29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.06.07 / Als Waffe mißbraucht / Auch nach seinem Tod wurde mit Otto Fürst von Bismarck Politik gemacht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-07 vom 02. Juni 2007

Als Waffe mißbraucht
Auch nach seinem Tod wurde mit Otto Fürst von Bismarck Politik gemacht
von Rebecca Bellano

Für die einen ist er der Reichseiniger, Erfinder des Sozialsystems und ein gewiefter Außenpolitiker, für die anderen ist er der kriegslüsterne, stockkonservative Antidemokrat - an Otto Fürst von Bismarck (1815-1898) scheiden sich seit jeher die Geister. Während der Reichskanzler heute jedoch nur als eine historische Persönlichkeit gesehen wird, die unsere Geschichte und das Land maßgeblich geprägt hat, wurde noch bis in die Zeiten der Bundesrepublik Politik mit ihm gemacht. Je nachdem, wofür man ihn gerade brauchte, ob als Vorbild der Konservativen oder Schreckgespenst für die Kommunisten und manchen Sozialdemokraten - so mancher hat sich Bismarcks bedient, ohne dabei jedoch mit den Fakten allzu gewissenhaft umzugehen.

"Der Bismarck-Mythos - Die Deutschen und der Eiserne Kanzler" heißt eine aktuelle Veröffentlichung, die sich dem Politiker auf sehr spannende, ungewöhnliche Weise nähert.

Dem 30jährigen Autor Robert Gerwarth geht es dabei nicht darum, wie Bismarck wirklich war, sondern wie er gesehen und auch mißbraucht wurde. Der Berliner, der in Berlin und Oxford Geschichte studiert hat, und jetzt in Oxford lehrt, bringt dabei so manches interessante Detail ans Tageslicht.

Besonders in der Zeit der Weimarer Republik, über 20 Jahre nach seinem Tod, war Bismarck ein beliebter Zankapfel. "In der umkämpften und von linken wie rechten Gegnern bedrohten Weimarer Republik wurde die Vergangenheit im Allgemeinen und der Bismarck-Mythos im Besonderen zu einer Waffe im Ideologienstreit. Während der gesamten Zeit ihres Bestehens schürten die um Macht ringenden politischen Interessenvertreter - Monarchisten, Nationalisten, Liberale, Zentrumspolitiker, Sozialisten und Kommunisten - den Streit über die Vergangenheit, um ihren entgegengesetzten politischen Zielen Glaubwürdigkeit und Legitimität zu verleihen."

Gerade in Weimar, aber eben nicht nur in Weimar, sei die Suche nach einer Identität besonders ausgeprägt gewesen. "Mit der Herausbildung des Nationalstaates und der damit zusammenhängenden Suche nach passenden historischen Traditionen, auf denen die Identität einer nationalen Gemeinschaft gegründet werden konnte, nahm die Bedeutung der kultischen Heldenverehrung zu." Und da bot sich der Reichseiniger von 1871 an. Allerdings habe sich der Bismarck-Mythos keineswegs von Beginn an abgezeichnet. Nach der Entlassung des Reichskanzlers am 20. März 1890 durch Kaiser Wilhelm II. habe anfangs kein Hahn nach dem "Lotsen" gekräht. "Großes Bedauern über die Entlassung des Kanzlers äußerten sie nicht. Es war sogar eine gewisse Freude und Erleichterung zu verspüren. ,Es ist ein Glück, daß wir ihn los sind', schrieb Theodor Fontane an seinen Freund Georg Friedländer. In seinen letzten Regierungsjahren sei Bismarck nur noch ,Gewohnheitsregent' gewesen, ,tat, was er wollte, ließ alles warten und forderte immer mehr Devotion'."

Bismarcks Glück sei es jedoch laut Robert Gewarth gewesen, daß die Politik seines Nachfolgers Leo von Caprivi "von vielen Zeitgenossen als Phase der nationalen Stagnation und politischen Fehlentscheidungen wahrgenommen wurde". Dagegen waren die ereignisreichen, reibungsvollen und öffentlichkeitswirksamen Regierungsjahre von Otto Fürst von Bismarck doch von einem ganz anderen Kaliber gewesen, und da der Fürst aus seinem Alterssitz im Sachsenwald durchaus gern die aktuelle Politik kommentierte und Ratschläge gab, fingen die ersten an, sich nach Bismarcks hartem, aber entschiedenem Regiment zu sehnen. Bismarck bekam immer mehr Post von Anhängern - erstaunlicherweise vor allem aus Süddeutschland.

Als der alte Mann in Friedrichsruh 1898 verstarb, nutzte der Kaiser den beginnenden Bismarck-Kult für sich: Die ehrenvollen Trauerfeierlichkeiten wurden zum Ereignis des Jahres.

