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28.04.07 / Arbeit ist so billig wie nie / Koalitionskrach um Mindestlohn - 500000 Vollzeitbeschäftige brauchen zusätzlich Sozialleistungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-07 vom 28. April 2007

Arbeit ist so billig wie nie
Koalitionskrach um Mindestlohn - 500000 Vollzeitbeschäftige brauchen zusätzlich Sozialleistungen
von Mariano Albrecht

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bleibt hart, wenn es um die Forderung nach Einführung von Mindestlöhnen in Deutschland geht. Die CDU lehnt staatlich kontrollierte Löhne strikt ab und begibt sich auf Konfrontationskurs zum Koalitionspartner. Die Union werde sich lediglich dazu bereit erklären, die Sittenwidrigkeit von Löhnen gesetzlich zu präzisieren, hieß es aus CDU-Präsidiumskreisen.

Krach ist programmiert, denn Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) sieht das ganz anders. Er will gesetzlich festgeschriebene Lohnuntergrenzen für alle Gewerbe und Bereiche durchsetzen und Unterschreitungen unter Strafe stellen.

Der Sozialdemokrat will dafür sogar eine neue Behörde aus dem Boden stampfen. Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums wollte dies gegenüber der Preußischen Allgemeinen Zeitung allerdings nicht kommentieren. Eine Koalitionskommission zum Thema Niedriglohn wäre mit dem Thema beschäftigt, man wolle aber nicht spekulieren.

Stellt sich also die Frage, wo beginnt die Sittenwidrigkeit und wo hört sie auf. In Deutschland verdienen etwa 500000 Menschen mit ihrer Arbeit (Vollzeit) so wenig Geld, daß sie auf zusätzliche Transferleistungen wie Wohngeld, Grundsicherung oder Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Arm trotz Arbeit.

Allein in der Zeitarbeitsbranche müssen 70000 Menschen Leistungen nach Hartz IV zusätzlich zum Arbeitslohn beantragen. Und das obwohl laut Arbeitnehmer- Überlassungsgesetz (AÜG) tarifliche Löhne gezahlt werden. Arbeit scheint in Deutschland so billig wie nie zu sein. Die Wirtschaft boomt, die Einkommen jedoch stagnieren oder sind sogar rückläufig. Das Zeitarbeitsunternehmen Randstad konnte im letzten Jahr ein Wachstum von 40 Prozent verbuchen. Der deutsche Arbeitsmarkt ist in Bewegung gekommen, allein bei dem Zeitarbeitsunternehmen seien 13000 offene Stellen zu besetzen, so eine Sprecherin. "Wir suchen händeringend nach Facharbeitern, Kaufmännischen Angestellten mit Fremdsprachenkenntnissen und Mitarbeitern für Call Center." Bei Randstadt werden Tariflöhne gezahlt, nach Angaben der Unternehmenssprecherin liegt das Minimum bei 7,38 Euro.

Doch auch die Branche hat schwarze Schafe. Fragt man Beschäftigte, so hört man von Stundenlöhnen im Bereich von 4,50 bis 6,50 Euro. Das Problemkind aller Branchen ist der Niedriglohnbereich für nicht- oder geringqualifizierte Arbeitskräfte. Besonders im Dienstleistungsgewerbe sinkt der Wert der Arbeit.

Auch vor qualifizierten Fachkräften macht die Abwärtsspirale nicht halt. Ein Stundenlohn von 3,50 Euro nach einer dreijährigen Berufsausbildung ist zum Beispiel für Friseusen traurige Realität. Wachleute müssen für vier bis sechs Euro Stundenlohn ihren Kopf herhalten. Viele Menschen nehmen lieber eine schlecht bezahlte Arbeit an, als von Sozialleistungen zu leben.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in einer Studie ermittelt, daß in den vergangenen fünf Jahren die Bruttoverdienste in durchschnittlichen Beschäftigtenhaushalten um vier Prozent gesunken sind.

Zudem ist die Abgabenlast durch hohe Sozialbeiträge und Steuern bei Klein- und Mittelverdienern so angestiegen, daß unter dem Strich genausoviel oder weniger zum Leben übrigbleibt als bei den Menschen, deren Lebensunterhalt ausschließlich aus diesen Abgaben finanziert werden.

Verdient ein Alleinstehender zum Beispiel 5,50 Euro pro Stunde als Wachmann in einem Sicherheitsunternehmen in Leipzig, so ist das durchaus orts- und branchenüblich. Bei 168 Stunden monatlicher Arbeitszeit bekommt er einen Bruttomonatslohn von 924 Euro - zirka 724 Nettoverdienst. Abzüglich einer geschätzten Miete von 350 Euro blieben ihm 374 Euro zum Lebensunterhalt. Würde unser Junggeselle vom Arbeitslosengeld II (ALG II / Hartz IV) leben müssen, bekäme er 342 Euro zum Lebensunterhalt, seine Miete und den Lebensunterhalt würde der Staat aus Steuergeldern bezahlen. So richtig "gut" ginge es ihm mit einem zusätzlichen Ein-Euro-Job. Dann kämen noch einmal etwa 168 Euro dazu - macht 542 Euro. Ganze 168 Euro mehr als mit regulärer Arbeit.

In 18 EU-Staaten gibt es bereits gesetzliche Mindestlöhne. In Großbritannien sei die Arbeitslosigkeit mit der Einführung von Mindestlöhnen sogar gesunken, bemerkt EU-Kommissar Vladimir Spidla.

Die Regelungen in den Nachbarländern zeigen erste indirekte Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt. In der Landwirtschaft werden die Erntehelfer knapp. Die meist aus Polen und anderen ehemaligen Ostblockländern stammenden Wanderarbeiter zieht es nach Irland und Großbritannien. Dort gibt es für die gleiche Arbeit zwischen 7,96 und 8,30 Euro pro Stunde, während deutsche Bauern zirka zwei Euro weniger zahlen. Marktregulierung! Müntefering und die Gewerkschaften sind sich einig, sogar die Linkspartei geht da mit der SPD konform.

Unternehmen profitieren mit satten Gewinnen von der derzeitigen Subventionspraxis. Es werden nicht nur die Lohnnebenkosten gesenkt, hier werden Arbeitsplätze durch Staat und Steuerzahler subventioniert. Volle Gewinne bei minimalem Einsatz.

Eher die dubiosen Firmen als tariftreue Unternehmen profitieren von der gängigen Praxis. Der Staat muß ja einspringen und ausgleichen. Und auch die regulär Beschäftigten zahlen drauf. Da für die Minilöhne kaum Steuern und Sozialabgaben anfallen, fließt auch kein Geld in Steuer- und Sozialkassen. Normalverdiener müssen die ständig steigenden Defizite durch höhere Beiträge ausgleichen.

Foto: Nicht nur die Linke läuft Sturm: Manche Stundenlöhne in Deutschland grenzen an Ausbeutung.


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