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19.05.07 / Regierungskrise bis "Fünf vor Zwölf" / Belgrad riskierte mit der Wahl des Radikalenführers Nikolic eine außenpolitische Katastrophe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-07 vom 19. Mai 2007

Regierungskrise bis "Fünf vor Zwölf"
Belgrad riskierte mit der Wahl des Radikalenführers Nikolic eine außenpolitische Katastrophe
von Wolf Oschlies

Serben sind Leute, die ihre Niederlagen feiern" - dieses alte Diktum schien in der Nacht vom 7. zum 8. Mai eine Realitätsbeschreibung zu sein. In einer 15stündigen Sitzung - "schlimmstes Arsenal von Beleidigungen und primitiven Ausfällen seit Erneuerung des Mehrparteiensystems" (so die Wochenzeitung "Vreme") - wählten 142 Abgeordnete den amtierenden Radikalenführer Tomislav Nikolic zum neuen Parlamentspräsidenten. Mladjan Dinkic, Chef der pro-europäischen Reformpartei G17+ und führender Wirtschaftsexperte Serbiens, hatte vergebens vor der absehbaren "Katastrophe" gewarnt, die mit Nikolics Wahl eintreten werde: Er und seine SRS waren in den 90er Jahren die treuesten Schildknappen des Diktators Milosevic, haben dessen Isolationskurs gegenüber Europa und Kriegskurs im Kosovo mitgestaltet, alle Serben in tiefstes Wirtschaftselend manövriert. Die Radikalen haben sich nicht geändert - wie wolle Serbien jetzt Reformgesetze verabschieden, die Integration in Nato und EU betreiben, eine Kosovo-Lösung finden und den serbischen Lebensstandard anheben, wenn der aktenkundige Mitschuldige an allem Elend Serbiens, der "keine Sekunde Parlamentspräsident sein darf", in dieses Amt gewählt wurde, um es zu mißbrauchen?

Dinkic mühte sich zunächst vergebens: Mit den Stimmen der Radikalen, der Milosevic-Sozialisten und der Regierungskoalition aus Demokratischer Partei Serbiens und der Bewegung "Neues Serbien" (DSS-NS) kam Nikolic auf den Präsidentensessel. Die verheerenden Folgen traten umgehend ein: Die Belgrader Börse erlebte einen "Rekordsturz" der Kurse, der 840000 Aktionäre um 500 Millionen Euro brachte. Ausländische Investoren, die 2006 noch 4,6 Milliarden Euro angelegt hatten, stornierten neue Investitionen. Die EU setzte die Unterzeichnung eines Abkommens über Visa-Erleichterungen "aus technischen Gründen" ab und ließ Belgrad wissen, diese Wahl werde "Serbiens Weg in die EU nicht erleichtern". Der Europarat war nur mit Mühe bereit, den turnusgemäß anstehenden serbischen Vorsitz im Ministerrat auch wirklich beginnen zu lassen, und der Internationale Währungsfonds (IMF) strich Serbien einen Kredit über 280 Millionen Euro.

Inzwischen darf in Belgrad, Brüssel und anderswo aufgeatmet werden. Am 11. Mai verkündete Regierungssprecher Srdjan Djuric, daß sich DSS-NS, G17+ und Demokratische Partei (DS) nach endloser Nachtsitzung auf eine gemeinsame Regierung geeinigt haben. Darauf reagierte als erste die Belgrader Börse - mit einem Wertanstieg der Aktien um insgesamt eine Milliarde Euro. Am 12. Mai bewiesen die künftigen Regierungsparteien, daß sie es ernst meinen: 128 Abgeordnete von ihnen beantragten, den Radikalen Nikolic wieder abzuwählen, der daraufhin am Abend des 13. Mai zurücktrat. Von Brüssel wurde die "gute Nachricht aus Belgrad" mit der Ankündigung belohnt, die seit über einem Jahr eingefrorenen Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU "sofort" wieder aufzunehmen. Ende gut, alles gut - aber warum dreieinhalb Monate Streit und Obstruktion?

Bei den Parlamentswahlen vom 21. Januar wurden die Radikalen mit 28,7 Prozent zwar stärkste Partei, waren aber blockiert durch den Sieg des "demokratischen Blocks", geformt aus DS (22,7 Prozent, 64 Sitze), DSS-NS (16,5 Prozent, 47), G17+ (6,8 Prozent, 19), Liberal-Demokraten (LDP, 5,3 Prozent, 15) und Parteien der ethnischen Minderheiten. Die Regierungsbildung schien leicht zu werden, da es keine Alternativen gab: Eine Koalition mit den Radikalen wollte niemand - keiner dachte an Neuwahlen.

Am 7. Mai war G17+-Chef Dinkic Gast in der TV-Sendung "Kaziprst" (Zeigefinger), und berichtete offenherzig, was in den vergangen Monaten passiert war und warum alle Hoffnungen vom Januar versandet waren. DS, DSS und G17+ waren sich einig, eine "stabile, proeuropäische Reformregierung" zu bilden, aber drei Monate lang führten sie nur "Theater" auf. "Richtige Gespräche begannen erst nach drei Monaten", aber da war es schon fast zu spät, denn spätestens zum 15. Mai mußte eine Regierung stehen oder Neuwahlen müssen ausgeschrieben werden.

Die Sachthemen - Europaintegration, Kooperation mit DenHaag, Reformen und Privatisierung, Auslieferung von General Mladic, Kampf gegen die Korruption etc. - wurden auch in allen Details und höflichstem Umgangston "abgehakt". Dann folgte endloser Postenschacher, den Dinkic in boshafter Ausführlichkeit schilderte.

Am 11. Mai waren die zänkischen Matadoren wieder vernünftige Demokraten: Die neue Regierung wird von Kostunica geleitet, dem Boshidar Djelic von der DS, ein in Frankreich aufgewachsener Finanzexperte von internationalem Ruf, als Vizepremier zur Seite steht.

Der alte und neue Premier Kostunica mutet eher als Verlierer an, ohne den zwar die neue Regierung nicht machbar war, dem man aber jüngste Sünden nicht vergessen hat. Er war in den letzten Monaten in eine überzogene Bedrohungsrhetorik um das Kosovo geflüchtet, was ihn faktisch den Radikalen annäherte. Ohne ordnungsgemäße Regierung, Budget sowie weitere Versäumnisse seit Januar war der Premier in immer schwächerer Position. Das seiner DSS jetzt überlassene "Kosovo-Ministerium" gilt allgemein als überflüssig, da Kosovo-Politik letztlich im UN-Sicherheitsrat gemacht wird. In Belgrad ist das Kosovo kein erstrangiges Thema mehr, dort sollen künftig Wirtschaft, Reformen und europäische Integration ganz obenan stehen.


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