29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.06.07 / Erwachsene Waisen / Wenn Eltern sterben, endet die Kindheit endgültig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-07 vom 16. Juni 2007

Erwachsene Waisen
Wenn Eltern sterben, endet die Kindheit endgültig
von Ulrike Steinbach

Es ist der normale Zyklus des Lebens: Kinder werden geboren, Großeltern sterben - und irgendwann auch die Eltern. Jedoch ist der Tod der Mutter oder des Vaters für viele ein schwerer Verlust, auch wenn sie selbst schon im Seniorenalter sind. "Solange die eigenen Eltern leben, bleiben viele ihnen gegenüber in der Rolle des Kindes", sagt Barbara Dobrick, Journalistin und Buchautorin ("Wenn die alten Eltern sterben").

Eltern geben ihren Kindern ein Gefühl von Sicherheit - oft sogar noch, wenn diese schon erwachsen sind. Nach dem Tod der Eltern haben Sohn und Tochter manchmal das Gefühl, mit dem Verlust von Mutter und Vater auch ihre seelische Stabilität, sozusagen den "Schutzschild im Rücken" zu verlieren. "Sie fühlen sich oft völlig allein, auch wenn sie selbst längst eine Familie gegründet haben", berichtet Dobrick, die für ihr Buch zahlreiche Interviews zum Thema geführt hat. Mit dem Verlust seien vielschichtige Gefühle verbunden. Dobrick: "Wichtig ist, jedes Gefühl ernst zu nehmen."

Auch wenn Eltern im hohen Alter sterben und sich die Kinder lange auf die neue Situation vorbereiten konnten, werden viele von unerwartet starken Gefühlen übermannt. "Das ist ganz normal. Schließlich beeinflußt niemand unser Leben so sehr wie die Eltern", betont Barbara Dobrick.

Andere wiederum spüren eine neu gewonnene Freiheit. "Manchmal entwickelt sich das eigene Leben danach in eine völlig andere Richtung", sagt Trauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper. Man traut sich plötzlich Dinge zu, die man in Anwesenheit der Eltern nicht gewagt oder ihnen nicht zugemutet hätte. "Dann sollte man ohne schlechtes Gewissen neue Wege gehen", betont die Expertin.

Familien, die das Thema frühzeitig ansprechen, hätten es später leichter. "Man sollte über die Art der Bestattung sprechen und klären, wo das Testament und wichtige Papiere liegen", unterstreicht Schroeter-Rupieper. Das sollte möglichst nicht erst auf dem Sterbebett geschehen. "Man kann einen Sterbefall in der Bekanntschaft, einen Vortrag oder einen Zeitungsartikel zum Anlaß nehmen, um diese Dinge anzusprechen."

Wer wichtige Dinge aus dem Leben der Mutter und des Vaters erfahren möchte, kann sie bitten, Memoiren zu schreiben oder ihnen diese Arbeit in Form schriftlicher Interviews abnehmen. "Das ist später ein schönes Andenken", berichtet Mechthild Schroeter-Rupieper von den Erfahrungen ihrer eigenen Familie. Auch wenn das Verhältnis ambivalent sei, sollte man den Eltern nicht ausweichen, sondern die Gefühle bewußt wahrnehmen, sagt Barbara Dobrick: "Auch diese Erlebnisse können später eine Hilfe sein."

Für die Trauer sei es wichtig, von den Toten Abschied zu nehmen. "Vor allem, wenn der Angehörige unerwartet verstorben ist, sollte man sich dafür viel Zeit nehmen", betont Schroeter-Rupieper. Erst dann könne man begreifen, daß der geliebte Mensch wirklich gestorben ist.

"Die Verstorbenen anzuschauen, verringert die Ängste", ergänzt Barbara Dobrick. Sie rät auch, die Bestattung in Ruhe zu planen. "Man sollte sich von niemandem drängen lassen." Außerdem gebe es den Angehörigen das Gefühl, noch etwas Gutes tun zu können, sagt Mechthild Schroeter-Rupieper.

War das Verhältnis zur Mutter oder zum Vater belastet, sollte man sich von Schuldgefühlen lösen, empfiehlt die Trauerbegleiterin. "Man kann sich zum Beispiel überlegen, wie der oder die Verstorbene reagieren würde." Mit der Vorstellung, daß die Eltern verzeihen, löse sich das beklemmende Gefühl meist auf. Außerdem rät sie, neue Vertrauenspersonen zu suchen, die die Lücke füllen.

Auch Rituale wie Feste könne man in der Familie beibehalten. Für viele ist der Friedhof ein Erinnerungsort, den sie regelmäßig aufsuchen. Oder sie gedenken ihrer verstorbenen Eltern, indem sie Fotoalben anschauen oder geerbte Schmuckstücke tragen. Anderen hilft es, sich in sozialen Diensten zu engagieren.

Trauergefühle lassen sich nicht umgehen, und man müsse sich nicht dafür schämen, sich mit 50 oder 60 Jahren wie ein Waisenkind zu fühlen, sagt Barbara Dobrick: "Das Wissen darum, daß die Beziehung zu den Eltern meist die komplexeste und bestimmendste im Leben war, hilft dabei, ihren Tod zu verarbeiten."

Foto: Beerdigung der Mutter: Der Mensch, der vorher immer für einen da war, tritt plöztlich aus dem eigenen Leben.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren