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14.04.07 / Von Königsberg nach Tilsit / Reisegrupppe vergleicht die Pregel- mit der Memelmetropole

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-07 vom 14. April 2007

Von Königsberg nach Tilsit
Reisegrupppe vergleicht die Pregel- mit der Memelmetropole
von Jochen Thies

Die Einfahrt nach Königsberg, auf einer Straße, die für den Kraftfahrzeugverkehr der Vorkriegszeit vermutlich gerade ausreichte, entlang preußischer Kasernenbauten, vollzieht sich im Schrittempo. Königsberg erstickt im Autoverkehr. Im Stadtzentrum ist ein großer Bauboom ausgebrochen, der durch die 750-Jahrfeier im Sommer 2005 ausgelöst wurde, zu der Putin Schröder und Chirac eingeladen hatte. Zuletzt gab es Meldungen, daß Teile des Schlosses wiederaufgebaut werden sollen. In einigen weitgehend unzerstörten Straßenzügen unweit des Zentrums kommt unwillkürlich der Gedanke auf, daß die ganze Szenerie einer DDR ähnelt, wenn diese 100 Jahre alt geworden wäre. Hier wie an anderen Plätzen leben die Russen vielfach in der baulichen Substanz, welche die Deutschen hinterlassen haben und welche die Exzesse der Jahre 1945/46 überstanden hat.

In Königsberg gibt es heutzutage zwischen 70 und 80 Deutsche, unter ihnen seit kurzem ein Generalkonsul und der Leiter des Deutschen Hauses. Sie wurden von bundesdeutschen Ministerien entsandt. Außerdem leben eine Reihe von deutschen Wirtschaftsfachleuten und Technikern in der Stadt. Was die ausländischen Investitionen im Sonderverwaltungsbezirk Königsberg angeht, liegt die Bundesrepublik Deutschland nach Litauen, Polen und interessanterweise Großbritannien mit deutlichem Abstand an vierter Stelle.

Das Zentrum von Königsberg ist, abgesehen von einem majestätischen Straßenzug, in dem das Oberkommando der Baltischen Flotte residiert, weitestgehend ausradiert. Nichts kann einen Ort so verändern wie der Verlust seiner historischen Straßenzüge. Die Ruine eines durch die Weltpresse bekannt gewordenen Hochhauses hat, wie ein Potemkinsches Dorf wegen der eineinhalb Jahre zurückliegenden Festivitäten, einen blauen Farbanstrich erhalten.

Nach der Fahrt durch den Königsberger Stadtteil Haberberg und durch das Villenviertel Maraunenhof weicht eine Bettlerin nicht von der Seite der Reisegruppe, als diese eine auf einem Hügel gelegenen Kirche besucht. Der tägliche Überlebenskampf in der Halbmillionenstadt ist unübersehbar und wird zumeist von den Frauen bestritten. Zwar sind die Russinnen als Schwerstarbeiter aus dem Straßenbild verschwunden, aber an den Haltestellen und auf den Märkten warten sie weiter, mit verhärmten Gesichtern und leeren Taschen.

Die Reiseführerin sagt, und dies wird durch die verfügbaren Statistiken bestätigt, daß es in Königsberg zwischen zehn und 15 Prozent der Menschen sehr gut gehe und weitere 15 bis 20 Prozent, die man zur Mittelschicht rechnen könne, mit 200 bis 250 Euro im Monat auskommen müßten. Der Rest, darunter die Rentner und Alten, also die russische Kriegsgeneration, lebe in Armut, mit 50 bis 100 Euro im Monat.

Dennoch ist in den Straßen von Königsberg, vor allem bei den jungen Menschen, eine optimistische Einstellung zum Leben unübersehbar. An der Seite des Doms, an dem sich das Kant-Grab befindet, halten in Minutenabständen weiße amerikanische Stretch-Limousinen. Bräutigam und Braut in aufwändigem, weißen Gewand steigen aus und stoßen mit ihren Familien und Freunden mit rotem Krimsekt in Pappbechern auf das neue Glück an. Auch eine entchristlichte Gesellschaft braucht Rituale.

Im Turm des Königsberger Domes ist die Begegnung mit dem dort übenden Chor vermutlich kein Zufall. Jeder Ostpreußen-Besucher muß quasi durch die enge Gasse, die der Chorraum darstellt, hindurchkommen. Aber der Erwerb von CD vollzieht sich in Würde, nachdem das kleine Ensemble mit einem ungewöhnlich intensiven, dichten Klang einige Kostproben seines Könnens abgelegt hat. Als die deutschen Besucher weiter im Turm nach oben steigen, um auf Stichen und Bildern das Königsberg der Tage von Kant zu studieren, klingt ihnen das "Ännchen von Tharau" nach.

In den Restaurants und Gaststätten von Königsberg und von Tilsit, in denen es beim Service mitunter noch hapert, bekommt man für Geld ein Angebot, das den bundesdeutschen Verhältnisse kaum nachsteht - aber beinahe zu westeuropäischen Preisen. Mühevoll ist die Verständigung mit den Russen. Denn das Personal, auch in den Hotels und Pensionen, spricht in der Regel keine Fremdsprachen.

In Tilsit ist im Vergleich zu Königsberg sehr viel mehr vom Stadtzentrum stehen geblieben, weil hier der Endkampf kürzer war. Die Russen nahmen die Stadt bereits im Januar 1945 ein. Königsberg fiel erst im April 1945. Von den Bildbänden der Eltern her kennt man die Königin-Luise-Brücke, die nach ihrem Wiederaufbau die Memel wieder überspannt, allerdings ohne die großen, metallenen Rundbögen, die ihr das charakteristische Aussehen gaben. Aber der alte steinerne Brückenturm und die jüngst wieder entstandenen Torhäuser sind noch da. Jedoch wirkt das Ensemble kleiner, als man es sich vorgestellt hat. Nur wenige Autos passieren die Brücke hinüber in die Republik Litauen.

Länger verweilt die Reisegruppe im alten Anger-Park, an dessen Ende sich das Grenzlandtheater befindet. Einen Augenblick sieht es so aus, als wenn die kleinen Reibereien zwischen einer alten, aus Ostpreußen stammenden Dame und der Dolmetscherin, die es wegen des einzuschlagenden Weges seit einer halben Stunde gibt, ein Problem werden könnten. Aber dann findet die Russin den Ausweg. "Sie kennen Tilsit", sagt sie der alten Dame, "ich kennen Sowjetsk".

Alle größeren Orte, welche die Gruppe besucht, machen einen trostlosen Eindruck wie Insterburg oder Stallupönen. Nur in Petrikatschen, zwei Kilometer hinter Stallupönen und kurz vor der Grenze zur Republik Litauen, gibt es für die Gruppe einige glückliche Momente. Das Lehrerhaus, in dem einer der Ahnen unterrichtete und ein anderer auf die Welt kam, steht noch.

Fotos: Typisch für die Hochzeit "neuer Russen" in der Gebietshauptstadt: Besuch des Königsberger Doms mit weißen Stretch-Limousinen US-amerikanischer Bauart; Reisegruppe vor der Königin-Luise-Brücke: Nur wenige Autos passieren die Memelbrücke zwischen dem russisch und dem litauisch verwalteteten Teil Ostpreußens. Foto: Thies


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