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09.06.07 / Geflüchtet nach New York / Komponisten-Tochter versucht in den USA der 40er Jahre heimisch zu werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-07 vom 09. Juni 2007

Geflüchtet nach New York
Komponisten-Tochter versucht in den USA der 40er Jahre heimisch zu werden

Lieder wie "Ein Freund, ein guter Freund" oder "Das muß ein Stück vom Himmel sein" sind auch heutzutage noch vielen Deutschen ein Begriff. Doch wer weiß schon, daß es sich bei dem Komponisten um einen Herren namens Robert Gilbert handelte, dessen jüdischer Vater sich den französischklingenden Künstlernamen Jean Gilbert zugelegt hatte, nachdem er Max Winterfeld als unpassend empfunden hatte?

Als während der Zeit des Nationalsozialismus die Lage für Juden und somit auch für Robert Gilbert und seine Familie gefährlicher wird, flüchten seine Frau Elke und Tochter Marianne zunächst in die Schweiz, um von dort aus mit dem Vater 1939 nach New York zu emigrieren.

Marianne Gilbert berichtet in ihrer Autobiographie "Das gab's nur einmal - Verloren zwischen Berlin und New York", daß das Leben für die deutschen Flüchtlinge in Amerika zunächst alles andere als einfach war. Sehr schnell wurde auch der divenhaften Mutter Elke klar, daß sie als Bittsteller, als Gestrandete in einer für sie fremden Welt, keine hochtrabenden Ansprüche zu stellen hatte.

Die harte Realität trifft sie schon bei der Besichtigung ihres neuen schäbigen Zuhauses mit geballter Kraft. "Vor einer zweiten Ecke hing ein schmuddeliger grüner Vorhang. Meine Mutter zog ihn beiseite. ,Um Gottes Willen', stieß sie hervor. Hinter dem Vorhang war eine Toilette zum Vorschein gekommen ... ,Das ist natürlich nur vorübergehend. Bis ihr auf eigenen Füßen steht. Wir mußten rasch was finden.' Irma wurde allmählich nervös. ,Aber wo ist das Badezimmer?' fragte meine Mutter ... Waschen und baden, erklärte Flora, müsse man in der Wohnung, es sei eine sogenannte Kaltwasserwohnung."

Während Mariannes Mutter zahlreiche Jobs ausprobiert, um die Familie finanziell über Wasser zu halten, versucht Vater Robert, wenn auch in Amerika gänzlich erfolglos, an seine einstigen Erfolge in Deutschland anzuknüpfen.

"Mein Vater verbrachte täglich viele Stunden mit Schreiben und Komponieren, kam aber am Broadway nicht an ... In jener Zeit war ich zwischen meinen Eltern hin- und hergerissen. Ich vergötterte meinen herzlichen, immer leicht zerknautscht aussehenden Vater, der mit mir lange Spaziergänge machte, mir Brownies kaufte und - wenn er nicht gerade arbeitete - offenbar gern mit mir zusammen war. Meine Mutter freute das nicht. ,Er ist ein charmanter Mann, aber unzuverlässig.'"

Da für die Autorin Marianne Gilbert weder ihre ich-bezogene Mutter noch ihr ständig schreibender und kleinen Verliebtheiten nachhängender Vater als Bezugspersonen in Frage kamen, versuchte sie sich den anderen Kindern ihrer Umgebung bestmöglichst anzupassen, um sich zu integrieren. Doch machte ihr die Tatsache, der mangelnden Ähnlichkeit ihrer Familie im Vergleich zu denen ihrer Freundinnen immer wieder einen dicken Strich durch die Rechnung.

"Während sie ihre Familien unschick, streng oder altmodisch finden mochten, war mir klar, daß meine elegante Mutter eigentlich nicht in die Gegend paßte. Ihr Haar war gnadenlos blondiert, ihr Make-up und die Kleider, die sie sich selbst nähte, sahen mehr nach ,Vogue' als nach ,Good Housekeeping' aus. Der fremdländische Akzent meines Vaters war unüberhörbar ... Sie bekannten sich offen dazu, Atheisten zu sein, und waren vom Aussehen und von der Sprache her völlig anders als andere Eltern. Sie waren nicht nur unübersehbar Ausländer, sondern obendrein Intellektuelle."

Sehr anschaulich beschreibt die Autorin den Neuanfang ihrer Familie in Amerika, wobei die Tatsache, daß die Gilberts als Juden für die Amerikaner nicht zu den Opfern, sondern als Deutsche eindeutig zu den Tätern zählten, immer wieder deutlich hervorsticht.

Marianne Gilbert berichtet in "Das gab's nur einmal - Verloren zwischen Berlin und New York" einerseits über das Glück, dem Nationalsozialismus entkommen zu sein, und andererseits, die innere Zerrissenheit, die eigene Identität nicht zu verlieren beziehungsweise sie als Flüchtlingskind zwischen den Fronten zweier Kulturen zu finden. A. Ney

Marianne Gilbert: "Das gab's nur einmal - Verloren zwischen Berlin und New York", Diogenes, Zürich 2007, geb., 301 Seiten, 22,90 Euro, Best.-Nr. 6204


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