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16.06.07 / Neues Leben / Türkin zieht nach London

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-07 vom 16. Juni 2007

Neues Leben
Türkin zieht nach London

Integration, das Schlagwort in der Ausländerpolitik, ein Oberbegriff hinter dem sich zwar ein hehres Ziel verbirgt, das sich allerdings nur zu selten verwirklicht und für die Emigranten fast immer ein undefiniertes Fremdwort bleibt.

Um vor ihrer unglücklichen Liebe mit dem verheirateten Tamer zu fliehen, verläßt Ece ihre Heimat Istanbul und geht nach London, um dort Englisch zu lernen und Biologie studieren zu können.

Im Gegensatz zu allen anderen Emigranten, die aus ähnlichen Gründen nach London kommen, ist Ece nicht darauf angewiesen als Tellerwäscherin oder Kellnerin in einem billigen Kebab Restaurant schwarz zu arbeiten, da ihr Großvater für sie ein Sparbuch angelegt hat.

Nach dessen Tod, als ihr Kummer sie zu überwältigen droht und ihre Lage aussichtslos erscheint, findet sie es an einem geheimen Ort hinter seinem Bücherregal. "Mit neuen Kräften sprang ich auf, leerte noch ein paar Regale, und danach war der Bücherschrank leicht genug, so daß ich ihn noch ein Stück vorziehen und meinen Arm in den Zwischenraum quetschen konnte. In der Plastikhülle steckten das Sparbuch, das ich vor Jahren einmal gesehen hatte sowie ein doppelt gefaltetes Blatt Papier ... Auf der Straße fühlte ich mich wie benommen. Irgendwie konnte ich mich nicht dazu durchringen, das Sparbuch herauszuziehen um nachzusehen, wie viel Geld ich nun mein eigen nennen konnte." Als Ece feststellt, daß sie theoretisch genug Geld für sieben Mercedes hat, gibt es für sie kein Halten mehr und sie fliegt nach England.

In London wohnt Ece bei ihrer Schwester Aylin und es fällt ihr trotz der neuen Umgebung und den neuen Eindrücken nicht leicht, die schmerzhaften Erinnerungen an Tamer und ihren Vater zu verdrängen und zugleich die Erinnerungen an ihren Großvater zu bewahren.

Hin- und hergerissen zwischen Erinnern und Vergessen, beginnt sie nebenbei ein neues Leben in einem fremden Land, dessen Sprache sie zunächst noch erlernen muß.

"Ich besaß mittlerweile eine Liste mit Erinnerungen, die ich nicht vergessen wollte, und untersagte es mir selbst, über irgend etwas nachzudenken, das nicht auf dieser Liste stand ... Ich wollte vermeiden, daß meine schönen Erinnerungen gemeinsam mit den schlechten im Abfallkorb meines Gedächtnisses landeten, aber wie ich das eine vom anderen trennen sollte, wußte ich nicht."

Damit die alten Familiengeschichten und Legenden, die ihr Großvater ihr einst anvertraute, nicht in Vergessenheit geraten, beginnt Ece, diese an Aylin weiterzugeben.

Wie in der Erzählung von Tausend und einer Nacht erfährt der Leser Sagen und Märchen sowie auch die Geschichte einer großen Liebe, der Liebe von Eces Großmutter und ihrem Großvater, dem hoffnungslos verliebten armenischen Silberschmied.

Am Beispiel von Eces Bekannten und Arbeitskollegen im Grillrestaurant verdeutlicht die Autorin Esmahan Aykol die prekäre Situation der Emigranten, die mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung nach England kommen und dort auf einen Neuanfang, eine Ausbildung, ein besseres Leben hoffen und häufig doch nur zur schlecht bezahlten Schwarzarbeit in billigen Restaurants herangezogen werden, um vom kargen Trinkgeld ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Von Integration kann nicht die Rede sein.

Während die Emigranten in spärlich möblierten Einzimmerwohnungen hausen und Tag und Nacht für einen Hungerlohn schuften, werden in die Heimat Fotos von Villen und teuren Autos verschickt, um die Lüge von Wohlstand und beruflichem Erfolg aufrecht zu erhalten.

Vor der Kulisse der Migrationsproblematik berichtet die Autorin jedoch sehr warmherzig und unbefangen von Eces unerfüllter Liebe, dem Wunsch, endlich vergessen zu können, und der Tatsache, daß auch das gekränkteste Herz irgendwann bereit für eine neue Liebe ist. A. Ney

Esmahan Aykol: "Goodbye Istanbul", Diogenes Verlag, Zürich 2007, geb., 354 Seiten, 19,90 Euro, Best.-Nr. 6212


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