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19.05.07 / Zurück zu den Wurzeln / Schwermer Marzipan kann man nun auch wieder in Königsberg kaufen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-07 vom 19. Mai 2007

Zurück zu den Wurzeln
Schwermer Marzipan kann man nun auch wieder in Königsberg kaufen
von Barbara Knoll

Die Fahrkarte hält Dietrich Stiel, Seniorchef der Firma Schwermer, fest in der Hand. Das Datum der ordentlich gelösten Karte: 14. Februar 1944 - Valentinstag. Charlotte Stiel, seine Mutter, mußte damals mit ihrer Tochter Liselotte Königsberg verlassen. "Mit dem letzten Zug ist sie geflohen, nicht ahnend, ihre Heimat, ihr Café niemals wieder zu sehen", erzählt Stiel. Er hatte sich bereits freiwillig mit 17 Jahren zum Militär gemeldet, sah seine Familie erst nach der Gefangenschaft in Rußland in Wörishofen wieder. Heute freut sich der Unternehmer, daß Schwermer-Marzipan nun wieder in Königsberg verkauft wird, seit 2006 vertreibt Kunde Oleg Popov die süße Verführung in der russischen Enklave, die heute bei den Russen "Kaliningrad" heißt.

Dietrich Stiel kann sich noch gut an Ostpreußen erinnern, das heute teils russisch, teils polnisch verwaltet ist. Aber, auch er ist nie wieder dorthin zurückgekehrt. "Meine Heimat ist jetzt hier in Bad Wörishofen, und mit Ostpreußen verbinde ich eben meine Kindheit, die finde ich dort nicht mehr wieder und auch nicht das Volk der Ostpreußen". So hat es mich nie zurückgezogen", erklärt Stiel. Seine nicht allzu gute Meinung von Polen und Russen - "alles Erziehungssache" - revidierte er erst, als einige Kunden zu Besuch in die Kneippstadt kamen und er sie näher kennenlernte: "Sehr herzliche, liebenswerte Menschen." Auch dem EU-Beitritt Polens sei er anfänglich sehr skeptisch gegenübergestanden. "Als Unternehmer mußte ich aber schon immer flexibel sein, habe mir unterschiedlichste Meinungen angehört und heute weiß ich der EU-Gedanke ist der einzig richtige", so Stiel.

Außerhalb der Stadt besaß die Familie ein Gut, unbeschwerte Kindheit habe er dort erleben können: "Wir Kinder durften mit auf die Felder, wurden zu Hause von Privatlehrern unterrichtet." Von den Hunden weiß Dietrich Stiel sogar noch die Namen und auch an ein zahmes Reh erinnert er sich. "Schöner kann eine Kindheit eigentlich nicht sein", bilanziert er. Als er zehn Jahre alt war, zog die Familie in die Stadt, direkt am Ufer des Schloßteiches in Königsberg. Die Terrassen des Cafés dienten ihm fortan als Spielplatz. Mutter Charlotte führte das 1000 Sitzplätze umfassende Café, das 1894 sein Großvater Henry Schwermer gegründet hatte. Marzipan, Pralinen und Baumkuchen wurden hergestellt. Nach rauher Schulzeit an einer öffentlichen Schule stellte sich schon bald die noch rauhere Kriegswirklichkeit ein, der Polenfeldzug begann. "Anfangs fand ich alles ja noch toll, die sogenannten Helden, Ritterkreuzträger kamen ins Café, berichteten von ihren Feldzügen, und eines war klar - ich werde auch ein Held", so Stiel. In Stettin machte er seine Flugzeugführerausbildung. Als die Schule aufgrund des Benzinmangels schließen mußte, wurde er Fallschirmspringer. Zum Einsatz schickte man ihn dann nach Italien und Österreich, wo er in einem Waldstück kurz vor Linz vom Ende des Krieges erfuhr und zuerst in amerikanische, dann in russische Kriegsgefangenschaft kam.

Ende 1945 zurück in Deutschland konnte Dietrich Stiel kurze Zeit später Schwester und Mutter in die Arme schließen. Charlotte Stiel kannte die Kurstadt von vorausgegangenen Kuraufenthalten, hier hatte sie noch ein Fahrrad und einen Tennisschläger deponiert, plötzlich nach dem Krieg ein wertvolles Gut. Im Kurheim "Brandl" habe man zuerst in einem Zimmer gewohnt, die Mutter arbeitete bei einem Amerikaner im Haushalt und Dietrich Stiel half als Hausmeister aus. Die Mutter habe auch Puppen genäht, er mußte sie verkaufen. Mit der Währungsunion ging es aufwärts, in der kleinen Küche flämmte Charlotte wieder ihr erstes eigenes Marzipan, und der Traum von einem neuen Café ging bereits 1954 in Erfüllung.

Kurz bevor Dietrich Stiel sein Unternehmen an Sohn Peter übergab, hat er noch einmal damit geliebäugelt, ein Café in Königsberg zu eröffnen, dann aber doch lieber in den Standort Bad Wörishofen investiert.

Das vereinte und offene Europa erleichterte auch den Kontakt von Oleg Popov nach Bad Wörishofen. Paola Rauscher, Exportleiterin bei Schwermer, besuchte ihn 2006 in Königsberg. Er konnte ihr noch sehr genau zeigen, wo einst das Café gestanden hatte. Dem Bombenhagel 1944 ist es zum Opfer gefallen wie auch das Schloß. Eine kleine Genußstunde holte Paola Rauscher in der Wohnung von Galina Mamtova, Deutschlehrerin am Königsberger Museum, nach. Zum Kaffee gab es Schwermers Königsberg-Marzipan. "Fast so, wie damals im Café", sinnierte Galina Mamtova.

Paola Rauscher setzt im Gegensatz zu ihrem Chef auf die Begegnung. In einem Heft der Königsberger Philharmonie fand sie folgenden Text: "Im Wesen jeder wahren Bekanntschaft, sei es mit einem Menschen, einer Stadt oder einem Haus, liegt der Versuch, in den Bereich des Unsichtbaren, des einer oberflächlichen Betrachtung Unzugänglichen einzudringen." Nur so sei für sie Geschichte auch begreifbar, und zwar auf beiden Seiten.

Fotos: Dietrich Stiel war nie wieder in der Heimat. In seiner Hand hält er die Fahrkarte für den Flucht-Zug; Julia Popov vertreibt das Marzipan in Königsberg.


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