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21.04.07 / Kiew im Chaos / Unerbittlichkeit der Kontrahenten könnte zur Spaltung der Ukraine führen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-07 vom 21. April 2007

Kiew im Chaos
Unerbittlichkeit der Kontrahenten könnte zur Spaltung der Ukraine führen
von M. Rosenthal-Kappi

Die Regierung der Ukraine scheint sich eines Erfolgs im Kampf gegen den eigenen Präsidenten erfreuen zu können. Dies könnte man aus der Entscheidung Viktor Juschtschenkos schließen, nach langer Zerreißprobe die "Werchowa Rada" (das Parlament) in Kiew aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen. Ob es überhaupt zu Wahlen kommen wird, ist indes unklar, denn noch weigert sich die Regierung, die finanziellen Mittel für diese Neuwahlen bereitzustellen, da für dieses Jahr keine Wahlfinanzierung im Budget vorgesehen ist. Hierüber soll das Verfassungsgericht entscheiden; dieses aber ist zur Zeit nicht beschlußfähig, weil die Hälfte der Richter sich krank gemeldet hat, da sie sich bedroht fühlte.

Was sich wie eine Posse liest, ist in Kiew Realität. Seit der Orangenen Revolution gestaltet sich die politische Situation der Ukraine äußerst labil. Dabei stehen sich Präsident Viktor Juschtschenko, der mit seiner Partei "Unsere Ukraine" für eine Annäherung der Ukraine an die Europäische Union und für eine Natomitgliedschaft seines Landes steht, und der prorussische Ministerpräsident Viktor Janukowitsch mit seiner "Partei der Regionen", der aufgrund seiner Freundschaft mit Putin einen akzeptablen Gaspreis für die Ukraine erzielen konnte, unerbittlich in ihren Positionen gegenüber.

Als dritte wichtige Person im politischen Geschehen der Ukraine ist Julia Timoschenko, die Frau mit dem nach ukrainischer Tradition um den Kopf gewundenen Zopf, zu nennen. Einst treibende Kraft der Orangenen Revolution sowie Weggefährtin und Mitstreiterin des Präsidenten, war Timoschenko fast ein Jahr Premierministerin und regierte mit Juschtschenko. Die ihren Namen tragende Partei "Block Julia Timoschenko" besitzt seit März 2006 die zweitstärkste Fraktion im Parlament. Julia Timoschenko selber ist mittlerweile Oppositionsführerin und schärfste Kritikerin des Präsidenten.

Betrachtet man den Werdegang der politisch Agierenden, so spiegelt sich die soziale und wirtschaftliche Realität des Landes nach dem Zerfall der Sowjetunion in den Personen wider.

Viktor Juschtschenko, der prowestliche und reformorientierte Politiker, wuchs in einer Akademikerfamilie auf. Er studierte am Finanztechnischen Institut und wurde leitender Angestellter großer Banken, wie der Staatsbank Kiew oder der Agroprombank. 1997 erhielt er den "Global Finance Award" der besten fünf Bankleute weltweit. Neben zahlreichen Preisen erhielt er Ehrenbürgerschaften und Ehrendoktorwürden, studierte unter anderem in den USA. In seiner Position als Premierminister der Ukraine (1999-2001) setzte er sich für marktwirtschaftliche Reformen und die Bekämpfung der Korruption ein.

Viktor Janukowitsch hingegen verkörpert den aus einfachen Verhältnissen stammenden, im industriellen Donezkgebiet aufgewachsenen Slawophilen sowjetischer Prägung mit enger Bindung an Rußland, dessen Selbstverständnis ein nationales ist. Seit seinem Amtsantritt als Regierungschef im Jahr 2006 war das politische Tagesgeschehen in der Ukraine von einem Machtkampf zwischen Regierung und Präsident bestimmt.

Julia Timoschenko, die ebenfalls aus einfachen Verhältnissen mit einer alleinerziehenden Mutter stammt, schaffte den Sprung ins politische Metier über ein Studium zur Wirtschaftsingenieurin. Ihren Aufstieg konnte sie in den 90er Jahren verwirklichen. Sie begann als kleine Unternehmerin, doch schon 1995 wurde sie Chefin des Energiekonzerns EESU (Vereinte Energiesysteme der Ukraine). Der Block Julia Timoschenko kann wie die deutsche FDP, zu der die Partei enge Beziehungen hat, als liberales Gegengewicht zu den beiden anderen Blöcken gesehen werden.

Die aktuelle politische Lage in der Ukraine ist schwer vorhersagbar. Änderungen können von einer Minute auf die andere eintreten. Mit Verzögerungstaktiken wie die der Finanzierung und Verfahrensfragen versucht Janukowitsch eine Neuwahl zu verhindern. Wenn das Verfassungsgericht eine Neuwahl doch zulassen sollte, fordert er mit der Neuwahl des Parlaments gleichzeitig eine Präsidentenwahl. Zunächst will er Präsident Juschtschenko an den Verhandlungstisch zurück-holen.

Präsident Juschtschenko sieht bei der gegenwärtigen Regierung jedoch die parlamentarische Demokratie in Gefahr. In der vergangenen Legislaturperiode kam es zu 460 Fraktionswechseln (bei 450 Abgeordneten) im Parlament. Dies wird erleichtert durch das geltende Verhältniswahlrecht, bei dem das Mandat an die Partei gebunden ist. De facto wurden so die Befugnisse des Präsidenten immer mehr eingeschränkt, was schließlich zur Auflösung des Parlaments führte.

