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16.06.07 / Bunt wie das Leben / Die Leipziger Gastronomie-Szene hat nicht nur Goethe begeistert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-07 vom 16. Juni 2007

Bunt wie das Leben
Die Leipziger Gastronomie-Szene hat nicht nur Goethe begeistert
von Helga Schnehagen

Klein Paris" nannte Goethe Leipzig. Weilte er heute als Student in der Stadt an der Elster, würde er sie wohl "Klein Italien" nennen und vielleicht sogar Auerbachs Keller links liegen lassen, um sich auf dem Drallewatsch zu vergnügen. Vorausgesetzt, er fände einen Platz. Denn an lauen Sommerabenden ist Leipzigs Kneipenmeile Nummer eins zwischen Neuem Rathaus, Thomaskirche, Altem Rathaus und Fleischergasse voll besetzt. Freisitz heißt hier treffend die Gastronomie auf der Straße, und sie hat Kult-Status. Von Leipzigs über 1400 Gastronomen verfügen inzwischen 1240 über Freisitze.

Was "Drallewatsch" bedeutet? Das ist ein ursäschsischer Begriff für "etwas erleben" oder "auf den Schwof gehen". Und wer bei Freisitz an einen ungemütlichen Klappstuhl à la Biergarten denkt, liegt falsch. Vielerorts versinkt man in Korbstühlen. Das ist auch nicht nötig. Sehen und gesehen werden ist hier das Programm. Und es ist ein Vollprogramm, denn Leipzig ist immer in Bewegung. So wie die kinetische Installation hoch oben über der Ritterpassage neben der Tourist-Information gegenüber dem Hauptbahnhof.

Bunt wie das Leben ist die Gastro-Szene. Da ist etwa der Turm- und Türmchenbau des Neuen Rathauses, errichtet um 1900 über den Grundmauern der ehemaligen Pleißenburg. Für die Regierenden der Stadt sind es nur ein paar Stufen zum Ratskeller, wo Hieronymus Lotter (1497-1580) ihnen beim Rittermahl die Leviten über die Lotterwirtschaft in der Stadt liest. Den Fremden weiht der Baumeister und - wie man vernimmt - siebenmalige Bürgermeister Leipzigs bei Griebenschmalz und Biersuppe, Schweinenacken, Lammhaxen und Knusperhähnchen, Kartoffeln und Klößen, Speckkraut und Krautsalat ins Geheimnis des Sächsischen ein: "Sächsisch ist kein Dialekt, Sächsisch wird nicht gesprochen, Sächsisch wird ausgeatmet. Zunge gegen den Gaumen pressen, Unterkiefer vorschieben, ausatmen."

Sprechen geht vielleicht noch, aber verstehen? Keine Sorge, die stattliche Erscheinung mit Schlapphut und Umhangmantel heißt im wirklichen Leben Karsten Pietsch, ist hauptberuflich Journalist und spricht sächsisches Hochdeutsch. Zum Ritteressen, das man für Gruppen ab 15 Personen in den alten Gewölben buchen kann, gesellt er sich auf Bestellung als wortgewaltige historische Beilage gerne hinzu.

Der echte Hieronymus Lotter ließ in der Rekordzeit von neun Monaten zwischen zwei Messen 1556/57 das Alte Rathaus erbauen. Seitdem umweht ein Hauch Italien nicht nur den Renaissance-Bau mit seinen Giebeln und Arkaden, sondern auch den Platz davor. Bis in den Spätsommer wird der Markt zur Piazza mit Riesencafé, in dem etwa 1500 Personen Platz finden. Wenn sie ihn denn finden. Denn Leipzigs Markt ist als Treffpunkt außerordentlich beliebt. Stehend haben hier schon 18000 Menschen bei Konzerten der Musik zugehört. Da kann selbst Rom neidisch nach Leipzig blicken.

