigkeit - Scham zu empfinden, etwas mit dem Selbstbewußtsein zu tun. Mehr noch hat sie mit Erwartungen und Normen zu tun. Was im Einzelfall als peinlich empfunden wird, ist von der Gesellschaft, in der man lebt, und ihrer Kultur abhängig. Da die meisten Menschen das Bedürfnis haben, sich in die Gesellschaft einzugliedern, bekommen sie ein unangenehmes Gefühl, wenn sie deren ungeschriebene Gesetze brechen. Kurz gesagt: Entspricht unser Verhalten nicht den Erwartungen und Normen der Gesellschaft, empfinden wir das als peinlich.

Scham entsteht, wenn die Ansprüche einer Person an sich selbst und ihr Verhalten plötzlich auf unkontrollierbare Weise auseinanderklaffen. Die negative Selbstbewertung in Richtung Ungehörigkeit oder Unzulänglichkeit führt zu dem Gefühl, den Eindruck, den man auf andere macht, nicht mehr steuern zu können. Scham ist dann eine Gewissenreaktion, mit der man auf Verstöße gegen die Erwartungen und Normen, die von der Gesellschaft als Regeln des Anstands, der Gesittung und des Wohlverhaltens angesehen werden, reagiert.

In jeder Gesellschaft bestehen eigene Regeln, daher empfindet man überall etwas anderes als peinlich. In China ist beispielsweise das Rülpsen beim Essen niemandem unangenehm. Im Gegenteil, hier gilt: Je lauter man speist, desto besser schmeckt es einem. Rülpsen und Schmatzen ist erwünscht, es wird gewissermaßen als Kompliment für den Koch gewertet; sich öffentlich zu schneuzen empfindet man dagegen als absolut ekelhaft.

Von allen Emotionen ist Scham wohl die dem Menschen eigenste. Ein liebendes, neidisches oder wütendes Tier können wir uns vorstellen: aber ein Tier, das peinlich berührt wäre? Nur wir Menschen empfinden Scham, nur uns kann es darum peinlich sein, wenn etwas, das wir lieber verbergen möchten, öffentlich wird.

Scham empfindet man immer nur vor anderen, nicht vor sich selbst. Es kann aber auch vorkommen, daß man Scham empfindet, wenn die Betreffenden gar nicht anwesend sind. Man schämt sich dann vor verinnerlichten Bildern oder Stimmen, also dem "inneren Beobachter".

Scham kann auch für die Situation oder das Verhalten von Dritten erlebt werden. Solche Fremdscham kommt in zwei Fallgruppen vor: Man schämt sich stellvertretend für jemanden, der selbst keine Scham empfindet, oder man schämt sich zusammen mit einer anderen Person.

Auf Grund der Bedeutung sozialer Verbundenheit mit anderen Menschen wirkt sich Scham auch präventiv in starken Vermeidungsgefühlen aus, die auftreten, wenn man sich in Gedanken mit Dingen beschäftigt, deren Realisierung einen Ausschluß aus der Gruppe zur Folge hätte.

Menschen, bei denen früh im Leben Scham ausgelöst wurde, werden von dieser oft dauerhaft beherrscht: Solche Menschen werden regelrecht von der Wahrnehmung durch andere "abhängig". Sie sind nicht, was sie fühlen oder machen, sondern was andere über sie aussagen oder ihnen zuschreiben. Das Denken wird von der Frage beherrscht: "Was andere wohl von mir halten mögen?" Scham kann dann sogar in eine Depression münden, wenn der Organismus diese als Notbremse zieht, um krankmachendem Denken, Erleben und Verhalten einen Riegel vorzuschieben.

Als körperliche Reaktionen der Scham sind allen Menschen bekannt: das unwillkürliche Erröten, erhöhter Puls, Schwitzen oder der sprichwörtliche Kloß im Hals. Um Schamgefühle zu bewältigen, verhalten sich manche Menschen oft so, daß ihr Verhalten andere peinlich berührt, etwa durch schockierend provozierendes Auftreten. So zwingen sie die Umwelt dazu wegzuschauen, statt selbst aus Scham den Blick zu Boden zu richten.

Es stellt sich nun die brennende Frage: Was tun, wenn man in eine als peinlich empfundene Situation geraten ist? Wichtig ist zunächst einmal, Ruhe zu bewahren und realistisch einzuschätzen: Was kann denn jetzt schlimmstenfalls passieren? Das verhindert die Katastrophenstimmung. Gegebenenfalls läßt sich der Fehltritt einfach ignorieren, ansonsten ist das Ganze mit einer knappen Entschuldigung oder durch einen im Vorfeld für etwaige Situationen zurechtgelegten Spruch bereits erledigt. Ferner gilt es, im Hinterkopf zu behalten, daß anderen so etwas auch passieren kann oder bereits passiert ist. Die meisten Menschen werden - an die eigene Scham in einer solchen Situation erinnert - dann auch eher Schweigen über die Angelegenheit breiten, die Entschuldigung mit einem kurzen Kopfnicken akzeptieren, statt das Vergehen breitzutreten, oder gar so tun, als hätten sie nichts gemerkt.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren