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16.06.07 / Bleiben war kein Segen / Autor berichtet über seine Zeit in seiner polnisch gewordenen Heimat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-07 vom 16. Juni 2007

Bleiben war kein Segen
Autor berichtet über seine Zeit in seiner polnisch gewordenen Heimat

Wer schon zahlreiche Lebenserinnerungen von Heimatvertriebenen gelesen hat, ist Kummer gewöhnt. Dieser bezieht sich auf das häufig tragische Schicksal, das die Menschen erlitten haben, aber auch auf die äußerst unterschiedlichen literarischen Fähigkeiten der jeweiligen Autoren, denn verständlicherweise sind die wenigsten von ihnen im Schreiben geübt. Doch da hier die Dokumentation von Zeitgeschichte höherwertiger ist als sprachliche Ausdruckskraft und Erzählstruktur, sind die Erwartungen in dieser Hinsicht eher niedrig angesetzt.

Eine Autobiographie, die jedoch beides miteinander vereint, indem Zeitgeschichte auch sprachlich überzeugend umgesetzt ist, ist "In der Heimat gefangen - Eine Kindheit zwischen Krieg und Vertreibung".

Werner Kutscha, über dessen späteren Werdegang der Leser nicht allzu viel erfährt, scheint außergewöhnliches Erzähltalent zu besitzen, denn ein Co-Autor wird nirgendwo erwähnt.

Diese Lebenserinnerungen beginnen ungewöhnlicherweise mal nicht mit der Geburt, sondern auf einer Terrasse in der Pfalz, der Wahlheimat von Werner Kutscha. "Doch was heißt hier Wahlheimat? Ich habe sie mir nicht ausgewählt. Die Wogen des Lebens haben mich einfach hier angeschwemmt ... Mein ursprüngliches Heimatdorf Dornhennersdorf existiert nicht mehr. Es lag im sächsischen Teil der Oberlausitz, ganz im Südosten - und damit jenseits der Neiße, so daß es nach dem Zweiten Weltkrieg an Polen fiel." Den Zweiten Weltkrieg hat Dornhennersdorf allerdings erstaunlich unbeschadet überstanden. Selbst der Durchzug der Roten Armee verlief vergleichsweise glimpflich ... bis zum 22. Juni 1945.

An diesen Tag "ein Sommertag begann, zum Träumen geschaffen", frühstückt die Familie - der 13jährige Werner, seine beiden fast erwachsenen Schwestern und die Eltern - im Wintergarten. Dann: "Draußen knallten einige Gewehrschüsse. Eine rauhe Stimme brüllte aus einer Art Megafon: ,Alle Deutschen mussen sofort Dorf verlassen. Mitnehmen nur, was zu tragen möglich. Alle Wertsachen da lassen!" Werner und seine Familie stürzen an die Tür und

sehen "Koffer, Kisten und Rucksäcke tragende Menschen" an sich vorüberziehen. Dazwischen brüllende, polnische Soldaten.

Eindringlich beschreibt der Autor, wie die Familie von Panik ergriffen wird, schnell jedoch erfährt, daß sie dableiben sollen. Da der Vater Arzt ist, dürfen und müssen sie bleiben. Und so sehen sie von der Tür aus den vorbeiziehenden Nachbarn zu, sehen menschliches Elend und Verzweiflung. Spontan entscheidet sich Werners ältere Schwester Gisela, mit den Nachbarn in die sowjetisch besetze Zone zu gehen, was die Eltern widerwillig gewähren. Doch die Tatsache, die eigenen vier Wände nicht verlassen zu müssen, ist kein Segen. "Kein Bäcker mehr, kein Fleischer, kein Kaufladen ..., die Kartoffeln gehen auch zu Ende." Von nun an zieht Werner Tag für Tag durch das ausgestorben daliegende Dorf, sucht zurückgebliebene Nahrungsmittel und versorgt zurückgelassene Tiere.

Eindrucksvoll beschreibt Werner Kutscha diese Wochen nach der Vertreibung der Deutschen und vor dem Einzug der Polen. Als die sogenannten Ostpolen in die Häuser der Deutschen ziehen, bleiben die Kutschas jedoch als einzige Deutsche immer noch isoliert. Zwar arbeitet der Vater als Arzt, doch Achtung ist nicht gleich Integration.

Obwohl die Familie mit heiler Haut davon kommt, selbst ein Überfall durch Polen glimpflich ausgeht, Werners illegaler Grenzübergang nach Zittau zwar die kurzfristige Trennung von seinen Eltern bedeutet, aber ihm eine Zukunft ermöglicht, berührt "In der Heimat gefangen" durch die Intensität der geschilderten Gefühle und Eindrücke.

Selbst die Begründung, warum Werner Kutscha später nie sein Heimatdorf besucht hat und sein zeitweiliger Haß auf die Polen werden nachvollziehbar. Bel

Werner Kutscha: "In der Heimat gefangen - Eine Kindheit zwischen Krieg und Vertreibung", rosenheimer, Rosenheim 2007, geb., 368 Seiten, 9,95 Euro, Best.-Nr. 6080


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