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16.06.07 / Wasser- und Feuerfreuden / Wenn jugendlicher Überschwang Feuer und Flamme für seine Umwelt ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-07 vom 16. Juni 2007

Wasser- und Feuerfreuden
Wenn jugendlicher Überschwang Feuer und Flamme für seine Umwelt ist
von Fritz Kudnig

Es wird jedem vernünftigen Menschen einleuchten, daß es für mich eine gewaltige Freude war, als ich eines Tages die lange ersehnten Stulpenstiefel geschenkt bekam, die immerhin ein kleines Spiegelbild von Vaters immer glänzend gewichsten Kürassierstiefeln darstellten. Dem Vater aber bereitete es durchaus kein Vergnügen, als ich meine Prachtstiefel bald darauf böse versaut heimbrachte, nachdem ich versucht hatte, die Tiefe eines Baches damit auszuloten. Der Bach war wesentlich höher als meine Stiefel gewesen und hatte diese überflutet und bis obenhin mit Wasser gefüllt.

Daß mein von den letzten Prügeln immer noch blau geflecktes Hinterteil plötzlich eine ansehnliche Anzahl neuer Flecken ansetzte, lockte meinem Mutterchen ungezählte Mitleidstränen ab, die meinen Vater aber nicht ebenfalls zum Weinen verführten.

Wie ich immer schon für Wasser geschwärmt hatte, gleich, wo es für mich zu finden war, so schwärmte ich auch für das feurige Element. Der von meiner lieben Mutter hundertmal hergesagte Spruch: "Messer, Gabel, Schere, Licht - nehmen artige Kinder nicht!" gilt ja, wie der Text einwandfrei beweist, nur für artige Kinder. Von solchen hatte ich damals noch keine rechte Vorstellung. Ich nahm ja auch gar kein Licht, wenn ich bei günstiger Gelegenheit mit einem langen hölzernen Kochlöffel, mit Großvaters schönem Spazierstock oder mit einem anderem, dazu besonders geeigneten Möbelstück im Ofenfeuer herumstocherte!

Doch einmal wurde diese für mich so herzerfreuende Stocherei im wahrsten Sinne des Wortes brenzlig. Auch meine Schwester Grete war von der gleichen Leidenschaft für Feuer besessen wie ich. Leider hatte sie wesentlich längere Haare als ich. Und da sie in der Entfernungsschätzung nicht so sicher war, wie es uralte Pfadfinder und Soldaten zu sein pflegen, hatte sie, während sie mir bei meinem Feuerwerk neugierig über die Schulter guckte, die Entfernung zwischen sich und dem prasselnden Ofenfeuer offenbar unterschätzt. Denn plötzlich stand ihr Kopf in hellen Flammen! Das war selbst für mich, der ich schon viel Erregendes erlebt hatte, ein so furchtbarer Anblick, daß ich wie ein Wüstenlöwe zu brüllen begann.

Glücklicherweise war meine Mutter in der Nähe. Sie wickelte meine brennende Schwester blitzschnell in eine Wolldecke und rollte sie auf der Erde hin und her. So gelang es, die Feuersbrunst zu löschen, bevor meine Schwester vollständig eingeäschert war. Diese sah nach jenem Vorfall wie ein Strauchdieb aus; zum mindesten wie ein Strauchbesen. Sie bildete unerschöpflichen Gesprächsstoff für die gesamte Nachbarschaft, für die unerwachsene aber ein Schaustück ersten Ranges. Daß ich - der Fabrikant dieser Sehenswürdigkeit - für meine Tätigkeit von der Tatkraft meines Vaters wieder einen sehr handgreiflichen Beweis erhielt, fand ich diesmal ganz in Ordnung.

Das fand ich bei folgender Gelegenheit durchaus nicht. Eines Tages war meine Base Anna aus Tiegenhof zu Besuch gekommen. Sie brachte wie immer, wenn sie aus diesem weit berühmten Geburtsort des Machandelschnapses kam, eine ganze Literflasche dieses kostbaren Getränkes als Gastgeschenk mit. Ich selber hatte für dieses Getränk unglücklicherweise noch kein Verständnis, also auch keine Verwendung. Um so eifriger war mein Vater in den kommenden Tagen mit der sachgemäßen Verwertung dieser zauberhaften Flüssigkeit beschäftigt. Das hatte für mich die erfreuliche Rückwirkung, daß er dann stets in rosigster Laune war. Sein Schnurrbartbarometer, Muster Kaiser Wilhelm II., stand ständig auf Schön. Selbst meine tollsten Streiche übersah er in seiner Rosenstimmung in wahrhaft fürstlicher Großmut; mit einer Ausnahme, und das war diese: Meine Base Anna war ein wirklich fesches Mädchen. Das stach mir damals aber noch nicht so sehr in die Augen wie die lange Brennschere, mit der sie ihres Hauptes schimmernde Schönheit an jedem Morgen herstellte.

Als sie eines Tages mit ihrem wundervollen Lockenschopfe siegesbewußt in die Stadt gerauscht war, benutzte ich die günstige Gelegenheit, auch meine Schwester Grete einmal so schön zu machen, wie Base Anna es immer war. Ich zündete, fachkundig, zunächst den Spirituskocher an, auf dem die Brennschere zum Gebrauch erwärmt werden mußte. Dann begann ich das Haupt meiner Schwester zu bearbeiten.

Leider hatte ich übersehen, daß meine Base die Brennschere immer nur bis zu einem gewissen Grade erwärmte. Ich hatte sie überhitzt. Und als ich nun mit dem dunkelrot glühenden Eisen im Haar meiner Schwester herumfuhrwerkte, entstanden dort seltsamerweise keine Locken, wie bei meiner schönen Base Anna; da entstand ein Gestank, der noch fürchterlicher war als der, der entstanden war, als ich früher einmal meine nassen Stiefel zum Trocknen auf den heißen Herd gestellt hatte, wo sie nahezu verkohlten.

Der auffallende Geruch brachte mich bei meiner Brennscherarbeit plötzlich auf den Gedanken, daß ich die Sache wohl nicht ganz richtig gemacht haben müßte. - Dies fand auch sofort mein jählings wie aus dem Boden gewachsener Vater heraus. Aber die Tracht Prügel, die ich dann bezog, erschien mir schon aus dem Grunde unangebracht reichlich, weil ich meiner Schwester doch nur den halben Kopf abgesengt hatte. Die rechte Seite ihres mächtigen Haarschopfes stand nach wie vor in voller Blüte.


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