29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
09.06.07 / Nur in die eigenen Taschen / Montenegro leidet unter einer raffgierigen Polit-Clique, die das Wachstum ausnutzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-07 vom 09. Juni 2007

Nur in die eigenen Taschen
Montenegro leidet unter einer raffgierigen Polit-Clique, die das Wachstum ausnutzt
von Wolf Oschlies

Rückblende auf den 28. April 1998. Milo Djukanovic (*1962), neugewählter Präsident Montenegros, beschwor in einem Vortrag in Bonn die staatliche Gemeinschaft mit Serbien: "Wir wollen die volle Gleichberechtigung Montenegros als einer der beiden föderalen Einheiten der Bundesrepublik Jugoslawien. Montenegro hat entsprechend dem freien Willen seiner Bürger auf viele Attribute klassischer Staatlichkeit verzichtet, davon überzeugt, daß der gemeinsame Staat im Interesse Serbiens und Montenegros ist."

Damals hatte der junge Mann leicht reden: In Serbien herrschte der Diktator Milosevic, Montenegro war das letzte Faustpfand der internationalen Gemeinschaft gegen ihn. Seinem einstigen Gefährten und jetzigem Erzfeind Djukanovic wurde alles verziehen, auch seine Rolle als "Pate" des mediterranen Zigarettenschmuggels, und alles erlaubt, etwa die Einführung der D-Mark als nationale Währung in Montenegro (wodurch es später automatisch in die Eurozone kam). Diese Idylle endete 2000, als Milosevic von der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) gestürzt wurde - ohne Unterstützung vom Montenegriner Djukanovic. Der wechselte 2002 ins Amt des Premiers, vergaß sein "jugoslawisches" Engagement und steuerte Montenegro auf Unabhängigkeitskurs. Davon befürchtete die internationale Gemeinschaft eine negative Beispielwirkung auf kosovarische Albaner und bosnische Serben und zwang Montenegro 2003 in den "Staatenbund Serbien-Montenegro" (SCG), konzedierte ihm aber ein Unabhängigkeitsreferendum nach drei Jahren.

Die EU hätte das Referendum nur zu gern verhindert und diktierte den "Souveränisten" um Djukanovic die schier unerfüllbare Quote von 55 Prozent Ja-Stimmen. Wider Erwarten und nach einem massiv demagogischen Wahlkampf - "montenegrinische Patrioten" versus "serbische Partisanen" - überboten die "Souveränisten" im Referendum am 21. Mai 2006 diese Hürde und zwei Wochen später proklamierte Montenegro seine staatliche Souveränität. Serbien ließ es leichten Herzens ziehen, nachdem sich die SCG nur als parastaatliche Farce ohne Integrationskraft erwiesen hatte.

Montenegro zählt laut Zensus 2003 620145 Einwohner. Von diesen deklarierten sich 267669 als "Montenegriner", 198414 als "Serben", was ein uraltes Identitätsproblem illustrierte. Was sind "Montenegriner"? Sie sind jene Serben, die im südlichen "Zemlja Bogu za ledjima" lebten, im "Land hinter Gottes Rücken", das die Osmanen ob seiner Unwirtlichkeit nie völlig eroberten. Weil die Montenegriner nie Untertanen der Osmanen waren, konnten sie früh ein souveränes Fürstentum, ab 1908 Königreich, bilden, das nach 1918 ganz selbstverständlich im neuen "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen", ab 1929 "Jugoslawien", aufging.

Künftig will Montenegro den 21. Mai als "Tag der Unabhängigkeit" feiern, aber von wem war das Land zuvor "abhängig". Bestimmt nicht von Serbien, mit dem es zwar in der SCG verbunden war, aber keine Gemeinsamkeiten aufwies. Erst gegenwärtig ist Serbien (laut "Monstat", dem montenegrinischen Statistikamt) "im Im- und Export Montenegros wichtigster Markt". Vor dem Referendum war das Land faktisch längst unabhängig, aber sein Status glich einem "divlja gradnja", einem nicht genehmigten Hausbau, der erst später legalisiert werden muß. Wie diese Legalisierung Montenegros ablief, verblüffte nicht nur Radovan Radonjic, den prominenten Juristen der Universität Podgorica: "Die Welt hat Montenegro rascher anerkannt und akzeptiert, als irgendwer hier erwartet hatte, und das in einer Art, an die sich die Bürger gern erinnern werden."

Ende August 2006 wurde Montenegro 192. Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen, Mitte Januar 2007 185. Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IMF), Anfang Mai 47. Mitglied des Europarats. Unter diesen internationalen Morgengaben fehlt bislang die wichtigste: Die Verhandlungen mit der EU um ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) wurden auf unbestimmte Zeit vertagt - wegen "Übersetzungsschwierigkeiten". War das eine Ohrfeige für Podgorica und sein Beharren auf einer "montenegrinischen Sprache"? Inoffiziell heißt es, daß Montenegro die im SAA aufgelisteten Verpflichtungen fürchtet und darum von sich aus zu Brüssel auf Distanz ging. Djukanovic und Kumpane stehen seit Jahren auf italienischen und anderen Fahndungslisten, ihr "souveränistischer" Kurs sollte ihnen nur Immunität vor internationaler Strafverfolgung verschaffen. Dieser alte Verdacht ist in den letzten Monaten erhärtet worden, nachdem Montenegro zum Privateigentum von Djukanovics "Partei demokratischer Sozialisten" (DPS) wurde, die mit den verbündeten Sozialdemokraten (SDP) in den Parlamentswahlen vom 10. September 2006 mit 41 (von 81) Sitzen die absolute Mehrheit errang. Nach den Wahlen zog sich Djukanovic von allen Regierungsämtern zurück, blieb aber DPS-Vorsitzender und steuert seither die Politik aus dem Hintergrund.

Montenegro hat ein berüchtigt schlechtes nationales Statistikwesen, doch sind seine Wirtschaftsdaten für das erste Quartal 2007 imponierend: Bruttoinlandsprodukt (BIP) 433,9 Millionen Euro, Wirtschaftswachstum 6,6 Prozent, ausländische Investitionen 195,4 Millionen Euro.

Djukanovis DPS will sich keiner politischen oder ökonomischen Kontrolle aussetzen, doch sind die Fehler und Folgen ihrer Politik unverkennbar: Die Zuwächse bei BIP und Investitionen rühren größtenteils von sinistren Investoren her, an welche die schönsten Regionen der Adriaküste verschleudert werden. Das füllt die Taschen der Regierungskaste, bringt dem Staat aber kaum etwas ein: Laut dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) hat Montenegro die höchste Armutsrate des West-Balkans - zwölf Prozent aller Bürger leben in absoluter Armut, 30 Prozent hart an der Armutsgrenze. Ein vor drei Jahren erlassenes "Kampfprogramm gegen Armut" bewirkte nichts, speziell der (vorwiegend von Serben besiedelte) Norden des Landes verelendet immer mehr. Das Durchschnittseinkommen der Beschäftigten betrug 2006 246 Euro im Monat, die Arbeitslosigkeit lag im Mai 2007 offiziell bei 13,5 Prozent. Hinzu kommt die "Schattenwirtschaft", die staatlich und steuerlich nicht erfaßte Erwerbstätigkeit, die laut Finanzminister Igor Luksic momentan bei 15 Prozent liegt, nach unabhängigen Experten aber bei über 30 Prozent. Am 31. Dezember 2006 standen die Auslandsverschuldung Montenegros bei 504, die Binnenverschuldung bei 197,1 Millionen Euro. Das Außenhandelsdefizit ist enorm: 2006 betrugen der Export 494, der Import aber 1405 Millionen Euro.

Quo vadis Montenegro? Laut dem Belgrader Soziologen Vladimir Goati ist Montenegro zwar in Europa das Land mit der höchsten Parteiendichte, aber die im Parlament vertretenen 16 Parteien bewirken wenig. Die von DPS, SDP und zwei Vertretern der bosnischen und der albanischen Minderheit getragene Regierung agiert nach ihrem Gutdünken, die ethnisch und politisch zersplitterte Opposition ist weithin machtlos. Entgegen früheren Versprechungen hat Montenegro noch immer keine Verfassung und kein Wirtschaftsprogramm - weil alle wichtigen Entscheidungen von einer kleinen Gruppe um Djukanovic und Svetozar Marovic, bis Juni 2006 erster und einziger Präsident der SCG, getroffen werden. Wie die wenigen oppositionellen Medien des Landes klagen, raubt diese Gruppe das Land aus, unterwirft es ihrer Macht und weist ihre Schachzüge vor der internationalen Gemeinschaft als "marktwirtschaftliche Privatisierung" und "Rechtsstaat" aus.

Foto: Djukanovics: Im September 2006 als neuer Präsident gefeiert, hat er heute viele Wähler enttäuscht.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren