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23.06.07 / Neue Zeiten - Alte Zeiten / Senioren machen sich Gedanken und fragen: War früher wirklich alles so anders als heute?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-07 vom 23. Juni 2007

Neue Zeiten - Alte Zeiten
Senioren machen sich Gedanken und fragen: War früher wirklich alles so anders als heute?
von Christel Bethke

Was für ein Aufwand an Energie! Die junge Mutter ist schon ganz erledigt und droht auszuflippen, als der vielleicht Vierjährige den Versuchungen nicht widerstehen kann, die vor der Ladenkasse ausgestellt sind. "Sebastian! Du hast dir schon zwei Teile aussuchen dürfen. Leg das bitte zurück. Mami kann sich auch nicht alles erlauben."

Sebastian denkt nicht daran und will unbedingt drei Überraschungseier in den schon vollen Einkaufswagen legen. Es gelingt ihr, ihm die Eier unter einigem Hin und Her und Gequengel, zu entwenden und zurückzulegen. Ein Theater!

Inge, der das allmählich zu viel wird, wendet sich an die Mutter und meint: "Ich habe mich dem niemals ausgesetzt und nahm meine Kinder nicht mit zum Einkaufen. Können Sie den Jungen nicht bei den Großeltern lassen?" Nein, hört sie, das Kind müsse mit, schon allein aus pädagogischen Gründen. Ob sie recht hat? Könnte Thema der nächsten Seniorenrunde werden, merkt sie sich.

Um den Einkaufswagen nicht noch einmal in die Hacken zu bekommen, läßt Inge die beiden vor. Der Lümmel hat, wie sich dann doch noch herausstellt, ein Ei in den Wagen geschmuggelt. Lamento, aber das interessiert ihn nicht mehr, denn er ist ganz auf das Piepen der Elektronik eingestellt. Das Ei wird mitgenommen.

Die anstehenden Kunden verfolgen teils amüsiert, teils unwillig die Szene. Inge sieht, daß "Mami" auch nicht allen Verlockungen hat standhalten können: Viel Pappe, viel Eingeschweißtes. Das, was sie früher Grundnahrungsmittel nannten, fehlt völlig: Kartoffeln, Brot, Gemüse. Nie im Leben würde sie sich Milchreis im Plastikbecher kaufen! Für die gleiche Summe kochte sie sich einen ganzen Topf voll.

"Du nun wieder", meint Irmgard, die diesen Mittwoch mit Einladung zum Kaffee dran ist und die ganze Angelegenheit etwas leichter nimmt. Inge, bekannt für ihre fundamentalen Suppen, die angeblich Tote aufwecken können, klagt darüber, daß die eigenen Töchter sogar aufgehört haben zu kochen. Nur noch am Sonntag.

"Und Küchen für 10000 Euro!" Sie bekocht sich jeden Tag, schon aus Prinzip, und außerdem schont es den Geldbeutel und hat doch wohl auch mit Kultur zu tun, oder?

Elfriede hat anderes zu nölen. Gerade erst gestern hätte ein Junge mit einem Holzgewehr auf sie gezielt und ihr zugerufen, ihr Verfallsdatum sei schon abgelaufen. Zuerst sei sie entrüstet gewesen, aber dann sei ihr die eigene Kindheit in den Sinn gekommen.

Es war Krieg und sie hatten das heldenhafte Sterben geübt: In die Brust geschossen, griff man sich ans Herz und fiel manieristisch verrenkt filmgerecht auf die Erde. Kann man das miteinander vergleichen, fragen sie sich.

Irmgard hat schon längst den Kaffee eingegossen und die Himbeertorte auf den Tisch gestellt. Irmgard und Himbeertorte? Wo sie es doch auch nicht gerade so mit dem Backen hat?

Sie überlegen, wann der Überfluß begann. Elfriede erzählt, als nach Kriegsende die legendären Carepakete aus Amerika eintrafen, hätten sie auch gern eins gehabt. Wer weiß, nach welchen Kriterien die verteilt wurden, sie jedenfalls gehörten nicht dazu.

Aber einmal hatten sie eine Flasche Ketchup bekommen. Kannten sie nicht, und sie hätten sich das Zeug auf alles raufgekippt. Ob es paßte oder nicht. Sie lachen.

Inge nimmt schon das zweite Stück Torte und erzählt, sie wäre von Kondensmilch begeistert gewesen.

Am liebsten die dicke süße aus der Tube, und sie hatte sich geschworen, wenn sie genug Geld haben würde, und man die frei kaufen könnte, würde sie eine ganze Tube allein davon genießen. Und? Ja, das hätte sie realisiert. "Mag ich heute noch", sagt sie, "doch die Kalorien."

Wieder mal sind sie vom Thema abgekommen. War es nun früher leichter oder nicht? Elfriede, die Philosophischste unter ihnen, meint: "Ach, mag alles sein wie es will, alles ist besser als Krieg", und plötzlich: "Sag mal Irmgard, ist die Torte aus der Tiefkühltruhe?"

Ist sie, aber nicht zu übel, muß man zugeben und "wer kann sich für das Geld schon hinstellen und backen", sagt Irmgard.

Ein weiter Weg vom modernen Überraschungsei bis zur Bonbon-Gruschen-Tüte für fünf Pfennige. Die gab's damals nur an Festtagen. Heute, wo jeder Tag ein Fest ist, kann man sich dies gar nicht mehr vorstellen.

Doch in einem sind sich alle drei einig. Wären sie in die heutige Zeit hineingeboren, wären sie sicherlich genau so wie die Kinder von heute, wie Sebastian.

Und weil die Torte nicht noch einmal eingefroren werden kann, wird der Rest jetzt aufgeteilt und verdrückt.

Leider ist der Platz in der Zeitung begrenzt und diese Betrachtungen müssen beendet werden. Die drei wenden sich nun dem Hawaii-Toast zu, dem "mit der Kirsche in der Mitte".


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