Auch wie sie es schaffen, zusätzliche 10000 Menschen in die Kneipenmeilen der Innenstadt zu locken. Denn neben dem Drallewatsch im Zentrum zählen das Schauspielviertel um die Gottschedstraße, die Südmeile entlang der Karl-Liebknecht-Straße und die Münzgasse zur Gastroszene. Das ist kein Zufall, sondern Strategie. Die städtische Regierung hatte sich eine fußgängerfreundliche Innenstadt auf die Fahnen geschrieben und die großzügige Genehmigungen von Freisitzen, dazu die Sanierung der alten Messehäuser und ihrer Innenhöfe sowie die Verbreiterung der Fußwege. Für Freisitze gibt es somit immer mehr Platz, wobei dröhnende Motoren und Abgase vor allem im Drallewatsch ein Fremdwort sind.

Ein Fremdwort ist auch die Sperrstunde. Egal ob zwei, drei Uhr morgens, nicht nur im Barfußgäßchen ist es noch immer rappelvoll. Und noch eines sollten die Neider nicht übersehen: Das kühle Blonde wird dem Gast immer mit einem Lächeln serviert.

Gelächelt wird selbstverständlich auch im Gohliser Schlößchen. Schließlich gehört gute Laune zu einem Lustgarten schon per Definition dazu. Und so schmückt seine Restaurants auch das Adjektiv "heiter". Ob Steinsaal, Orangerie oder Arkadencoffee, ob Spiegel- oder Gewölbesaal, ob draußen im Schatten von hundertjährigen Kastanien oder drinnen bei Kerzenschein, das um 1756 erbaute Schlößchen - übrigens Leipzigs einziges - versprüht glanzvolle barocke Lebensart bis in unsere Zeit. Das historische Kleinod am Nordrand vom Rosental-Park, Menckestraße 23, erreicht man mit der Straßenbahnlinie 4.

Auf der anderen Seite des Rosental-Parks, im Gründerzeitviertel an der Waldstraße, strömen schon seit hundert Jahren erholungssuchende Städter ins Mückenschlößchen. Trotz aller schloßähnlichen Architektur, das 1895 erbaute Ausflugslokal am Elstermühlgraben war und ist ein Wirtshaus mit zünftigem Biergarten. Vom Grill steigt der kräftige Duft des kräutergewürzten Mutzbratens in die Nase. Auf den Tischen steht das Bier in Maßkrügen. Und Mücken? Die sind vor allem Legende: Als August der Starke hier einst an der nahen Aue entlangritt und nach Baugrund Ausschau hielt, sollen ihn die Mücken derart gepiesackt haben, daß er vom Pferd fiel. Die Mücken hat man extra "ausgesetzt" heißt es, damit aus dem Schloßbau nichts wird. Wurde es auch nicht, und das bürgerliche Leipzig blieb unter sich. Auch zum Mückenschlößchen fährt die Straßenbahnlinie 4.

Bachkaffee, Bachtorte, Bachtaler erinnern im Café Kandler hinter der Thomaskirche, Thomaskirchhof 11, daran, wer in der Messestadt für den guten Ton zu sorgen hatte. Ob der Thomaskantor Johann Sebastian Bach (1723-1750) lieber Tee oder Kaffee trank, ist nicht überliefert. Der Bachkaffee, Kandlers hauseigene Mischung aus gewaschenen Arabicabohnen, jedenfalls ist sehr mild und magenschonend. Bei dieser Gelegenheit sei noch auf eine musikalische Spezialität hingewiesen: die Kammermusik-Konzerte am Sonntagvormittag im Mendelssohn-Haus. 1845 zog Felix Mendelssohn Bartholdy mit seiner Familie in den spätklassizistischen Bau in der Goldschmidtstraße 12. Die einzige erhaltene private Adresse des in Hamburg geborenen großen Komponisten und Musikers, war auch seine letzte. Schon zwei Jahre später starb er mit nur 38 Jahren.

Der Leipziger Gastronomieführer "Speisen Sie gut" ist kostenlos erhältlich bei der Leipzig Information, Richard-Wagner-Straße 1, 04109 Leipzig, Telefon (03 41) 71 04-2 65, www.lts-leipzig.de

Foto: Das Barfußgäßchen: Restaurant an Restaurant, Bar an Bar


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