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12.05.07 / Stärkung oder Schwächung? / Lohnsteigerung in der Metall- und Elektroindustrie fällt unerwartet hoch aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-07 vom 12. Mai 2007

Stärkung oder Schwächung?
Lohnsteigerung in der Metall- und Elektroindustrie fällt unerwartet hoch aus
von Ansgar Lange

Der Schluck aus der Pulle war ordentlich. Die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie bekommen ab Juni 2007 höhere Löhne und Gehälter. Zunächst soll es einen Aufschlag von 4,1 Prozent geben; weitere 1,7 Prozent sollen dann im nächsten Jahr folgen. Da sowohl die Spitzenfunktionäre der IG Metall als auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Einigung zur Übernahme in den anderen Verhandlungsbezirken empfahlen, wird der Abschluß wahrscheinlich für 3,4 Millionen Arbeitnehmer gelten. Keine Frage, der Branche geht es zur Zeit sehr gut. Daher hatten die Arbeitgeber auch vorgeschlagen, einen Großteil der Lohnerhöhung als einmaligen Konjunkturzuschlag zu zahlen. Es ist eine Rechnung auf die Zukunft. Da die Arbeitgeber nicht wissen können, ob es weiterhin so gut läuft, werden sie wohl bei den Neueinstellungen zögern. Irgendwie muß das Geld ja wieder reinkommen. Zudem läuft es nicht bei allen Unternehmen optimal. Laut Hannes Hesse, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), haben immerhin 30 Prozent der Unternehmen extrem zu kämpfen. Trotzdem müssen auch sie für die Zeche aufkommen.

Dies wirft wieder einmal die schon oft gestellte Frage auf, ob ein starrer Flächentarif, der alle Firmen über einen Kamm schert, noch zeitgemäß ist. Seit fast zehn Jahren versuchen Unternehmen aus allen Branchen, sich durch Austritte aus ihren Verbänden dem Flächentarif und seinen Verpflichtungen zu entziehen. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hat errechnet, daß von den rund 3,4 Millionen Beschäftigen der Metall- und Elektroindustrie nur noch 58 Prozent tarifgebunden sind. Doch die Zahlen täuschen, denn auch die restlichen 42 Prozent leben ja nicht auf einer Insel der Seligen - zumindest aus Sicht der Tarifgegner. Sie müssen sich am geltenden Flächentarif zumindest orientieren, sonst bekommen sie keine guten und geeigneten Mitarbeiter.

Die Lage ist also etwas unübersichtlich. Pauschal läßt sich auch kaum für und wider den Tarifvertrag argumentieren. Denn tarifliche Öffnungsklauseln, die für mehr Flexibilität sorgen, sind längst an der Tagesordnung. In seiner berühmte Agenda-Rede hatte Ex-Kanzler Gerhard Schröder im März 2003 noch ordentlich Rabatz gemacht und den Funktionären der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mit gesetzgeberischen Maßnahmen gedroht, falls die Tarifverträge nicht für mehr betriebliche Regelungen geöffnet würden. Das Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lieferte erstmals seriöse Zahlen für das Jahr 2005. In diesem Jahr nutzten 52 Prozent der tarifgebundenen Unternehmen die ihnen zustehenden Öffnungsklauseln. Besonders beliebt sind Öffnungsklauseln zur Arbeitszeit.

Das IW Köln kommt zu dem Schluß, daß die Klage über starre und unflexible Tarifverträge nicht mehr gerechtfertigt sei. In den vergangenen Jahren seien die meisten Verträge für abweichende Betriebsvereinbarungen bei der Arbeitszeit oder beim Arbeitsentgelt geöffnet worden. Jede zweite Firma habe diese innerbetrieblichen Gestaltungsspielräume auch genutzt. "Ein Ziel sollte sein, die Flächentarifbindung zu stabilisieren und die Inhalte der Verträge so zu gestalten, daß möglichst viele Betriebe mit den Tarifnormen leben können. Das läßt sich erreichen, indem der Verteilungsspielraum nur zu einem kleineren Teil in dauerhafte Lohnsteigerungen und zu einem größeren Teil in von der Wirtschaftslage des Betriebs abhängige Einmalzahlungen fließt", so das IW. Auch die derzeitige gute Konjunktur dürfe nicht dazu führen, den Pfad der Lohnzurückhaltung nach den ersten Erfolgen am Arbeitsmarkt und beim Wirtschaftswachstum wieder aufzugeben.

Doch genau dies ist nun beim Tarifabschluß für die Metall- und Elektroindustrie geschehen. Die Arbeitgeber haben jetzt ein Umfaller-Problem, denn die Gewerkschaften mußten nur das Wort Streik aussprechen, und schon hatten ihre Verhandlungspartner Angst. Dies gerade deshalb, weil die Auftragsbücher zur Zeit voll sind. Und wer will durch Arbeitskämpfe Aufträge riskieren. Aber die IG Metall hat nur die Interessen der Jobbesitzer verteidigt. Denn welches Unternehmen wird in absehbarer Zeit neue Leute einstellen, wenn es den höchsten Tarifabschluß seit 1995 zahlen muß?


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