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16.06.07 / "Es gibt noch viele bedürftige Familien" / Interview mit der neuen Vorsitzenden der "Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit", Krystyna Plocharska

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-07 vom 16. Juni 2007

"Es gibt noch viele bedürftige Familien"
Interview mit der neuen Vorsitzenden der "Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit", Krystyna Plocharska

Das im Jahr 2000 unter maßgeblicher Beteiligung Bayerns eröffnete deutsch-polnische Begegnungszentrum "Haus Kopernikus" in Allenstein ist die Heimat der "Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit" (AGDM) und als Mittelpunkt der deutschen Volksgruppe im südlichen Ostpreußen eine Brücke zwischen Deutschen und Polen. Nun trat der langjährige Vorsitzende der AGDM, Hans Jürgen Biernatowski, der sich große Verdienste um die Gründung und den Erhalt der Gesellschaft erworben hat, aus Altersgründen nicht mehr zur Wiederwahl an. Ihm ist es mit zu verdanken, daß heute die Gesellschaft im "Haus Kopernikus", dem ehemaligen Finanzamt von Allenstein, einen würdigen Sitz hat, eine innere Einheit erreicht hat sowie eine vorbildliche Zusammenarbeit mit der Stadt- und Selbstverwaltung pflegt. Bei der Delegiertenversammlung des AGDM am 31. März wurde Krystyna Plocharska als neue Vorsitzende gewählt. Im Rahmen einer Fahrt einer Abordnung des "Kulturzentrums Ostpreußen" nach Ermland-Masuren wurde das "Haus Kopernikus" besichtigt sowie ein Gespräch mit Krystyna Plocharska geführt. Plocharska ist beruflich als Buchhalterin beschäftigt, Gründungsmitglied der Gesellschaft sowie Mitglied in der Regierungsminderheitenkommission in Warschau.

 

PAZ: Frau Plocharska, welche Ziele haben Sie sich für Ihre nun gerade begonnene Amtsperiode als Vorsitzende der AGDM gesetzt?

Krystyna Plocharska: Als Vorsitzende der AGDM vertrete ich mit derzeit 3280 Mitgliedern die größte Minderheitengesellschaft Nordpolens. Sie umfaßt praktisch die Stadt und den Landkreis Allenstein. Mein wichtigstes Ziel ist es, das bisher auf allen Gebieten Erreichte zu bewahren und vorsichtig weiter auszubauen.

PAZ: Welchen Aufgaben stellt sich die AGDM derzeit?

Plocharska: Wir haben einen eigenen Kindergarten, eine Jugendgruppe mit rund 100 Mitgliedern, verfolgen kulturelle Projekte, pflegen die deutsche Geschichte und arbeiten mit anderen in Polen vertretenen Minderheiten zusammen.

PAZ: Wie sieht die Arbeit im Kindergarten aus?

Plocharska: Der Kindergarten ist im "Haus Kopernikus" untergebracht. Derzeit beschäftigen wir eine Kindergärtnerin, die Germanistik studiert hat. Diese gibt vormittags Unterricht in Schulen und steht uns nachmittags zur Verfügung. Der in deutscher Sprache geführte Kindergarten ist gut besucht und steht natürlich nicht nur den Kindern der deutschen Minderheit zur Verfügung.

PAZ: Wie sieht die Arbeit der Gesellschaft im Bereich der Erwachsenenbildung aus?

Plocharska: Wir bieten laufend Deutsch-Kurse an, dafür haben wir im Hause mehrere Seminarräume. Diese Kurse werden auf hohem Niveau geführt, so daß sie auch für Schüler und Studenten hilfreich sind.

PAZ: Sie kümmern sich auch um deutsches Brauchtum?