Seinen ersten Höhepunkt habe laut Gerwarth der Bismarck-Mythos im Ersten Weltkrieg erreicht. "Bürgerliche Intellektuelle beschworen die Vorstellung einer geeint in den ,aufgezwungenen Abwehrkampf' ziehenden Nation ... Deutschland, das seit 1871 wegen seiner Macht und Stärke von anderen europäischen Staaten beneidet werde, habe das von Bismarck geschmiedete Schwert ergriffen." Und da Bismarck tatsächlich 1864, 1866 und 1870/71 für die Einigung der Nation nach dem Schwert gegriffen hatte und damals auch alles gut verlaufen war, hoffte man 1914, daß dem wieder so sei. Doch vergeblich. "Militärische Niederlage und Revolution vertieften und verschärften die ideologische Spaltung der deutschen Gesellschaft, von der die gegensätzlichen Bismarckbilder der kommenden 14 Jahre bestimmt sein sollten."

Robert Gerwarth hat in "Der Bismarck-Mythos" einige Wahlplakate der Weimarer Republik eingefügt, die verdeutlichen, daß alle Parteien auf unterschiedliche Weise Bismarck für sich verwendeten. "In ganz Deutschland wurden Mitte der 20er Jahre neue Bismarck-Gesellschaften gegründet. ,Bismarcks Denken' sollte nicht nur in Preußen, sondern im ganzen Reich zum Durchbruch verholfen werden."

Und der schillernde Bismarck-Mythos verhalf den Monarchisten und manchem Konservativen, die ohnehin schon brüchige, vom Volk größtenteils als zu nüchtern empfundene Weimarer Republik weiter als unattraktiv erscheinen zu lassen. "Im Kampf gegen die historischen Symbole waren die Republikaner von Anfang an im Nachteil. Im Vergleich zu Bismarck und anderen charismatischen Führern, die ebenso übermenschlich wie farbenprächtig waren, wirkten die Weimar zur Verfügung stehenden Vorbilder blaß und langweilig", zitiert Gerwarth den Historiker Peter Gay. Als dann auch noch die Kommunisten von links die Republik angriffen, die Weltwirtschaftskrise neben den Auflagen des Versailler Vertrages von 1918 das Überleben der Menschen erschwerte, sei der Wunsch nach einem, der Deutschland den Weg weist, überdimensional geworden.

Doch statt eines Mannes vom Kaliber Bismarcks bot sich Hitler an. Dieser erweckte jedoch den Eindruck in der Traditionslinie von Friedrich dem Großen und Bismarck zu stehen, und schaffte es so, viele Konservative an sich zu binden.

Zwar warnten die Linken immer wieder vor einem autoritären Staat wie zu Bismarcks Zeiten, forderten die Zertrümmerung des Bismarckkultes, doch in dem Chaos wurde genau das von immer mehr Teilen der Bevölkerung gewünscht: eine Autorität.

Diese Autorität interessierte Hitler an Bismarck vor allem. "Hitler hat nie einen Hehl aus seiner Absicht gemacht, radikal mit allen parlamentarischen und konstitutionellen Traditionen - auch die das Bismarckreich prägenden - zu brechen." Doch außer einigen Warnern wollte die Mehrheit der Deutschen das nicht wahrhaben und hoffte, daß Hitler Bismarcks Werk fortsetzen würde - statt dessen zerstörte er es und riß damit auch Bismarck mit in den Abgrund, wie Gerwarth ausführlich erläutert.

Während Bismarck in der jungen Bundesrepublik von Ludwig Ehrhard noch als "Sinnbild unseres Strebens, uns als Nation zu fühlen" gesehen worden sei, hätten linke Historiker unter der Vorgabe von Fritz Fischer 1961 begonnen, den deutschen "Griff nach der Weltmacht" zu verurteilen und Bismarck als Vorgeschichte des Dritten Reiches zu sehen. "Wer das alte Kaiserreich noch miterlebt hat und dann durch die Hitlerzeit gegangen ist, wird jeden Vergleich des Zweiten mit dem sogenannten Dritten Reich als schmähliche Verleumdung empfinden", zitiert Robert Gerwarth den konservativen Historiker Gerhard Ritter. Allerdings habe die Ablehnung Bismarcks durch linke Historiker der Jugend nicht ihr Vorbild genommen, da die gesättigte Jugend der Wirtschaftswunderzeit überhaupt keinen Bezug mehr zu dem Reichskanzler gehabt habe, und so sei die Bismarck-Debatte der nahen Vergangenheit nur in intellektuellen Kreisen ausgetragen worden.

Erstaunlich sei es, so Gerwarth, daß die DDR versucht habe, nach zunächst strikter Ablehnung seiner Person in den 70er Jahren Bismarck für sich als Traditionsgeber zu mißbrauchen, um sich eine historische Legitimität anzudichten. Auch geht der Autor darauf ein, daß nach der Wiedervereinigung viele im In- und Ausland befürchtet hätten, Deutschland würde wieder die Traditionen des deutschen Nationalismus, also auch Bismarck, wiederbeleben, doch dies geschah nicht. Bismarck ruht - aber, wie Gewarth schon bewußt anmerkt, Gesellschaften neigen "in Zeiten großer politischer Unsicherheit und Orientierungslosigkeit generell dazu, Mythen zu erfinden oder wiederzuentdecken".

Robert Gerwarth: "Der Bismarck-Mythos - Die Deutschen und der Eiserne Kanzler", Siedler, Berlin 2007, geb., 288 Seiten, 19,95 Euro, Best.-Nr.

Foto: Der Fürst in Hamburg: 1906 wurde das größte Bismarck-Denkmal weltweit eingeweiht.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren