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09.06.07 / Sie bereiteten den Weg / Frauen wie Hildegard von Bingen oder Dorothea von Erxleben setzten mit ihrem Wirken Meilensteine

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-07 vom 09. Juni 2007

Sie bereiteten den Weg
Frauen wie Hildegard von Bingen oder Dorothea von Erxleben setzten mit ihrem Wirken Meilensteine
von Barbara Mussfeldt

Vor 50 Jahren, am 3. Mai 1957, verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gleichberechtigungsgesetz. Wichtige Entscheidungen über Arbeitsaufnahme, Geldangelegenheiten und Kindererziehung bestimmten bis zu diesem Zeitpunkt in der Ehe die Männer; Frauen hatten sich zu fügen. Zuerst war der Vater der Vormund, nach der Heirat der Ehemann. Auch wenn die Ehe auf Liebe gegründet sein sollte, bestimmte der Vater über die eheliche Zukunft seiner Tochter und verheiratete sie an einen standesgemäßen Mann. Dabei spielten wirtschaftliche und gesellschaftliche Kriterien eine bedeutende Rolle. Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau war klar festgelegt. Er sorgte für die finanzielle Sicherheit, und an ihr lag es, sich um die Kinder zu kümmern, das eigene Heim in einen Ort der Harmonie, des Friedens und der Geborgenheit zu verwandeln, um dem Mann einen Ruhepol für Erholung und Entspannung zu ermöglichen. Ebenso war die Frau, auf Grund ihrer geringen Bildungsmöglichkeit, aus der Berufs- und Erwerbsarbeit ausgeschlossen. Die Ausnahme war der Beruf als Lehrerin, der setzte allerdings Enthaltsamkeit voraus und war mit Ehelosigkeit verbunden. Eigentlich war ihr ein Eigenleben nur möglich, wenn sie über eigenes Geld verfügte, zum Beispiel durch eine Erbschaft.

Doch schon immer gab es kluge, eigensinnige und wagemutige Frauen, die sich den gesellschaftlichen Erwartungen widersetzten. Die durch ihre Leistungen, wenn auch nicht die Welt bewegten, so doch für andere Frauen Wegbereiterinnen waren und ihnen zu größerer Unabhängigkeit in Gedanken und Taten verholfen haben. Darunter waren unter anderem Ärztinnen, Künstlerinnen, Unternehmensgründerinnen und Flugpionierinnen. Sie alle mußten gegen Vorurteile und gegen die Nichtachtung des sogenannten schwächeren Geschlechts ankämpfen.

Schon im Mittelalter gab es kluge Frauen, die noch zu Lebzeiten anerkannt und verehrt wurden. Dazu zählt die deutsche Mystikerin, Komponistin, Heilkundige und Äbtissin Hildegard von Bingen. Geboren 1098 in Bermersheim bei Alzey, als zehntes Kind einer adeligen Familie. Die Hildegard-Heilkunde hat auch heute noch für viele Menschen eine große Bedeutung. Sie baut auf der positiven Lebenseinstellung auf und schließt die ganze Lebensführung wie Ernährung, richtiges Maß in allen Lebensbereichen und die Freude als die gesundmachendste Kraft mit ein. Um 1150 gründete Hildegard, unter vielen Schwierigkeiten, ein eigenes Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen und später ein weiteres Kloster bei Eibingen. Ihr Biograph Wibert von Gembloux berichtete begeistert, daß ihre Klöster sehr zweckmäßig eingerichtet und in alle Arbeitsräume Wasserleitungen gelegt seien. Hildegard von Bingen starb hochbetagt am 17. September 1179 in Bingen (Kloster Rupertsberg).

Nicht alle Frauen, die sich den gesellschaftlichen Zwängen widersetzten, waren erfolgreich, einige zerbrachen auch daran. Friderike Caroline Neuber (1697-1760) war die erste große Schauspielerin und Theaterleiterin. Sie wurde in Reichenbach im Vogtland als Caroline Weißenborn geboren. Um der Brutalität des Vaters zu entkommen riß sie mit 15 Jahren zum ersten Mal von zu Hause aus und büßte diesen Fluchtversuch mit sieben Monaten Gefängnis. Fünf Jahre später floh sie erneut, zusammen mit Josef Neuber, einem Gehilfen ihres Vaters. 1718 heirateten die beiden und schlossen sich in Weißensee der dort gastierenden Spiegelbergschen Schauspielgesellschaft an.

1725 gründete sie ihre eigene Komödiantengesellschaft. Als 1733 August der Starke starb, erlosch auch das Privileg der Neuberschen Komödianten, in Leipzig Theater spielen zu dürfen. Nach einem Rechtsstreit, den die Neuberin gewann, geschah das Unfaßbare: Josef Neuber erklärte in eigenem Namen und als Vormund seiner Frau, daß er auf das Theater verzichte. 1750 mußte Caroline ihre Wanderbühne aufgeben.

Verarmt und vergessen starb sie schließlich in Laubergast bei Dresden. Doch so ganz vergessen ist die Neuberin auch heute nicht. Die Schriftstellerinnen Petra Oelker und Maiken Nielsen haben in ihren historischen Hamburg-Romanen der Hauptfigur Rosina die biografischen Hintergründe der Neuberin gegeben.

Der Weg der Frauen in die Medizin war immer beschwerlicher als der der Männer. In Preußen erregte "bis weit in die 1890er Jahre hinein die Erwähnung des weiblichen Arztes im Reichstag ungeheure Heiterkeit", weiß die erste deutsche Ärztin der neueren Zeit, Franziska Tiburtius (1843-1927), die 1876 in Zürich promovierte und in Deutschland als Heilpraktikerin arbeiten mußte, aus eigenem Erlebnis zu berichten.

Erst vom Wintersemester 1908/1909 an wurden in Preußen offiziell auch Medizinstudentinnen an den Landesuniversitäten zugelassen. Aber erst während des Ersten Weltkrieges war den Frauen in Deutschland auch die Approbation möglich. Dorothea Erxleben (1715-1762) war die Tochter eines Quedlinburger Arztes und die erste Doktorin der Medizin in Deutschland. Ihre ersten medizinischen Kenntnisse erhielt Dorothea in der Praxis ihres Vaters. Ihr Wunsch, Medizin zu studieren, blieb ihr zunächst verwehrt. Erst auf Intervention Friedrich des Großen (1712-1786) konnte sie an der Fakultät in Halle / Saale Medizin studieren. 1754 wurde sie promoviert und übernahm die Praxis ihres Vaters. Für Dr. Dorothea Erxleben blieb die Emanzipation kein theoretischer Wunschtraum, sondern wurde für die praktizierende Ärztin und Mutter gelebte Realität.

Viele europäische Länder erlebten ihre Blütezeit übrigens unter weiblicher Herrschaft: Spanien unter Isabella, England unter Elisabeth I., Österreich unter Maria Theresia, Rußland unter Katharina der Großen. Die beliebteste deutsche Königin war Luise von Preußen. Sie war schön, anmutig, sanft, heiter, natürlich, charmant, ohne Allüren und Dünkel. Ihr Mann Friedrich Wilhelm III. verabscheute jede Art höfischen Zeremoniells, und so mußte Luise sich um alle Pflichten königlicher Repräsentation kümmern. "Sie mußte ihm alles abnehmen", berichtete der preußische Edelmann von der Marwitz in seinen Erinnerungen. Luises letzte Lebensjahre waren überschattet von den Folgen der Niederlage Preußens gegen Napoleon in der Schlacht bei Jena und Auerstedt 1806. Ihre Furchtlosigkeit und ihr Humor, diese Charaktereigenschaften haben sie bis heute zur beliebtesten deutschen Königin gemacht.

Die meisten Väter wollen, daß ihre Kinder etwas Solides lernen, einen Brotberuf. Der Vater von Käthe Kollwitz (1867-1945) schickte dagegen seine Tochter mit 14 Jahren bei einem Kupferstecher und später bei einem Kunstmaler in die Lehre. Käthe Kollwitz wurde zu einer gefragten Künstlerin. Glücklich

war sie über ihren Erfolg, aber weniger glücklich darüber, daß sie als "soziale" Künstlerin abgestempelt wurde. Schlimmer noch: Man hat ihr vorgeworfen, daß sie nur die dunklen Seiten des Lebens darstellte, daß sie eine reine Elendmalerin sei. Aber für Käthe Kollwitz war es das Mitleiden an der geschundenen Kreatur, das sie bewegte. Ihr Motto war: "Das Schöne ist das Häßliche."

Noch heute erinnern sich jung und alt liebevoll an ihren ersten Teddybär oder ihre erste Puppe. Zwei der wohl bekanntesten Unternehmensgründerinnen jener Zeit in Deutschland waren Margarete Steiff (1847-1909) und Käthe Kruse (1883-

1968). Ihren ersten großen Erfolg hatte Margarete mit der Herstellung eines Nadelkissens in Form eines Elefanten. Daraufhin wurden auch andere Tiere entworfen und produziert. Das wohl bekannteste Aushängeschild des Unternehmens, den Teddybären, entwickelte 1902 Richard Steiff, ein Neffe von Margarete. Margarete Steiff, eine mutige Frau, die mit viel Herz und Willensstärke ein Unternehmen aufbaute, das sich auch nach ihrem Tod am Markt behaupten konnte.

Die Breslauerin Käthe Kruse war eine der weltweit bekanntesten Puppenmacherinnen. Aus den kleinen Anfängen der handwerklichen Puppenherstellung entstand ein auch heute noch florierendes Puppenunternehmen, in dem Handarbeit nach wie vor das Geheimnis des Erfolges ist. Aber es gab auch Frauen, die im wahrsten Sinne des Wortes hoch hinaus wollten. Von den "tollkühnen Männern in den fliegenden Kisten" ist oft die Rede. Es war eine Sensation, als sich am 16. April 1811 die erste deutsche Frau in Berlin mit einem Ballon in die Lüfte erhob und sicher wieder landete. Johanne Wilhelmine Siegmundine Reichard (1788-1848) war die erste Ballonfahrerin Deutschlands. Die Mutter von acht Kindern unternahm zwischen 1811 und 1820 insgesamt 17 Ballonfahrten, die sie in verschiedene deutsche und europäische Städte führte. Alle Fahrten waren ein Abenteuer, aber nicht alle verliefen glimpflich. Am 30. September 1811 startete sie in Dresden und erreichte eine Rekordhöhe von etwa 7800 Metern. Die wagemutige Frau wurde bewußtlos. Der Ballon zerplatzte, und sie stürzte ab, blieb aber in einigen Bäumen hängen. Charakteristisch für sie war ihr Selbstbewußtsein, ihr Mut, ihr Sachverstand und ihr handwerklich-technisches Können. Sie verstand es, ihre Ballonfahrten publikumswirksam zu vermarkten. Denn ein fliegendes "Frauenzimmer" lockte zahlende Zuschauer en masse an. Auf die Frage nach ihrer Motivation und ihren Träumen hat sie bildhaft geantwortet: "Gleich einem Sonnenstäubchen im Weltall schwebend, seiner Winzigkeit sich so augenscheinlich bewußt werdend - ein Augenblick, der, wie oft er sich mir auch noch erneuern möge, nie mich kalt lassen wird."

Auch wenn sich in den vergangenen 50 Jahren viel verändert hat, bei einer wirklichen Gleichstellung von Frauen und Männern sind wir noch nicht angelangt. Frauen sind qualifizierter denn je und wollen Familie und Beruf miteinander vereinbaren. Vereinbarkeit in die Praxis umzusetzen ist nicht zuletzt auch Aufgabe der Politik. Trotz guter Ausbildung bedeutet gleiche Arbeit noch längst nicht immer gleichen Lohn. In den Führungsetagen von Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Verwaltung sind die Frauen immer noch eine Minderheit.

Wer sich über weitere bedeutende Frauen Deutschlands informieren möchte, findet in dem neuen Buch von S. Fischer-Fabian "Sie verwandelten die Welt, Lebensbilder berühmter deutscher Frauen" (Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2007, geb., 284 Seiten, 19,95 Euro) viele Beispiele. Unter anderem zeichnet der Autor, der seine Jugend in Königsberg verbrachte, die Lebensbilder von Liselotte von der Pfalz, Christiane Vulpius und auch Clara Schumann nach. Eine unterhaltsame und spannende Lektüre.

Foto: Nicht gerade zimperlich: Englische Polizisten gehen 1913 energisch gegen eine Suffragette, eine der militanten Frauenrechtlerinnen, vor.


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