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23.06.07 / "Dichter heran an das Leben" / Vor 50 Jahren starb der Arzt und Schriftsteller Alfred Döblin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-07 vom 23. Juni 2007

"Dichter heran an das Leben"
Vor 50 Jahren starb der Arzt und Schriftsteller Alfred Döblin
von Klaus Granzow

In einem Rückblick auf seine Kindheit berichtet Alfred Döblin, wie sein Vater in Stettin aus dem Gleichgewicht geriet. Voll Bitterkeit beleuchtet der Sohn dieses einschneidende Kindheitserlebnis von verschiedenen Seiten, und doch ist es amüsant zu lesen, wenn er schreibt: "In Stettin an der Oder lebte mein Vater. Der hieß Max Döblin und war seines Zeichens ein Kaufmann. Da das aber eigentlich kein Zeichen ist, so war er Inhaber eines Konfektionsgeschäftes, das nicht ging. Wo-rauf er eine Zuschneidestube eröffnete, die einen guten Verlauf nahm. Dieser Mann war verheiratet und hatte es im Laufe der Jahre, wenn auch nicht zu Geld, so doch zu fünf Kindern gebracht ..."

Alfred war das dritte Kind und wurde am 10. August 1878 in Stettin geboren. Hier verlebte er die ersten neun Jahre seines Lebens in einer Geborgenheit, die er sein ganzes übriges Leben lang vergeblich suchen sollte. 1888, als Alfred zehn Jahre alt war, verließ der Vater Frau und Kinder, und die Mutter zog mit ihren Kindern zu ihrem wohlhabenden Bruder nach Berlin. Hier waren sie die armen Verwandten, und Alfred konnte erst mit 13 Jahren in die Sexta eines preußischen Gymnasiums geschickt werden. Doch erlebte er die Umsiedlung "schaudernd und entzückt". Hier in den ersten Jahren zwischen Stettin und Berlin entwickelte sich das Grundgefühl des Dichters: Er war Welle unter Wellen geworden, getragen von der Brandung einer aufgewühlten Zeit.

Immer verteidigte Alfred Döblin seine besondere Individualität, er lernte früh die Gegensätze zwischen arm und reich kennen und er bekannte: "Es blieb in mir, daß ich zu den Armen gehörte. Dies hat meine ganze Art bestimmt. Zu diesem Volk, zu dieser Nation gehöre ich: zu den Armen!" Er zählte auch noch zu ihnen, als er Nervenarzt im Berliner Osten und ein letzter Halt für die Ärmsten aus dem Lumpenproletariat der Großstadt geworden war. Aus der Sprechstunde des Kassenarztes und Psychiaters wurde eine Beratung für soziale Fürsorge. Wo er die Zeit hernahm, um seine Aufsätze und später seine Romane zu schreiben, blieb ein Rätsel.

In dem Roman "Wallenstein" versucht er, das erschütternde Erlebnis des Krieges, den er im Seuchenlazarett Saargemünd erlebte, zu gestalten. In den 20er Jahren übt er scharfe Kritik an der Weimarer Republik und wird von düsteren Zukunftsvisionen heimgesucht.

1929 erscheint sein Roman "Berlin Alexanderplatz", der ihn mit einem Schlag berühmt macht. Er wird auch als Hörspiel gesendet und mit Heinrich George als Franz Biberkopf verfilmt. Millionen erlebten mit, wie Franz aus dem Gefängnis in Tegel kommt und fest entschlossen ist, ein anständiges Leben zu führen. Aber die Verhältnisse, die Umwelt und die falschen Freunde lassen es einfach nicht zu. In dem Roman montiert Döblin dazu Wirklichkeitsfetzen der Großstadt Berlin, die zahllosen Einzelheiten eines Augenblicks in dem riesigen Menschengewimmel fügen sich zu einem faszinierenden Panorama.

"Dichter heran an das Leben" ist Döblins Devise. Der Leser wird in den Trubel der Stadt hineingerissen und gerät selbst - wie Franz Biberkopf - in Verwirrung, wenn er mit seiner Phantasie durch "die sonderbare Lust- und Sündenstadt, das märkische Ninive" wandert.

"Berlin Alexanderplatz" wurde zu Recht mit dem "Ulysses" von James Joyce verglichen. Brecht und Walter Benjamin lobten ihn, noch heute nennen junge Dichter Döblin ihren Lehrmeister. Franz Kafka sagte über den Arzt und Dichter: "Döblin kommt mir so vor, als würde er die sichtbare Welt als etwas ganz Unvollkommenes auffassen, das er erst mit seinem Wort schöpferisch ergänzen muß."

Nach dem Studium der chinesischen Geschichte und Kultur gelangte Döblin zu der Einsicht: "Durch Nichthandeln wirken, das Leben ergeben hinnehmen." Als erstes Zeugnis dieser Weltanschauung war bereits 1915 sein Roman "Die drei Sprünge des Wang-lun" erschienen. Doch das Jahr 1933 zwang ihn zum Handeln. Er ging nach Paris, floh weiter in die USA und wurde gegen Ende des Krieges französischer Staatsbürger und versuchte, als französischer Literaturinspektor für die Besatzungsmacht in Baden-Baden an der "Neugestaltung der Welt" mitzuhelfen.

Es gelang ihm, in Mainz die Akademie der Wissenschaften und der Literatur auf die Beine zu stellen, doch seine Bücher wollte keiner lesen. Das Manuskript seines letzten Romans, "Hamlet oder die lange Nacht nimmt kein Ende", wanderte jahrelang von Verleger zu Verleger.

Döblin war inzwischen zum Katholizismus konvertiert, was ihm weder die Freunde noch die Feinde verzeihen konnten. Für sie war dies ein Schritt ins "literarische Abseits".

Döblin aber blieb voller Zuversicht und bekannte: "Jeder Mensch kehrt nach seinem Leben zu Gott zurück." Nur noch im Christengott fand er Heimat. 1953 ging er noch einmal nach Paris, kehrte aber fast gelähmt und erblindet zu verschiedenen Kuraufenthalten in den Schwarzwald zurück. Am 26. Juni 1957 ist er in Emmendingen / Baden gestorben.

Foto: Alfred Döblin: Mit dem Roman "Berlin Alexanderplatz" berühmt geworden


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