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16.06.07 / Stadt der Kontraste / Peking besticht durch alte Paläste und Moderne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-07 vom 16. Juni 2007

Stadt der Kontraste
Peking besticht durch alte Paläste und Moderne
von Edmund Ferner

Reisende lieben es zu vergleichen, und so wird auch Peking immer wieder mit anderen Städten der Welt verglichen.

Doch eigentlich gibt es nur eine Stadt, die einem solchen Vergleich standhält: Rom! Denn beide - Rom wie Peking - waren schon früh Metropolen gewaltiger Reiche, im Westen die Eine, die Andere im Osten, und beide erhoben den Anspruch, Zentrum zu sein, Mitte der Welt. Beide sind uralt - doch als Rom gegründet wurde, stand Peking schon einige Jahrhunderte. Jicheng, so der damalige Name der Stadt, lag im Südwesten des heutigen Peking. Während Rom schnell zur Hauptstadt der westlichen Welt aufstieg, blieb Jicheng - der Name wechselt nun wiederholt - zwar bedeutend, doch immer im Schatten anderer Städte, und als Kublai Khan sie 1267 zur "Großen Hauptstadt" (Dadu) ausbaute, war Rom schon seit langem eine Metropole ohne Reich.

Der Venezianer Marco Polo war von Dadu entzückt. "Überall gibt es prächtige Paläste und zahlreiche große und schöne Herbergen und Wohnhäuser - schreibt er bewundernd. "Die ganze Stadt mit kreuz und quer führenden Straßen sieht wie ein Schachbrett aus, so vollkommen und meisterhaft angelegt, daß man sie mit Worten kaum beschreiben kann."

Auch die beiden nächsten Dynastien setzen den Ausbau fort. Yong le, dritter Ming-Kaiser, verlegte 1403 seine Residenz hierher und gab ihr den Namen Beijang, das heißt "Nördliche Hauptstadt". Erst jetzt bildete sich der uns inzwischen vertraute Grundriß, entstanden die prächtigen Bauten, vor allem die Kaiserstadt mit ihren Gärten, Tempeln und Palästen.

Vieles aus der Zeit der Ming steht nicht mehr. Manches erlag den Wirren des 19. Jahrhunderts. Noch mehr aber wurde nach 1949 abgerissen, als die kommunistische Regierung Peking wieder zur Hauptstadt erklärte und sich daran machte, die Stadt den Bedürfnissen der modernen Welt anzupassen.

Ob Peking dadurch schöner geworden ist, sei dahingestellt. Viele, die die alte Stadt noch kennen, verneinen dies.

Die Silhouetten hoher Schlote erinnern daran, daß Peking seitdem zu einer der größten Industriestädte Chinas wurde. Industrie hauptsächlich Schwerindustrie - wurde vor allem in den 50er Jahren angesiedelt. Sie brachte zwar neue Arbeitsplätze, aber auch schwere Probleme. Die Bevölkerung stieg von nur 1,2 Millionen im Jahre 1949 auf inzwischen 12,1 Millionen - einschließlich der umliegenden Dörfer - die Bevölkerungsdichte von 5000 auf 12000 Einwohner pro Quadratkilometer. (Zum Vergleich: In der Bundesrepublik leben nicht einmal 250 Menschen auf einen Quadratkilometer.)

Die breiten mit Tempeln und Pagoden gesäumten Alleen der chinesischen Tradition sind faszinierend, Menschen schlendern über wohlsortierte freie Märkte, durch Porzellan-Manufakturen, Jadeschleifereien und Kunststudios.

Aber irgendwann, in einem der zahlreichen Restaurants mit den köstlichen Delikatessen der chinesischen Küche, da stellt sich die Frage: Was ist das eigentlich, China? Nur schwer formt sich die Fülle der Impressionen zu einem in sich geschlossenen Bild, und wenn es entstanden ist, so scheint es sich - gleich einem Kaleidoskop - bei der leisesten Bewegung wieder zu verwandeln. Je länger man sich mit China beschäftigt, um so unbekannter wird es; je mehr man sich ihm annähert, um so weiter weicht es zurück.

China ist nicht nur für Menschen aus dem Westen schwer verständlich, sondern selbst Wei Quant, die hier 34 Jahre lebte, das heißt selbst Chinesin ist, kann diesen "Gegenstand" kaum voll erfassen.

Der Hauptgrund ist vielleicht, daß China zu alt und zu jung ist in einem, zu sehr mit Vergangenen behaftet und sehr in ständiger Veränderung begriffen, daß es zu einfach und zu kompliziert zugleich ist. Mit einem Wort: eine Synthese vieler Bestandeile und voll von Kontrasten.

Wenn dem so ist, was folgt daraus? Soll man nun resignierend auf eine Antwort verzichten und sich den Impressionen des Augenblicks oder den Informationen der Reiseführer hingeben?

Wer will, mag dies tun. Wem jedoch diese Haltung zu passiv ist, der muß versuchen, wenigstens die wichtigsten dieser Bestandteile zu entdecken. Natürlich gehört zu ihnen die alte Kultur - die Tempel und die Paläste, die Gärten und die Klöster, die Stadttore und die Trommeltürme. China ist voll davon, und die Chinesen sind nur allzu bereit, sie uns Reisenden vorzuführen.

Doch ist Vorsicht angebracht, denn die Versuchung ist groß, dem Charme dieser alten Kultur zu erliegen und dabei zu übersehen, daß sie nur ein Teil Chinas ist, vor allem ein Teil, der mit der Welt der heute in China lebenden Menschen nur noch wenig zu tun hat, ja den Blick auf diese Welt sogar verstellt.

Der andere Teil, das lebende gegenwärtige China, war lange verborgen hinter Bambus- und Propagandavorhängen, aber auch hinter Mauern aus Angst und Zurückhaltung. Das beginnt sich nun zunehmend zu ändern. Allerorts macht sich eine neue Offenheit bemerkbar. Menschen, die noch vor einigen Jahren nichts anderes zu verantworten wagten, als die von der Partei vorgestanzten Phrasen, sind nun bereit, Einblicke in ihren Alltag und ihre persönlichen Probleme zu gewähren, Einblicke in den gewaltigen Wandlungsprozeß zu vermitteln, der das Land in einem in seiner Geschichte einmaligen Ausmaß verändert. Denn im Grunde hat die eigentliche Kulturrevolution erst jetzt begonnen.

Erst heute, im Zuge der Modernisierungspolitik und einer konsequenteren Öffnung, gerät das Land immer stärker in den Sog einer Strömung, die nicht nur die traditionelle, über Jahrtausende gewachsene Agrargesellschaft und die sie prägenden Lebens- und Denkformen unterspült, sondern auch die erheblich jüngere Kultur des Sozialismus maoistischer Prägung.

Noch weiß niemand, wohin diese Strömung China treibt. Denn das Terrain ist schwierig und wenig übersichtlich, nicht nur international, wo die Angst vor einer im Wachsen begriffenen Weltmacht China weit verbreitet ist, sondern auch im Lande selbst, wo die realen Probleme immens und die politischen Widerstände gegen den neuen Kurs beträchtlich sind.

Diesen faszinierenden Prozeß aus der Nähe ein bißchen zu beobachten, ja ein bißchen miterleben zu können, ist die große Chance für China-Reisende. Daß dies nicht leicht ist, sondern Offenheit, Sensibilität und Sachkenntnis verlangt, versteht sich von selbst.

Foto: Trommelturm: Altes umgeben von Neuem


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