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23.06.07 / Ost-Deutsch (20): Bürger

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-07 vom 23. Juni 2007

Ost-Deutsch (20):
Bürger
von Wolf Oschlies

Faust Gjote - oda bjurgerstvo?" fragten Moskauer Blätter schon 1999: Ist Goethes "Faust" eine Ode ans Bürgertum? Neuerdings reden russische Literaturwissenschaftler von "tomas-mannovskoe bjurgerstvo" (Thomas-Mann-Bürgertum), und das bedeutet nicht nur, daß sie Goethe und Mann gut gelesen haben oder ein altes deutsches Wort mit neuem Respekt nutzen. Im "Bürger" - von mittelhochdeutsch "burgære", was zuerst einen Burg-, dann einen Stadtbewohner bezeichnete - steckt auch viel Selbstbefreiung vom Joch der Ideologie.

Zu kommunistischen Zeiten war "Bürger", wer nicht oder nicht mehr "Genosse" war, also fast ein Schimpfwort. Daneben firmierte "Bürger" als Kurzform für "Staatsangehöriger", dazu als Umgangston bei den "Staatsorganen": "Bürger, Ihre Papiere ...!" Den "Bürger" als Angehörigen der unternehmerischen Mittelklasse oder gar als selbstbewußten "citoyen" durfte es nicht mehr geben, denn der war als "burzua" (bourgeois) zum ideologischen Feindbild avanciert. Lenin, alias adliger Uljanow, verteufelte die Demokratie als "Klassenherrschaft der monopolitischen Bourgeoisie".

Inzwischen hat's längst gedämmert, wie viele ökonomische und soziale "Eigentore" man damit erzielt hat - in Rußland sogar über den Fall des Kommunismus hinaus, als in den frühen 1990er Jahren "bjurgerstvo" Chiffre für "neue Russen" war - für Jelzins Superreiche, die Millionen Verelendeten gegenüberstanden. Gegenwärtig will man wissen, wie der Westen und vor allem Deutschland es anders machten, und darum ist die Fachliteratur in Rußland, der Ukraine, Bulgarien etc. voll mit Analysen über die Rolle des "bjurgerstvo" seit der Hanse oder Luthers "reformacija".

Eine Renaissance des "bjurger" ist im Osten im Gang, nachdem er nur in sprachlichen Nischen wie dem polnischen "burmistrz" (Bürgermeister) überdauert hat. Der ähnelt dem alttschechischen "purkmistr", womit sich der Kreis "bürgerlicher" Germanismen in Osteuropa wieder schließt.

Besonders, wenn man noch die "purgeri" hinzu zieht, die Einwohner der kroatischen Hauptstadt Zagreb. Seit einigen Jahren heißen auch die Fans des Fußballklubs "Dinamo" so, was diese stolz aller Welt verkünden: "O Boze, fala ti kaj purgeri smo mi" (Danke Gott, daß wir purgeri sind).


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