Beobachter befürchten, daß - wenn die Situation noch weiter angeheizt wird - Juschtschenko sich entweder mit Waffengewalt durchsetzen oder es zu einer Abspaltung einer "Südostukrainischen Autonomen Republik" kommen könnte.

Foto: Kiew: Aufgeheizte Stimmung. Anhänger beider Seiten demonstrieren

 

Erst zusammen, dann auseinander

Die Sowjetunion wurde am 30. Dezember 1922 nach dem Niedergang des Russischen Reiches und der Oktoberrevolution von 1917 als Zusammenschluß der Russischen FSR mit der Ukrainischen SSR, der Weißrussischen SSR und der Transkaukasischen SFSR unter Führung der kommunistischen Partei und ihres Führers Wladimir I. Lenin gegründet. 1924, im Todesjahr Lenins, wurden Turkmenien und Usbekistan, 1929 Tadschikistan annektiert und als SSRs in die UdSSR eingegliedert. 1940 und 1941 folgte die Okkupation der baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen sowie Moldawiens und Kareliens, letzteres verlor nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Status als eigene Republik jedoch wieder. Mit dem Tod Lenins begann die von Diktatur und Unterdrückung geprägte Ära Stalin. Die Ukraine galt als die Kornkammer der Sowjetunion. Unter Stalin kam es in den 30er Jahren zu massenhaften Enteignungen von Kulaken und zur Kollektivierung der Landwirtschaft. 800000 Kulaken wurden inhaftiert, Zehntausende Rußlanddeutsche flohen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, aus dem die Sowjetunion neben den USA, Frankreich und England als Siegermacht hervorging, wurde die Zeit des Kalten Krieges eingeleitet. Die Sowjetunion entwickelte sich neben den USA zur zweiten militärischen Supermacht. Von 1985 bis 1991 regierte Partei- und Staatschef Michael Gorbatschow das Riesenreich. Unter ihm wurden umfassende Reformen und eine Öffnung zur Demokratie eingeleitet, durch die auch die Reformprozesse im sozialistischen Ostblock vorangetrieben wurden. Mit dem Niedergang des sozialistischen Lagers destabilisierte sich auch in der Sowjetunion die politische Lage zunehmend. Im August 1991 kam es zu einem Putschversuch von konservativen kommunistischen Militärs, der jedoch dank des Eingreifens des Präsidenten der russischen Teilrepublik, Boris Jelzin, erfolglos blieb. Nach der Unabhängigkeitserklärung der baltischen Sowjetrepubliken löste sich im Dezember 1991 die Sowjetunion auf. Die übrigen ehemaligen Sowjetrepubliken traten der neugegründeten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) bei.

 

Zeitzeugen

Viktor Juschtschenko - kam am 23. Februar 1954 in dem ukrainischen Ort Choruschjowka zur Welt. Er zog sich im Wahlkampf 2004 eine schwere Dioxinvergiftung zu. Wiener Ärzte stellten eine 1000fache Menge der normalen Konzentration des Giftes in seinem Blut fest. Er selbst und seine Wahlkampfhelfer vermuten hinter der Vergiftung einen Anschlag seiner politischen Gegner um Ex-Präsident Leonid Kutschma.

Leonid Danlowitsch Kutschma - wurde am 9. August 1938 in Tschaikino geboren. Er studierte Raketentechnik, stieg in Managementpositionen auf und gehörte zur kommunistischen Elite. Von 1992 bis 1993 war er Premierminister, 1999 bis 2004 Präsident der Ukraine. Seine Amtszeit endete mit der Orangenen Revolution. Aus den Präsidentschaftswahlen 2004 ging Viktor Juschtschenko als Sieger hervor.

Viktor Janukowitsch - wurde am 9. Juli 1950 im Donezkgebiet geboren. Der ukrainische Premierminister ist erklärter Feind von Präsident Juschtschenko. Er gilt als Freund von Wladimir Putin und Ex-Premier Kutschma. Der gelernte Autoschlosser ist wegen Raub und Körperverletzung vorbestraft. Nach den Parlamentswahlen 2006 wurde er nach monatelangen Koalitionsverhandlungen zum zweiten Mal Premierminister der Ukraine.

Wladimir und Vitali Klitschko - Die beiden Profiboxer engagierten sich für die Orangene Revolution. Am 26. März 2006 trat Vitali Klitschko bei der Wahl zum Bürgermeister der Stadt Kiew an und kandidierte für das ukrainische Parlament. Er erreichte 29 Prozent der Stimmen. Er wurde am 19. Juli 1971 in Belowodsk geboren.

Julia Timoschenko - ist am 27. November 1960 in Dnjepropetrowsk geboren. Sie studierte Wirtschaft an der Dnjepropetrowsker Staatsuniversität und war unter Juschtschenko stellvertretende Regierungschefin. Sie war Führerin der Orangenen Revolution. Erklärte Feinde sind Leonid Kutschma und Ex-Präsidialamtschef Medwedtschuk. Im Jahre 2001 wurde Timoschenko wegen Betrugsverdacht vorübergehend festgenommen. Sie ist geschieden und hat eine Tochter.


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