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09.06.07 / Einer der letzten Walser-Deutschen / Der Lago Maggiore hat auch eine deutschsprachige Vergangenheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-07 vom 09. Juni 2007

Einer der letzten Walser-Deutschen
Der Lago Maggiore hat auch eine deutschsprachige Vergangenheit
von Cornelia Höhling

Für Frauen bin ich einfach nur Dario", sagt der 70jährige Italiener in gut verständlichem Deutsch und lächelt verschmitzt. "Für Männer heiße ich Antematte", fügt er seinen Nachnamen hinzu. Dario ist Walser, wohl einer der letzten. Die alemannische Volksgruppe hatte sich ab etwa 1200 aus dem Wallis kommend neue Siedlungsräume gesucht und war auch in die Ossola-Täler im Norden des Lago Maggiore eingewandert. Von dem über 200 Quadratkilometer "Großen See" mit malerischer Alpenkulisse, den sich Italien und die Schweiz teilen, hat fast jeder schon gehört. Doch seine einst so gefragten Kur- und Ferienorte gehören seit den 1990er Jahren bei den Jüngeren nicht mehr zu den Favoriten unter den Urlaubszielen. Und nur wenige kennen die Schönheiten und Geheimnisse der dicht bewaldeten Bergwelt im Hinterland. Nun wollen die Tourismusexperten des Lago Maggiore weg vom "Rentner-Image". Hinter den unzähligen Vier-Sterne-Hotels am Ufer sind viele günstige Unterkünfte entstanden.

Kaum mehr als 60 Kilometer vom See entfernt, hat sich das Gebiet von Ossola, ein Kranz von sieben Alpentälern, zu einem Touristenziel entwickelt. Es gibt eine Vielfalt von Wanderwegen und Kletterpfaden, die meist zu einem Aussichtspunkt führen, und Möglichkeiten zum Segelfliegen, Bergsteigen, Canyoning, Trekking oder Reiten. Als eines der schönsten Täler, wo noch Gemsen und Steinböcke zu Hause sind, gilt das Valle Anzasca im Nordwesten des Sees. Das Tal ist dunkel und eng, öffnet sich aber nach oben bis zu den Gipfeln des Monte Rosa. Den mit 4637 Metern zweithöchsten Berg Europas krönen elf schneebedeckte pyramidenförmige Felsgipfel.

Die Walserbesiedlung erstreckte sich auch auf die Talrinnen des Monte Rosa, wo die Walser zumeist in den unwirtlichen Almen ab 1000 Meter Höhe Viehzucht und Landwirtschaft betrieben. So leben in der Region ihre Traditionen und Legenden fort. Besonders in Macugnaga wird das Erbe der Walserzivilisation bewahrt. In der historischen Altstadt ist an den Bauten aus dem 16. Jahrhundert noch heute ihre Kunstfertigkeit in der Holzverarbeitung zu erkennen.

Im "Duorf" sind neben Blockhäusern Ställe, Scheunen, Brennöfen und Getreidespeicher des Bergvolks erhalten. Die alte Kirche soll aus dem 13. Jahrhundert stammen. Nicht weit davon steht eine Linde, die als älteste ganz Europas angesehen wird. Dario sagt, sie sei das Symbol der Walser. Der Legende nach wurde sie als Erinnerung an die Heimat mitgebracht. Der Baum habe die Kraft, sie zu beschützen. Unter seinem Blätterdach wurde früher Recht gesprochen.

Dario sucht nach Worten. "Unsere Sprache geht langsam verloren", klagt er. Dabei wurde Italienisch hier an der Schule erst 1880 Unterrichtssprache. Nur sechs Personen soll es noch geben, die richtiges Walser-Deutsch sprechen. Aber die Tradition wird gepflegt, nicht zuletzt mit den alle drei Jahre stattfindenden Walsertreffen.

Im alten Pfarrhaus im Ortsteil Borca gibt Lia Morandi Auskunft über die Lebensweise der Walser. In dem bis 1950 bewohnten Haus von 1610 wurde ein Museum eingerichtet. Sie führt durch sieben Räume mit Alltagsgegenständen. Dort stehen die Sonntagsschuhe, deren Sohlen gegen Abnutzung genagelt waren. Hier hängen kostbar bestickte Kleidungsstücke der Frauen, die einst getrocknete Himbeerblätter rauchten. Brot wurde nur zweimal im Jahr im Backhaus der Gemeinde gebacken und trocken gelagert. Lia erklärt, wie in einem Raum gegessen, geschlafen und gearbeitet wurde. Sie zeigt auch das winzige, nach Norden ausgerichtete Fenster, das in keinem Haus fehlte. "Es wurde nur geöffnet, wenn jemand starb", sagt sie, "damit die Seele entweichen konnte."

Nicht weit vom Walser-Museum kann die Mine von "Guia" besichtigt werden, in der über zweihundert Jahre lang bis 1945 nach Gold geschürft wurde. Sie war nicht die einzige im Anzasca-Tal. Ein ganzes Labyrinth von Schächten zieht sich über Kilometer unter der Erde entlang. Vermutlich waren sie schon in der Römerzeit bekannt. 1961 stellte die letzte Goldmine den Betrieb ein. Die Stollen, in denen das Leben der Bergleute anhand ausgestellter Werkzeuge nachvollziehbar wird, sind beleuchtet. Die Temperatur liegt bei acht Grad.

Dario empfiehlt, unbedingt in einem der typischen Lokale die einheimische Küche zu kosten. Käse und Wurstwaren hätten einen unverfälschten Geschmack, schwärmt er. Verschiedene Polentaarten werden mit Wild gegessen. Zu den alten Spezialitäten gehören die "viulin", eine mit Gewürzen konservierte Ziegenkeule, und natürlich die Gnocci nach Art von Ossola. "Früher habe ich in der Gastronomie gearbeitet", verrät Dario. "Jetzt kümmere ich mich um das Haus, mache Käse, habe Kühe, Schafe und Esel. Der größte Esel bin ich, denn wer in den Bergen arbeiten muß, ist immer ein Esel."

Foto: Santa Caterina del Sasso: Das im 13. Jahrhundert am Lago Maggiore errichtete Dominikanerkloster ist ein Edelstein der Baukunst.


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