Plocharska: Ja, wir haben ein Programm mit zahlreichen kulturellen Projekten. Diese reichen von der Veröffentlichung von aus dem Polnischen übersetzten Büchern wie aktuell das Werk "Allenstein, wie man es nicht kennt" von Rafa Batkowski, in dem alte Ansichtskarten von Allenstein zu sehen sind. Dann gibt es Schriftstellerlesungen, Autorentreffen und Geschichtsvorträge. Derzeit sammeln wir alte ostpreußische Rezepte und planen, diese in einem in deutscher Sprache erscheinenden Buch "Ostpreußische Küche" dem Vergessen zu entreißen.

PAZ: Wie zeigt sich die AGDM in der polnischen Öffentlichkeit?

Plocharska: Das Bekenntnis, Deutscher zu sein, ist in der Öffentlichkeit anerkannt. Wir kümmern uns um die lokale Geschichte in der Stadt und im Landkreis, haben Zugang zu kirchlichen und staatlichen Archiven und müssen auch die Kriegszeiten nicht ausklammern. Dies reicht so weit, daß auf dem 1915 errichteten und 1992 wieder eingeweihten Ehrenfriedhof am Volkstrauertag das Lied "Ich hatt' einen Kameraden" gespielt werden kann.

PAZ: Treten die einzelnen Gruppen der AGDM auch in der Öffentlichkeit auf?

Plocharska: Die über 100 Mitglieder starke Jugendgruppe, von denen etwa 30 sehr aktiv sind, kümmern sich unter anderem auch um Kinderfreizeiten. Der seit 15 Jahren bestehende gemischte Chor tritt selbstverständlich bei kirchlichen und weltlichen Veranstaltungen auf und beteiligt sich sogar an Gesangswettbewerben.

PAZ: Werden sonstige Brauchtümer gepflegt?

Plocharska: Wir haben auch noch eine Handarbeitsgruppe, die die alten Techniken der Nachwelt erhält. Allerdings sind dies meist ältere Personen, hier fehlt uns eine Mittelschicht. Zudem kümmern wir uns in der so genannten "Sibiriengruppe" um Frauen, die viele Jahre in Sibirien verschleppt waren. Diese Gruppe wird allerdings aus verständlichen Gründen immer kleiner.

PAZ: Wie steht die AGDM zu anderen Minderheiten in Polen?

Plocharska: Gemeinsam mit anderen Minderheiten in Polen begehen wir zusammen den "Tag der nationalen Minderheiten" am 9. Juni. Hier treffen wir uns mit Vertretern anderere Volksgruppen wie Litauern oder Roma. Heuer wird an diesem Tag der Auftritt einer Tanzgruppe der Roma in Allenstein ein Hauptpunkt der Veranstaltung sein.

PAZ: Wie finanzieren Sie ihre Arbeit?

Plocharska: Wir suchen natürlich laufend nach finanziellen Mitteln für unsere Aufgaben, die wir uns gestellt haben. Dabei hilft mir vor allem meine Mitarbeiterin Joanna Felis. Vor allem Bayern unterstützte uns beim Ausbau des Dachgeschosses im "Haus Kopernikus" sowie bei laufenden Vorhaben. Geld bekommen wir auch von der Stadt Allenstein und vom Marschallsamt. Seit zwei Jahren gibt es in Polen ein neues Minderheitengesetz, nach dem alle Minderheiten Zuschußanträge stellen können. Derzeit tun dies allerdings nur drei deutsche Gesellschaften, da es bürokratisch umfangreich und mit genauer Kontrolle der Verwendung verbunden ist.

PAZ: Welche Projekte wollen Sie in der nächsten Zeit noch angreifen?

Plocharska: Es sind zwei Dinge: Es gibt noch viele bedürftige Familien in unserer Gegend, die wir mit gebrauchter Kleidung unterstützen wollen. Und dann wollen wir unsere vorhandenen Bestände in der Bibliothek katalogisieren. Fernziel wäre natürlich die Ergänzung unserer Bestände durch hochwertige deutsche Sachbücher, die wir Schülern und Studenten zur Verfügung stellen könnten sowie die Möglichkeit, diese Bibliothek dann auch noch durch eine Fachkraft zu bestimmten Zeiten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.


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