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© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-07 vom 26. Mai 2007
Heiners Hilfeschrei / Wir haben die besten Märchentanten, die eleganteste Korruption und dennoch die
einsamsten Politrentner Halb voll oder halb leer, alles Ansichtssache. In den USA wurde gerade errechnet, daß die amerikanische Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich nur um 2,2 Prozent wachsen wird. Großes Gejammer. Von "miesen Daten" wird geunkt und von einer häßlichen Konjunkturdelle. Für Deutschland geht die Bundesregierung 2007 von 2,3 Prozent Wachstum aus. Doch hier sind darüber alle begeistert. Sogar wir im Volk sind ganz hingerissen. Man muß nur fest dran glauben, dann kann man den Aufschwung selbst erblicken. Wie ein holdes Fabelwesen schwebt er durch den deutschen Tann, manchmal sogar gehüllt in den güldenen Schleier des "neuen Wirtschaftswunders". Was Deutschland den USA voraushat, wird hier überdeutlich: Wir haben die besseren Märchentanten, die uns jeden kleinen Esel zum edlen Roß hochdichten. Wie machen die das? Nun, wichtig ist vor allem, daß der Geschichtenerzähler die eigene Mär ernst nimmt, sonst wirkt er nicht glaubwürdig auf das naive Publikum. Das beherrschen die Berliner meisterhaft. Die Große Koalition glaubt den Aufschwung fast schon selbst. Sie wird deshalb bereits von jenen Sorgen gequält, die nur denjenigen heimsuchen, der nach langen dürftigen Jahren endlich wieder vor den dicken Bouletten steht. Die Sorge lautet: Kriege ich auch genug ab? "Abkriegen" heißt auf politikerdeutsch: "den "Verteilungsspielraum erhöhen", also vom Bürger mehr Geld eintreiben. Die Ideen für neue Steuern sprudeln dieser Tage nur so, der Aufschwungsgeschichte sei Dank. Vergangene Woche bestaunten wir bereits die Gummibärchensteuer für Naschwerk und fettes Essen. Aber das war ja noch gar nichts. Diese Woche erst wurde es richtig delikat. Peer Steinbrück träumt von jener Steuer, die seit den Königen von Babylon jeden Fiskus ins Schwärmen brachte: die Einkommensteuer für Prostituierte. Die seien nämlich Gewerbetreibende wie alle anderen und müßten ebenso zahlen. Seit Anbeginn der Zeit lag das Problem indes beim Eintreiben. Natürlich macht uns die Vorstellung diebischen Spaß: Mit lautem Knall springt die Tür zur Rammelkammer auf, mit breitem Grinsen steht der Fahnder im Zimmer, brüllt triumphierend "Ha!", stürzt hinein und sucht emsig nach Beweisstücken für die Berufsausübung der steuersäumigen Dirne. Der Beruf des Steuerfahnders erhielte eine ganz neue Würze, wenn auch eine anrüchige. Liebe Eltern minderjähriger Kinder: Wenn Ihr Sprößling den Astronautentraum abhakt und plötzlich lieber zur Steuer will, sollten Sie sich während der Schulzeit mal in sein Zimmer schleichen und nachsehen, welche Internetseiten der Lümmel anklickt oder ob er "Heftchen" hinterm Schrank versteckt. Nur so aus Vorsicht. Nun ja, auch wenn Finanzminister von Natur aus abgebrüht sind, könnte Steinbrück die Vorstellung vom Steuerfahnder unter der sündigen Matratze doch abgeschreckt haben, einfach zu peinlich. Er schlägt daher vor, den Huren "Vorabzahlungen" abzuknöpfen. Ach ja? Und wenn es am Ende weniger Kunden werden als veranschlagt? Gibt es dann den "Nummern-Jahresausgleich"? Muß alles geklärt werden, eine perfekte Finanzverwaltung ist nämlich unerläßlich für einen funktionierenden Staat. Wenn es in vielen Ländern der Welt nicht so richtig läuft, liegt es nämlich meist an der schlappen Finanzverwaltung und der deshalb grassierenden Korruption, über welche sich die Amtsträger jenes Geld holen, das ihnen wegen mangelnder Steuereinnahmen fehlt. Vor allem schmierbedürftige Beamte sind die Pest, an der etliche Gemeinwesen zugrunde gehen. Andererseits kriegt jeder gern Geschenke, auch unsere Staatsdiener sind nur Menschen wie du und ich. Was also tun? Deutschland hat einen eleganten Ausweg gefunden. Beamte, die sich Geld, das sie nicht verdienen, gern dazuverdienen wollen, können einen interessanten Nebenberuf ergreifen - und schon dürfen sie sich ganz legal und in aller Öffentlichkeit die Taschen vollstopfen lassen. Der Beruf heißt ganz allgemein "Politiker". Ja, wer dem freundlichen Staatsdiener im heimischen Ordnungsamt zu Weihnachten ein kleines Präsent überreicht, macht sich der Beamtenbestechung schuldig. Im Bundestag hingegen kann jeder Multimillionär mit dem Waschkorb voller Geld durch die Fraktionsreihen tanzen und die Tausender regnen lassen, auch auf die vielen Beamten dort. Geber und Nehmer dürfen sich dabei bloß nicht allzu bescheuert anstellen. Nur wenn zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, daß hier eine Gegenleistung erschmiert wurde, sind sie dran. Das passiert aber recht selten, man ist ja unter Profis. Die verzichten schon der Pressefotos wegen auf Waschkörbe und regeln die Angelegenheit dezent. Eine feine Sache, wenn nur das böse Ausland nicht wäre. Von dort erreichen uns alarmierende Nachrichten: Schon 92 Länder der Welt sind der Uno-Konvention gegen Korruption beigetreten. Die deutsche Regierung windet sich, hierbei gestützt von Union, SPD und FDP, wie ein Aal, um sich mit immer neuen Ausreden vor dem Beitritt zu drücken. Laut der Übereinkunft verpflichten sich die Staaten nämlich, aktive wie passive Bestechung von Amtsträgern zu bestrafen. Selbstverständlich weisen die Parteien im Reichstag den Vorwurf empört von sich, sie hielten hier bewußt eine Gesetzeslücke offen, durch die zweifelhafte Zuwendungen flössen. Doch sobald ihnen die besagte Konvention zur Unterschrift vor die Nase gelegt wird, fängt ihre unschuldige Hand seltsam an zu zittern. "Abgeordnete sind Interessenvertreter und können nicht mit Beamten gleichgesetzt werden", erläutert uns der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Jörg van Essen. Sprecher von CDU, CSU und SPD äußern sich ähnlich. Interessenvertreter, so so. Nur wüßten wir halt gern, wessen Interessen da vertreten werden. Mittlerweile hat sogar Weißrußland die Konvention unterzeichnet, was den Wisch nicht eben glaubwürdiger, die Position der Bundesrepublik aber um so erklärungsbedürftiger macht. Beim G8-Gipfel geht es ja schwerpunktmäßig um Afrika, da ist das Thema Korruption ganz nah. Wer von den anderen Teilnehmernationen unsere Kanzlerin ärgern will, braucht nur etwas von der Uno-Übereinkunft durch den Raum zu zwitschern. Mal sehen, ob Angela Merkels Pokergesicht die Gemeinheit unverfärbt übersteht. Oskar Lafontaine verfärbt sich schon lange wegen nichts mehr. Er hat das Nest des Terrors gesucht und bei der Bundeswehr gefunden. Das ist nicht weit entfernt von einem "selber schuld" an die Adresse der drei Gefallenen. Niedertracht schreibt sich ab jetzt La-fon-taine. Schade, daß der Verteidigungsminister vom ministern vielleicht einiges, vom verteidigen (seiner Soldaten) aber offenbar wenig versteht. Sonst wäre er bei Christiansen aufgestanden und hätte dem Saarländer ordentlich eine gelöffelt. Oder wenigstens den Saal verlassen. Ein deutscher Minister muß ja schließlich nicht mit jedem ... Ein Ex-CDU-Generalsekretär hingegen muß wohl alles mal ausprobiert haben. Heiner Geißler kämpft jetzt mit den Linksradikalen von "Attac" gegen den "Kapitalismus". Das wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand unserer kalt und rücksichtslos gewordenen Gesellschaft. Wir haben es hier mit einer Verzweiflungstat zu tun, dem Hilfeschrei eines vereinsamten Politrentners. Hat denn niemand gemerkt, daß Geißler unter entsetzlichem Prominenz-Entzug litt und dringend öffentlicher Aufmerksamkeit bedurfte, die er in seiner Verwirrung nun ausgerechnet bei diesen "Attac"-Spinnern sucht? Warum fand sich niemand, der sich rechtzeitig, vor dem intellektuellen Zusammenbruch, um den alten Mann kümmerte? Es wäre doch ein Leichtes gewesen, ihm hin und wieder ein TV-Team vorbeizuschicken, nur so zur Aufmunterung, jeden ersten Sonnabend im Monat. Sagt ja keiner, daß man den Quatsch irgendwo hätten senden müssen! Ein Armutszeugnis für uns alle. |
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