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26.05.07 / Unterm Strich ganz zufrieden / Nach dem Gipfel von Samara: Rußland verweist auf den Charme der Wirtschaftszahlen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-07 vom 26. Mai 2007

Unterm Strich ganz zufrieden
Nach dem Gipfel von Samara: Rußland verweist auf den Charme der Wirtschaftszahlen
von Wolf Oschlies

Slava Bogu (Gott sei Dank) gibt es keinen Interessenkonflikt zwischen Rußland und der EU" - ein Dankgebet Präsident Putins am Vorabend des 19. EU-Rußland-Gipfels. Was er meinte, erläuterte die Wirtschaftszeitung "Vedomosti": "Beide Seiten sind insgesamt mit dem jetzigen Zustand der ökonomischen Beziehungen zufrieden."

Darum konnte Putins Beauftragter für die EU-Beziehungen, Sergej Jastrshembski, milden Tadel äußern: "Äußerungen über eine Krise im Verhältnis zur EU sind eine starke Übertreibung." Beim "Gipfeltreffen der Pragmatiker" in Samara werde man es sehen, versicherte Vladimir Tschishow, Rußlands ständiger Vertreter in Brüssel.

Freude herrschte in Samara, das für den Gipfel Straßenbeleuchtung bis über den Stadtrand hinaus bekam. Samara, 700 Kilometer südöstlich Moskaus an der Wolga gelegen, ist mit 1,5 Millionen Einwohnern die sechstgrößte Stadt Rußlands, machtvolles Industrie- und noch respektableres Hochschulzentrum, dabei selbstbewußt und aufgeräumt wie Stuttgart, das seit 1992 deutsche Partnerstadt Samaras ist. Daß zu Gipfelbeginn durch die Stadt der "Marsch der Unzufriedenen" zog, von rechten und linken Putin-Gegnern organisiert, störte nicht. Der Gipfel tagte außerhalb des Stadtzentrums.

Daß er überhaupt stattfand, war sein größter Erfolg, nachdem bis zuletzt eine Verschiebung oder Absage im Gespräch gewesen war und Moskauer Zeitungen ihn als "sinnlos" und "voller Stolpersteine" abqualifiziert hatten. Nach Samara wußte man es besser: "Hervorgehoben wurde die positive Dynamik unserer Wirtschaftsbeziehungen" (Putin) - 52 Prozent des russischen Außenhandels gehen in die EU und der Gesamtumsatz erreichte 2006 die Rekordsumme von 231 Milliarden Euro (2005: 170 Milliarden). Über weitere Probleme fand ein "offener und ehrlicher Dialog" statt (Merkel), wobei man sich "nicht immer gegenseitig überzeugen konnte", aber doch "neue Möglichkeiten und Wege" fand.

Putin war am 17. Mai spät zum Gipfel in Samara eingetroffen, in Moskau aufgehalten vom Festgottesdienst in der "Christus-Erretter-Kathedrale" anläßlich der "ökumenischen Einigung" zwischen Russisch-Orthodoxer Kirche und Russischer Auslandskirche. Seit 1919 waren beide verfeindet und haben nun ihren Konflikt in "demokratischer Offenheit" beendet - sagte Festredner Putin, der in Gedanken wohl schon in Samara war.

Dort stand ein heikles politisches Thema zur Einigung an. Moskaus Mann in Brüssel, Vladimir Tschishow, erklärte Details: Seit Ende 1997 sind die EU und Rußland durch eine "Vereinbarung über Partnerschaft und Zusammenarbeit" verbunden, die 2006 durch den Beitritt Rußlands zur Welthandelsorganisation (WTO) "zu einem Drittel" gegenstandslos geworden ist. Im Dezember 2007 läuft die alte Vereinbarung der EU mit Rußland aus und sollte durch einen soliden Vertrag ersetzt werden - für den Moskau wenig Zuneigung aufbringt, da er es zu Abstrichen an seiner nationalen Souveränität zwänge. Da kommt es Rußland fast gelegen, daß Brüssel durch ein Veto seiner neuen Mitglieder aufgehalten wird. Gemeint sind Estland, das durch die Demontage von Kriegsdenkmälern aus Sowjetzeiten einen Skandal mit Moskau auslöste, und Litauen, dem die russische Ölfirma "Transneft" eine 30 Jahre alte marode Pipeline sperrte. Schließlich auch Polen, dem Rußland im November 2005 ein Embargo auferlegte, weil geliefertes Fleisch russischen Qualitätsnormen nicht genügte, EU-Normen auch nicht.

Rußland will mit gestärkter Wirtschaft und modernisierter Militärkraft Weltmachtpositionen zurückerobern, sieht sich dabei aber durch strategische Manöver der USA und "großeuropäische" Attitüden der EU gestört. So etwas provozierte Brüsseler Widerspruch, und bei der 43. Münchener Sicherheitskonferenz redeten im Februar beide Seiten Fraktur: Putin und sein Verteidigungsminister Iwanow beschuldigten die EU neuer Grenzziehungen in Europa und die Nato des "Betrugs", da sie in Polen und Tschechien Raketenstationen baue. Der Westen bezweifelte Rußlands Zuverlässigkeit als Energielieferant und die Vertragstreue bei Luftfahrtabkommen.

Das war schon damals zumeist Theaterdonner, da laut dem russischen Raketenchef General Nikolaj Solowzow die US-Raketenstationen in Polen und Tschechien kaum Auswirkungen auf Rußland haben. Inzwischen urteilen die Russen strenger, wollen aber keinen "Kalten Krieg" mit den USA. Vielmehr sollen im Herbst "zwei plus zwei" verhandeln, die beiden Außen- und Verteidigungsminister, ob die Raketen eine Bedrohung für Rußland oder "mehr europäische Sicherheit gegen Schurkenstaaten" sind. In Samara wurde das Thema nur gestreift - wie auch die Fragen Iran, Kosovo, Afghanistan, Menschenrechte und anderes -, weil es das Verhältnis der EU zu Rußland nicht wirklich tangierte.

Ein Kreml-Offizieller bezifferte in Samara "das Verhältnis der Positiva und Negativa gegenüber der EU wie neun zu eins", Tschishow vertiefte: Die EU wolle einen verläßlichen Energielieferanten, Rußland einen verläßlichen Markt. Bei dieser abgestimmten Interessenlage brauche man eigentlich keinen neuen Vertrag, zumal sich die alte Abmachung von 1997 "stillschweigend" um ein Jahr verlängere, wenn sie nicht von einer Seite gekündigt werde. Auch bisher würden viele Geschäfte "außerhalb" der Abmachung oder über deren "kreative Interpretation" getätigt.

Schwieriger wurde es bei der "Energiecharta", dem EU-Konzept für einen internationalen Verbund der Erdöl-Industrie. Die hat Rußland 1994 zwar unterschrieben, will davon jetzt aber nichts mehr wissen. Es strebt eine Führungsposition in der internationalen Energiepolitik an und holte jüngst Kasachstan und Aserbeidschan ins russische Ölkartell zurück. Damit hat Moskau EU- und US-Pläne blockiert, billiges Öl aus Zentralasien einzuführen.

Rußland wolle mit der EU auf Augenhöhe umgehen, behindere sich aber durch sein "sowjetisches Image", das zu "außenpolitischen Plattheiten" führe - erläuterte der Politologe Artem Malgin. Dahinter steckten ein tiefer Minderwertigkeitskomplex der Russen und die "imitierte Natur" ihrer Demokratie, befand der Historiker Dmitrij Furman: Rußland habe nach 1990 westliche Normen und Institutionen wie Gewaltenteilung, Wahlen und anderes nur imitiert. Vielleicht werde aus der Imitation einmal echte Akzeptanz, aber bis dahin bleibe alles beim alten, sagt Furman. "2008 werden wir Präsidentenwahlen imitieren. Wer es wird, wissen wir nicht, aber eins wissen wir genau: Wen Putin präsentiert, den wählen wir auch."

Was bleibt nach Samara? Man hat sich bis zur Schmerzgrenze die Meinung gesagt, dabei aber Zufriedenheit im Grundsätzlichen bekundet. Wie Tschishow meinte, seien die Beziehungen Rußlands zur EU viel zu wichtig, "als daß wir es uns erlauben könnten, sie ernsthaft zu verschlechtern". Was auch umgekehrt gilt.


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